Hinweise auf Menschen
Antje Hermenau
Warum gehen im Osten so viele Menschen zu Demonstrationen und Montagsspaziergängen? Die Politikberaterin und Publizistin Antje Hermenau erklärt das und verteidigt berufsaktive Menschen gegen Vorwürfe, sie seien „anfällig für rechtsextreme Gedanken“.
Der Gegenwart. — 14. Oktober 2022
Seit ihrem Ausscheiden aus der Politik ist Antje Hermenau als Autorin und Politikberaterin für Organisationen und Unternehmen tätig. Im Herbst 2015 veröffentlichte sie eine Streitschrift mit dem Titel Die Zukunft wird anders zu globalen Fragen der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. Ein Jahr später erregte sie Aufsehen, weil sie eine Lesung aus ihrem Buch bei einer Veranstaltung der AfD durchführte.
Vehement verteidigt sie in Reden und Schriften berufsaktive Menschen wie auch gestandene Ostdeutsche – die Sesshaften – gegen den Vorwurf, sie seien „anfällig für rechtsextreme Gedanken“. Sowohl der folgende Auszug aus einer Rede von 2019 als auch das in der Spalte verlinkte aktuelle Interview und ihr neues Buch Das große Egal legen unmißverständlich davon Zeugnis ab, dass Antje Hermenau unerschrocken die Idee vertritt und mit ihrem Beispiel belegt, dass eine Demokratie davon lebt, miteinander zu reden.
Mit Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Antje_Hermenau
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Exbäährden in die Produktion!
Von Antje Hermenau. — Meißen, 2. Oktober 2019
Eigentlich ist es eine Wagenburg im Kopf, die entschlossen verteidigt wird gegen all die Nazis da draußen. Damit sind die Eingeborenen gemeint. Manche mögen welche sein, Nazis, meine ich. Da muss man immer achtsam sein. So viele sind es nicht, schon gar nicht alle. Aber wer nicht drin ist in der Wagenburg, muss ja einer sein, ein Nazi, sonst wäre er ja drin. Eine bestechende Logik – für Parteimitglieder. Die machen aber nicht einmal eineinhalb Prozent der Bevölkerung aus. Der „Rest“ von lächerlichen 98,5 % ist nicht in einer Partei: also sozusagen nicht satisfaktionsfähig, politisch beschränkt. Insbesondere eine Problemgruppe macht der Politik zu schaffen: die berufsaktiven Menschen. Ich würde ja sagen: normale Menschen. Aber die Politik stuft sie als Sonderfall ein. Glauben Sie nicht? Ist aber wahr.
Vor einigen Wochen, Ende August, erschien in den Dresdner Neuesten Nachrichten ein Artikel, der sich auf Äußerungen des Chefs der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin bezog. Thomas Krüger, so heißt er, stellte dar, das er „Berufstätige am anfälligsten für rechtsextremistische Ansichten“ hält. „Die Problemgruppe Nummer eins sind die berufsaktiven Menschen“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ ... „Die ... sind nicht in formalen Infrastrukturen politischer Bildung eingebunden und haben neben Job und Familie ein relativ geringes Zeitbudget zur Verfügung.“ „Junge Menschen wiesen hingegen noch vor den Rentnern die größte Widerstandskraft gegenüber rechtsextremen Ideen auf. Das zeigten die empirischen Befunde.“ (Quelle: DNN online, 27.8.2019 05:01 Uhr)
Empirischer Befund (d.h. man schreibt auf, was schon passiert ist und rechnet das zu einer Theorie zusammen) ist auf jeden Fall erst einmal auch, dass die meisten ganz jungen und die ganz alten Leute teilweise oder ganz ihr Geld vom Staat beziehen. Und natürlich haben Rentner mehr Lebenserfahrung als Berufsstarter. Den Jungen kann man noch alles erzählen. Es ist auch allen klar, dass Menschen, die wirklich arbeiten gehen, weniger Zeit für andere Dinge haben als Menschen, die nicht arbeiten gehen müssen oder einer quasi unkündbaren Tätigkeit im individuellen Tempo nachgehen dürfen. Und sicherlich gibt es viele Gründe, lieber mit den eigenen Kindern etwas zu unternehmen als sich in einer Belehrungsveranstaltung der Bundeszentrale zu langweilen. All das sind empirische Befunde, die das Leben schreibt.
Und nun kommt einer daher, der schon sehr lange davon lebt, dass es Menschen gibt, die Steuern erwirtschaften und langt hin. Das Gehalt von Herrn Krüger kommt aus Steuern. Er zahlt zwar auch welche, aber das sind ja keine echten Steuern, sondern die kommen schon aus Steuergeldern anderer. Er zahlt also Steuern aus Steuern. Nettosteuerzahler ist Herr Krüger nicht, schon seit Jahrzehnten nicht, wie ein Blick in seine Biographie offenbart. Diejenigen, die sein Leben finanzieren, sind für ihn ein politischer „Problemfall“, weil sie nicht soviel lesen und reden können wie er. Deshalb seien sie „anfällig für rechtsextreme Gedanken“, die er als Sozialdemokrat natürlich festlegt und definiert. Da muss man erst einmal drauf kommen: der Chef der Bundeszentrale als Chefideologe. Bin ich überrascht? Nein. Wie lange wollen sich die Normalen diesen Quark eigentlich noch bieten lassen?
Die SPD ist maßgeblich daran beteiligt, den Sozialstaat in hohem Maße zu gefährden, indem sie eine Europapolitik betreibt, in der wir das Gewerbegebiet für Länder werden, bei denen es wirtschaftlich anders läuft, wir einen weichen EURO kriegen, mit Niedrigzinsen nichts für das Alter sinnvoll ansparen können und durch die unkontrollierte Zuwanderung dazu führt, dass weniger in den Sozialtopf einzahlen als rausnehmen. In Brüssel hat Frau Merkel einen Posten für Frau von der Leyen ergattert und dafür die EZB zum Abschuss frei gegeben. Die Vergemeinschaftung der Schulden kommt. Deutschland entwickelt sich langsam zu einem angeschlossenen Gewerbegebiet einer lateineuropäischen Union unter Führung der Franzosen.
Es nehmen mehr aus dem Sozialtopf raus als einzahlen – mit wachsender Tendenz: kluge Leute, Nettosteuerzahler, wandern ab und Leute, die nicht mal Lesen und Schreiben können, auch nicht in ihrer Muttersprache, wandern vermehrt ein. Die werden ihr ganzes Leben lang nichts einzahlen. Aber vielleicht ihr ganzes Leben lang etwas aus dem Sozialtopf bekommen. Wer das mit Skepsis betrachtet, kann rechnen. Ein Rassist ist er deswegen nicht.
Ich war mit einem Amerikaner verheiratet, habe eine chinesische Schwägerin und syrische Kurden in der Familie. Eine meiner besten Freundinnen habe ich aus dem Jemen noch rausholen können, bevor die Saudis einmarschierten. Sie arbeitet im Chemnitz im Krankenhaus und alle sind froh, dass sie sie haben. Sie hatte damals hier in Sachsen Medizin studiert. Alle sprechen hervorragend Deutsch. Alle arbeiten und zahlen Steuern. Sie haben auch ihre kulturellen Eigenheiten bewahrt und trotzdem feiern sie Weihnachten und Ostern ganz selbstverständlich mit. Da wird auch nichts verschleiert. Da wird auch keiner tätlich angegriffen, wenn man eine Meinungsverschiedenheit hat. Viele Einwanderer sind so und kommen genau deshalb hierher. Und viele von ihnen sind entsetzt, wie wenig es uns zu interessieren scheint, wer alles in unser Land kommt, wie er oder sie sich aufführen, welche Erwartungen sie haben und was das für den Alltag bedeutet. Die meisten sind gekommen, um sich anzustrengen, dazu zu gehören, in den Sozialstaat einzuzahlen und später auch heraus zu bekommen. Für sie ist unser Rechts- und Sozialstaat ein sehr lebenswertes Modell. Sie sind Fachkräfte, die im Mittelstand dringend gebraucht werden, keine Wanderarbeiter, und sie können natürlich auch rechnen. Deutschland ist schon lange nicht mehr unter den oberen Zuwanderungsländern für wirkliche Fachkräfte.
Und dann gibt es ja noch solche Fachkräfte, richtige Exbäährden, in der Politik wie diesen Chef der Bundeszentrale für politische Bildung. Solche Äußerungen werfen auch ganz klar die Frage auf, ob ihm das viele Lesen und Reden überhaupt echten Erkenntnisgewinn gebracht hat. Der Grad der politischen Selbstbeschäftigung, der intellektuellen Onanie, hat inzwischen ein Niveau der Geistlosigkeit erreicht, dass ich geneigt bin, wieder einmal nach drei Jahrzehnten fest zu stellen: Politiker in die Produktion!
Text nach: Antje Hermenau „Rede zum Bockbieranstich der Schwerter Brauerei in Meißen 2019“
(Auszug mit freundlicher Genehmigung der Autorin)
Antje Hermenau
Foto: Büro Antje Hermenau
Wir bleiben im Lande und wehren uns täglich – eine leichte Übung für Sesshafte. Die Sesshaften sorgen für einen funktionierenden Alltag. Sie halten den Staat stabil. Und sie gehen endlich wieder wählen.
Antje Hermenau, 2019
Lebensdaten
Elisabeth Antje Sina Hermenau (* 3. Juli 1964 in Leipzig) ist eine deutsche Politikerin. Ihre politischen Aktivitäten begann sie in der Wendezeit, als sie Mitglied des Runden Tischs der Stadt Leipzig war. Von 1990 bis 1994 war Hermenau erstmals Mitglied des Sächsischen Landtags. Zwischen 1994 und 2004 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen. 2004 gab sie nach dem Wiedereinzug von Bündnis 90/Die Grünen Sachsen in den Landtag ihr Bundestagsmandat auf, um als Abgeordnete und Fraktionschefin der bündnisgrünen Landtagsfraktion tätig zu sein. Im September 2014 erklärte Hermenau ihren Rückzug von allen politischen Ämtern. Im Januar 2015 trat sie nach 25 Jahren aus der Partei aus. (Wikipedia)
Webseite: antje-hermenau.de
Der Druck steigt
JF-TV Thema: Wut im Osten: Der Druck steigt vom 13.10.2022: Es geht mal wieder ein Riss durch unser Land, wohl nicht zufällig entlang jener Linie, an der Deutschland jahrzehntelang geteilt war. Auf der einen Seite, im Osten, da tobt er schon, der „heiße Herbst“, in Form immer größerer Proteste gegen Energie- und Rußlandpolitik der Bundesregierung. Auf der anderen jedoch, im Westen, weht bislang allenfalls ein laues Lüftchen, wenn überhaupt. Warum ist das so? Warum gehen im Osten schon wieder so viele Menschen zu Montagsspaziergängen und Demonstrationen? Was sind die Motive, was treibt diese Menschen an, was besorgt und beunruhigt sie? Warum fallen diese Proteste im Westen bis dato so viel kleiner aus? Und welche Zustände könnten dazu führen, daß die Protestwelle auch auf den Westen überschwappt? Antworten auf diese Fragen liefert die Politikberaterin und Publizistin Antje Hermenau im Gespräch mit Marco Pino.
Das Buch
»Die frühere Realpolitikerin Antje Hermenau ist lange das ostdeutsche Gesicht der Grünen gewesen. Bis zu dem Zeitpunkt, als sie sich eingestehen musste, dass auch diese Partei keine volksnahe Partei sein möchte. Der Essay „Das große Egal“ ist damit auch eine profunde Bilanz dessen, was jedwede Partei nach Wahlen nicht bereit ist zu leisten und zugleich eine kurzweilige Anleitung zum Umgang mit dem Prophetischen von Geschichte und ihren Erzählern.« (edition buchhaus loschwitz)
Antje Hermenau: Das große Egal. Klappenbroschur, 112 S. edition buchhaus loschwitz, Buchreihe EXIL 2022.