
Hinweise auf Menschen
Achim Elfers
»Das ehemalige Volk der Dichter und Denker ist ausgestorben«, schreibt der Paderborner Schriftsteller und kritisiert »stumpfsinnige Geistvermeidung und modehöriges Mitströmen«. Die Sprache werde »bedenken- und rücksichtslos zersprächelt«.
Der Gegenwart. — 14. April 2023 — Nach einem Zufallsfund in der Bücherzelle.
Achim Elfers studierte nach seinem Abitur 1985 am Theodorianum die Fächer Philosophie, Germanistik, Musikwissenschaft in Paderborn, Münster und Hamburg. Zwischen 1988 und 1989 arbeitete er als Musikkritiker für das Westfälische Volksblatt und die Neue Westfälische Zeitung in Paderborn. Des Weiteren übte Elfers weitere Tätigkeiten als Taxi-Fahrer und Malteser sowie als Privatlehrer für Deutsch, Latein, Englisch und Französisch aus. Elfers ist seit 2018 Regionalleiter des Vereins Deutscher Sprache (vds) in Ostwestfalen.
Zahlreiche Veröffentlichungen: Erzählungen, Essays, Gedichte, Romane, Lehrwörterbücher. Zuletzt u. a.: Schuld der Exekutive? (Essay, 2016), Das glaubst du ja nur! (Erzählungen, 2016), Lehr- und Wörterbuch der Umgangssprache (2. Auflage 2016), Wie Worte werden (2. Auflage 2016), Kleines (ost) westfälisches Wörterbuch (13. Auflage, 2015); Die Weltenhavener Runde (Roman, 2017); Die Phrasen-Fälscher (75 Sprechdenk-Typen, 2018); Der Fall der Religion (Essay, 2018); Hrsg.: Der Anglizismen-Index 2019 – Deutsch statt Denglisch (Wörterbuch, 2019); Delian oder: Die Erschaffung des Menschen (Roman, 2019); Hrsg.: Der Anglizismen-Index 2020 – Deutsch statt Denglisch (Wörterbuch, 2020); Sprache und bewohnte Welt. Erstes Buch (Sprachphilosophie, 2020); Sprache und bewohnte Welt. Zweites Buch (Sprachphilosophie, 2020); Hrsg.: Der Anglizismen-Index 2021 – Deutsch statt Denglisch: Jubiläumsausgabe 20 Jahre Index (Wörterbuch, 2021); Jedes Wort sei ein Gebet (Gedichte, 2021); Im Anfang war das Wort: die Sprache (Sprachphilosophie, 2022); Denken, Sprache und die Übersetzungsfrage bei Descartes (2022); Deutsch in der Prüfung (2023).
Textgrundlage: https://de.wikipedia.org/wiki/Achim_Elfers sowie http://www.sternensohn.de/vita.html
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LESEPROBE
Der mehrheitlich
gewählte Niedergang
Das 6. Kapitel aus: Achim Elfers: Der Fall des Deutschen. Ein Essay. Borchen 2017, Seiten 67 bis 71
Das ehemalige Volk der Dichter und Denker ist ausgestorben. Den unbegabten Nachfahren oder dem gemeinen Sprecher gilt die eigene Sprache nur als „Ausdrucks- oder Mitteilungsmittel der Gedanken“. Der Name ‚Ausdruckmittel’ lässt schon bemerken, dass nicht in die Worte der Sprache hineingedacht wird, denn wieso seien Gedanken so auszudrücken, wie etwa Eiterpickel oder Zahnpastatuben? Gedanken nicht müssen durch Druck hinausgedrückt werden; sie werden drucklos gedacht und derweil mit Namen verbunden, dardurch ungedrückte Worte erbildet werden, die gesprochen oder geschrieben mit dem nächsten Sprecher ohne Druck geteilt werden mögen. Auch die Denkung der Sprache als „Mitteilungsmittel der Gedanken“ ist ähnlich unbegeistet wie die ihrer als „Ausdrucksmittel“: Die Mitteilung wird nicht als „Teilung eines Gedankens oder einer Empfindung mit jemandem“ gedacht und empfunden, doch als „Mitteilung an“, mithin als seelloses Transportmedium der Gedanken zu einem willenlosen Empfänger oder Opfer.
Nicht als „Gedächtmöglichheit vor den Gedanken“, nicht als „Mittel, in zu bewissende Tiefe des zu denkenden Gedächtes zu gelangen“ und leider auch nicht als „des Menschen Gefilde gemeinsammen Denkens und Empfindens zu dem Geiste hin“ wird die Sprache erachtet, verwendet, durchlebt und gepflegt. So werten die meisten Sprecher ihre Sprache nur als „informationstechnisches“ Mittel der Denkäußerung, dessen ihnen lästige Grammatik nach Gutdünken epigonisch simplificiert, oberflächlich eingeebenet, denkmühvermindernd verklumpt, oder in großen Teilen gedenklos abgeschafft wird.
Der einst hohe, weite Wortschatz des Deutschen wird von ungezählten Älteren mehr oder minder absichtlich erniederigt und geschmälert, weil sie ernstlich befürchten, sonst von Jüngeren nicht verstanden zu werden (sodass sie in der Folge ihre Bücher, Filme, Werbetexte, et c. nicht verkaufen könnten und Geld verlören respective nicht bekämen; siehe oben); zudem wird die Gewinnung des Wortschatzes von zahllosen Jüngeren von Beginn an nur widerwillig betrieben oder gar mit Vergenügen umgangen, weil das mittels des Namens ‚Lernen’ benannte Sich-Aneigenen der eigenen Sprache wie auch jeder fremden ihnen als solch „arge Mühe“ gilt, dass sie sich darüber ärgern und sie es mit Faecaliennamen benennen, somit verurteilen und ablehnen.
Zu bemerken ist, dass eine Verringerung des Wortschatzes der Sprache durch Nichtverwendung großer Teile dessen seitens der Mehrheit der Sprecher geschieht. Und kaum ist ein gegenwärtiger Gebrauch der Worte differenzierungs- und détailvermindernd verringert worden, zieht die Sprachwissenschafft nach und versiegelt die niedergeistige Verfälschung durch eine neue, modificierte Auflage ihrer Grammatik- und Wörterbücher. Einst war der Gebrauch des Coniunctiv Praeteritum Activ ohne ‚würde’ geboten. Als immer mehr Sprecher sich das darfür unumgängliche Wissen der Praeteritumsformen nicht mehr aneigeneten und den Coniunctiv II nur noch mit ‚würde’ und Infinitiv wählten, stand mit einem Male im Grammatik-Bande des Duden zu lesen, dies sei füglich (alias ‚in Ord’nung’ (ein ‚e’ fiel unordentlich aus, zu ‚Orden’ = „Regelwerk, Gefüge“). Der gemeine Sprecher muss allso etwas Falsches nur genüglich lang anwenden und eine Gemeinde der Mit- und Nachsprecher dieses Falschen ansammeln, dann steht das Falsche einst im Buche namens ‚Duden’ als „richtig“.
Sei aber zu dem Namen ‚Grammatik’ etwa „schwerfälliger, überkommener Sprachfug, der durch mangelhaften Gebrauch geistarm ungelehriger Sprecher nach unten hin zu verwandeln sei“ hinzuzudenken? So geschieht der Niedergang: die Menge in Gasse und Gosse sprächelt vor, die „Wissenschafft“ berichtigt es nicht, doch bemerkt es und schreibt es als „derzeit üblich“ auf, was dann an den Schulen als „recente Grammatik“ unterrichtet wird, bis auch dies den Lernverweigerern als „noch immer übermäßig viel“ gilt und es abermals verfälscht, verringert, verschrumpft wird. Dieser Niedergang ist ausgeübte Geistvermeidung mit Methode, angewandt vom erblich geistvermeidungsbestrebten Sprechervolke ohne geistliche Leitung, das den an sich toten Staat als „höchste Instanz in Fragen des Geistes“ erachtet.
Wer heute in seiner Rede auch nur im kleinsten Kreise Worte verwendet, die andere Sprecher mehrheitlich nicht verwenden, (beispielsweise ‚Antlitz’ (statt ‚Gesicht’, um mittels des Namens ‚Gesicht’ wieder nur „gesammte Sicht“ zu nennen, nicht „Hauptes Vorderseite“), ‚Beruf’ als „Berufung“, ‚Denkvermögen’ (statt der bürgerlich entstellten ‚Vernunft’ (zu ‚vernehmen’, die nur das Vernommene zu etwas verfügt, nicht jedoch tiefe Erörterungen vollzieht)), ‚Erbarmen’ (statt ‚Mitleid’, mittels dessen das (scheinbahre?) Leid eines Menschen mitempfindend als „echt“ gewertet wird, sodass dem Leidenden nicht geholfen wird), ‚ging’ (statt ‚bin’ (!)), ‚hinaus’ (statt ‚’raus’), ‚Kleidung’ (statt ‚Anziehsachen’), ‚Lebensform’ (statt ‚Leben’), ‚Wagen’ (statt ‚Auto(kinet’ oder ‚Ipse)mobil’), ‚Vergebung’ (statt ‚In-Ord’nung-Sei’n’ oder schlimmerer Namenfolgen wie etwa „(is’ schon) okee“), ‚mögen’ und ‚vermögen’ (statt ‚können’, das zu ‚kennen’ steht), et c.), dem wird schnell eine „altertümelnde“, „altertümliche“, „altmodische“, „veraltete“ Sprechweise bekundet, wobei dem als „höher“ erachteten, zumeist seltener verwendeten Worte zwanghaft unterschwellig „ältlich“ hinzugewertet wird. Und beachte stets darbei: „alt ist nicht gut, nicht hochwertig“, was wiederum eine wenn auch zumeist unausgesprochene Maxime der prüflos mitgerissenen Wertungsmodemitströmlinge ist, welche die Mehrheit der Sprecher stellen.
Diese zu unterhalten, passen sich auch beispielsweise die des Deutschen nur begrenzt kundigen Schreiberlinge der Provinzzeitungsblättchen an den niederen Modus an. Auch wenn sie bevorzugt über Fußball, Kirmes und Schützenfeste berichten, weil diese die (wenn auch unendlich kleinen) Höhepuncte dortiger Hochcultur sind, könnten sie wenigsten die Zeitformen richtig verwenden. Aber erst dann, wenn den Sprachniedergangsbetreibern das Geld ausgeht oder sie dies befürchten, werden sie eine Änderung nach oben hin in Erwägung ziehen. Geld und die stumpfe Mehrheit der Sprecher sind der geistlose Maßstab, mittels dessen von Spracharmen unsere Sprache und Bücher bewertet werden: „Der Autor bekommt viel Geld für seine Bücher – dann müssen sie gut seien!“ Die Gedichte „armer Poëten“ wie Hölderlin, Schiller, Trakl, et c. sind allso „keine guten“ Schriften. Aber die solches Denkenden behaupten, die Mehrheit der Leser wolle es so, wie die „Erfolgsautoren“ es schrieben. Die Mehrheit der Sprecher folgt in Fragen des Geistes bedingungslos dem ererbten Geistvermeidungsbestreben und wählt den Geist ab. Für ihn könne man sich ja eh nichts kaufen, denken sie zu wissen, und dünken sich „klug“ und „weise“.
Die meisten heutigen Sprecher verwenden die Sprache etwa so, wie sie eine öffentliche Brücke missbrauchen. Sie nicht wandeln als Pilger über sie als zu ihrer Seelenodemheimat führend hinüber, doch sie halten sich als lüsterne Faune auf ihr auf, ergreifen gierig Besitz der Stellen mit der schönsten Aussicht aus ihr hinab, umzäunen diese Stellen und besiegeln sie mit Namenschildern, auf denen ‚Privatbesitz’ zu lesen steht. Genusssüchtig verzehren sie die Früchte, die für die Hinübergehung über die Brücke an zahlreichen Nahrungsquellen wachsen, und denken nicht daran, die Früchte mit all ihren Geschwistern gerecht zu teilen oder die Fruchtquellen für die nach ihnen Kommenden zu bewahren.
Sie nicht sehen den Weg hinüber, weil sie weder den Beginn zu erinnern, noch die Geländer, noch das End der Brücke zu sehen wünschen, denn darvor und vor dem, das jenseits der Brücke zukommt, empfinden sie engste Angst. So verleugenen sie den Weg hinüber und besetzen scheinbahr beweglos unbewegte Einzelplätze als gewohnte „Wohnorte“ des Habens, um den durch das Hinübergehen geschehenden Kraft- und Statusverlust zu vermeiden. Sie begehren habsüchtig, ihre lustvoll besetzten Einzelstellen auf der sie vermeintlich nirgendhin führenden Brücke zu haben und zu behalten und fürchten sich darvor, dass die ungreifbahr geistige Kraft des fließenden Werdens ihre Umzäunung zerlösen und sie mitsammt ihrer Habe ab dort verwehen werde. Die Cörperlinge, durch die hindurch sie die Zerlösungskraft als „waltend“ erdeuten, nennen sie ‚schuldige Gewalttäter’ und suchen, sich durch deren strenge, vermeintlich andere „Täter“ abschreckende Bestrafung vor zukünftiger Traumzerlösung zu schützen. Ihre Sprache ist eine scharf gegen andere Sprecher abgegrenzte Einzelsprache, obwohl diese nur ein durch Denk- und Lernvermeidung herausgetrennter Teil der alleinen Sprache ist und obwohl dieser herausgetrennte Teil zumeist unterschiedlos den ausgetrennten Teilen der Menge aller Einzelsprecher entspricht, weil die Heraustrennensweise die eine selbe ist: der Zertrennungsgedanke, durch den schon das Kleinkind das Bild (die Vernehmungsganzheit, die von der Vernunft aus allen vernommenen (Duft-, Licht-, Schall-)Wellen zusammengesetzt wird) in tausendundein Einzelbild zertrennt. Der Zertrennung des Bildes folgt die durch Namengebung be- oder versiegelte Zertrenntheit des Geseienden. Das wichtigste Herausgetrennte wird mittels des Namens ‚Ich’ benannt, das nur so lang bestehen mag, wie es die Grenzen seiner Zertrenntheit ängstlich besorgt bewahrt. Darfür verwendet der gemeine Sprecher missbräuchlich auch die Sprache. Er verwendet sie als „Ausdrucksmittel“ seiner angstgedrückt engsten Begehr- und Schuldgedanken, um sie als Befehle, Dienstanweisungen, Dutzendansichten, Faecalienflüche, Geheiße, Klagen, Urteile, Vorschriften, Zeitungen, et c. seinen ungeliebten Mitsprechern aufzudrücken, hingegen er die Sprache als Erhörungsmittel seines Nächsten lieblos ausschließt. So aber wird die Sprache der Einzelsprecher zu einer Ego-Sprache, nämlich einer Schuldhaltungs- und -zuweisungssprache ohne zu dem Geiste der LIEBE und ihrer Unschuld führende Tiefe.
© Achim Elfers. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Achim Elfers
Foto: chmoellmann.de
Der Autor
Achim Elfers (* 20. März 1965 in Paderborn) ist ein deutscher Schriftsteller. (Wikipedia)
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Youtube-Kanal Achim Elfers liest aus seinen Werken ⋙ Link
Das Buch
Achim Elfers: Der Fall des Deutschen. Ein Essay. Borchen 2017
»Das Volk der Dichter und Denker ist ausgestorben. Ihre Sprache wird mit Anglismus, Entgeistigung, Genderwahnsinn, Leichtsprech, prüfloser Nachlautung, epigonischer Schrumpfgrammatik und wirren Film-, Polit- und Werbephrasen bedenken- und rücksichtslos zersprächelt. Dieser Essay mit tiefgründiger Analyse der Sprache und der Sprechmode zeigt aufrüttelnd, dass stumpfsinnige Geistvermeidung und modehöriges Mitströmen kein Glück bringen.«
Aktuelle Bücher
Achim Elfers: Denken, Sprache und die Übersetzungsfrage bei Descartes. Sprach- und Religionsphilosophie (Denken, Glaube, Sprache II; 2022)
»Die Übersetzungsfrage (nämlich: „Seien die Worte aus einer Sprachgestaltung in eine oder gar jede andere so hinüberzusetzen, dass das ursprünglich Gedachte darin das eine Selbe bleibe?“) wurde von René Descartes (1596–1650) nicht als Frage besprochen, doch als „verité“ (frç. ‚verité‘ wird als der nhd. ‚Wahrheit‘ gleich) erachtet. Aber was dachte Descartes zu dem Namen hinzu? Etwa das eine Selbe wie wir? Und zu den anderen Namen?« (Verlag)
sowie
Achim Elfers: Deutsch in der Prüfung (2023)
Der Verlag
Der Verlag Ch. Möllmann ist ein deutscher Verlag mit Sitz in Borchen. Schwerpunkt der Verlagstätigkeit sind Anthroposophie, Literatur und Lyrik. Der Verlag wird als GbR geführt. Gesellschafter sind Christoph Möllmann und Angelika Gausmann. (Wikipedia)