Hinweise auf Menschen
Bärbel Bohley
Die Malerin und Bürgerrechtlerin sagte: „Mein Platz ist in der Opposition“, denn sie befürchtete: „auch das ständige Lügen wird wiederkommen“.
Der Gegenwart. — 8. Oktober 2022
Alle diese Untersuchungen, die gründliche Erforschung der Stasi-Strukturen, der Methoden, mit denen sie gearbeitet haben und immer noch arbeiten, all das wird in die falschen Hände geraten. Man wird diese Strukturen genauestens untersuchen – um sie dann zu übernehmen. Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien westlichen Gesellschaft passen. Man wird die Störer auch nicht unbedingt verhaften. Es gibt feinere Möglichkeiten, jemanden unschädlich zu machen. Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen – das wird wiederkommen, glaubt mir. Man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi. Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.
Bärbel Bohley (1991)
Bärbel Bohley wurde als Tochter von Fritz und Anneliese Brosius geboren. Nach dem Abitur 1963 absolvierte sie eine Ausbildung als Industriekauffrau und arbeitete anschließend als Lehrausbilderin. Ab 1969 studierte sie an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, wo sie 1974 einen Diplomabschluss als Malerin erhielt. 1970 heiratete sie den Maler Dietrich Bohley und gebar im selben Jahr einen Sohn. Ab 1974 betätigte sich Bärbel Bohley als freischaffende Künstlerin; ihre Vorbilder waren nach eigenen Angaben Francisco de Goya und Käthe Kollwitz.
Für Bürger- und Menschenrechte
Zunehmend setzte sie sich für Bürger- und Menschenrechte in der DDR ein und war deshalb Restriktionen und Verhaftungen ausgesetzt. Nach der Wende und friedlichen Revolution in der DDR engagierte sich Bärbel Bohley weiterhin politisch, kämpfte insbesondere um die Aufarbeitung des DDR-Unrechts im Allgemeinen, aber auch juristisch in ihrem persönlichen Fall.
Ab 1996 arbeitete sie im ehemaligen Jugoslawien an Möglichkeiten der Flüchtlingsrückkehr und dem Wiederaufbau. In Bosnien leitete sie ein Wiederaufbauprogramm und ermöglichte Waisen und Kindern aus Flüchtlingsfamilien gemeinsame Sommerferien in Kroatien. Sie lebte lange in der Nähe von Split (Kroatien) und war bis zu ihrem Tod mit dem aus Bosnien-Herzegowina stammenden Lehrer Dragan Lukić verheiratet.
Nach zwölf Jahren kehrte sie 2008 in ihre alte Wohnung in Berlin-Prenzlauer Berg zurück, um ihre Lungenkrebserkrankung behandeln lassen zu können, von der sie im Mai 2008 erfuhr. In den ihr verbleibenden zwei Lebensjahren hielt sie Vorträge, mit denen sie bilanzierend auf die Kraft der friedlichen Revolution und bestehende Demokratiedefizite hinwies, wie zum Beispiel anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Neuen Forums.
Bärbel Bohley, die seit ihrer Studienzeit Kettenraucherin war, erlag einem Bronchialkarzinom. Sie wurde am 25. September 2010 mit einer öffentlichen Gedenkveranstaltung der Robert-Havemann-Gesellschaft in der Akademie der Künste (Berlin) gewürdigt, an der etwa 400 Besucher teilnahmen. Lilo Fuchs, Witwe des Dissidenten und Schriftstellers Jürgen Fuchs, erinnerte dabei daran, dass einige DDR-Oppositionelle – wie Rudolf Bahro, Gerulf Pannach, Rudolf Tschäpe und ihr eigener Mann – früh an Krebs starben, und verwies auf den mehrfach geäußerten Verdacht, das SED-Regime könne Bärbel Bohley radioaktiv geschädigt haben, wie Stasi-Akten nahelegen. Bei einem Trauergottesdienst in der Gethsemanekirche (Berlin) nahmen rund 1000 Menschen am Sarg von Bärbel Bohley Abschied. Ihr Grab befindet sich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte. Es ist 2016 als Ehrengrab der Stadt Berlin gewidmet. Ihr politischer Nachlass wird im Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft aufbewahrt.
Im Berliner Ortsteil Gesundbrunnen findet sich am Mauerpark der Bärbel-Bohley-Ring.
Arbeit für Bürger- und Menschenrechte in der DDR
1979 wurde Bärbel Bohley in die Sektionsleitung Malerei und den Bezirksvorstand des Verbandes Bildender Künstler der DDR (VBK) gewählt. 1982 sammelte sie gemeinsam mit ihrer Schwägerin Heidi Bohley 150 Unterschriften für einen gemeinsamen Protest. Aus diesem Engagement entstand die unabhängige Initiativgruppe Frauen für den Frieden, woraufhin sie ein Jahr später aus dem Bezirksvorstand des VBK ausgeschlossen und wegen angeblicher „landesverräterischer Nachrichtenübermittlung“ gemeinsam mit Ulrike Poppe in Berlin-Hohenschönhausen in Untersuchungshaft kam. Das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) nannte als Gründe unter anderem ihren Kontakt zu den Grünen in der Bundesrepublik Deutschland. Als Konsequenz erhielt sie keine staatlichen Aufträge mehr und durfte ihre Werke nicht mehr öffentlich ausstellen.
Ab Mitte der 1980er Jahre setzte sich Bohley verstärkt für die Durchsetzung grundlegender Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit ein und gründete die Initiative Frieden und Menschenrechte mit. Sie wurde deshalb von der Geheimpolizei zu den gefährlichsten Gegnern der DDR gezählt und in den operativen Vorgängen „Wespen“ und „Bohle“ bearbeitet. Das Ministerium für Staatssicherheit belegte Bohley mit intensiven Überwachungs- und Zersetzungsmaßnahmen.
Die Bürgerrechtlerin Petra Kelly, die mit Bärbel Bohley politisch und persönlich befreundet war, übergab Erich Honecker im September 1987 bei seinem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland demonstrativ Bohleys auf den Zustand der DDR-Gesellschaft anspielende Grafik „Niemandsland“, die mit einer Widmung versehen war, politische Veränderungen in der DDR zuzulassen.
1988 wurde Bohley (gemeinsam mit ihrem damaligen Lebensgefährten und DDR-Oppositionellen, Werner Fischer) infolge ihrer Öffentlichkeitsarbeit für inhaftierte Oppositionelle, die während der SED-Demonstration zum 69. Jahrestag der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht für demokratische Bürgerrechte demonstrieren wollten, von der Stasi verhaftet und ins Exil gezwungen. Allerdings hatten sie und Werner Fischer durchsetzen können, einen DDR-Pass zu erhalten. Nach einem sechsmonatigen Aufenthalt im Vereinigten Königreich kehrten beide im August 1988 in die DDR zurück.
Rückblickend stellte Bärbel Bohley fest:
Ich wollte aber wieder zurück, denn wenn man etwas in eine Sache investiert hat, dann kann man es nicht aufgeben. Ich habe mich in der DDR auch zu Hause gefühlt, nicht weil ich sie liebe, sondern weil ich viele Freunde dort habe oder hatte. Insofern war es wirklich ein Ort, den man verändern muss. Ich habe im Westen gelernt, dass eine Opposition, zu der man sich bewusst bekennt, einfach in die DDR gehört, und das hat die DDR-Opposition vorher nicht gemacht.
Bärbel Bohley 1989
Am 9. September 1989 war Bohley als Initiatorin der Bürgerrechtsbewegung Neues Forum in Grünheide Erstunterzeichnerin des Gründungsaufrufes „Die Zeit ist reif“, der grundlegende Veränderungen forderte. Bärbel Bohley übernahm den Kontakt zu bundesdeutschen Journalisten und meldete gemeinsam mit der Zahnärztin Jutta Seidel die Tätigkeit des Neuen Forums beim DDR-Innenministerium an. Der SED-Staat wies das Dialogangebot zunächst als „staatsfeindlich“ zurück und bestätigte die Anmeldung – nachdem mehrere Demonstrationen stattgefunden hatten – erst am 8. November 1989. Während der Wende in der DDR wurde ihre Wohnung zur Büro-Zentrale der oppositionellen Sammlungsbewegung, die schnell über 250.000 Unterstützer fand.
Von Mai bis Dezember 1990 vertrat sie das Neue Forum in der Ost-Berliner Stadtverordnetenversammlung Im September 1990 besetzte sie zusammen mit anderen Aktivisten unter dem Motto Meine Stasi-Akte gehört mir! das Gebäude der ehemaligen Staatssicherheit in der Berliner Normannenstraße. Mit einem Hungerstreik und einer Mahnwache erstritt sie gemeinsam mit anderen Bürgerrechtlern die Öffnung der Stasi-Akten für die persönliche und wissenschaftliche Aufarbeitung.
Hilfe in Europa und Aufarbeitung des DDR-Unrechts
Nachdem Bohley Einsicht in ihre Stasi-Akte genommen hatte, beschuldigte sie 1993 den PDS-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Gregor Gysi, der inoffiziellen Mitarbeit im MfS. Gysi war während ihrer Haft in der DDR ihr Rechtsanwalt. Gegen diese Behauptung wehrte sich Gysi in mehreren Prozessen erfolgreich. Die langsame Aufarbeitung des DDR-Unrechts in der Bundesrepublik soll sie am 9. Juli 1991 bei einer Veranstaltung des Bundesjustizministeriums in Bonn mit dem Satz: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat“ beschrieben haben. Dieser Satz ist jahrzehntelang immer wieder so zitiert worden, allerdings behauptet der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, er sei auf der Bonner Veranstaltung nicht gefallen. In seinem Buch „Die Übernahme“ sowie in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zitiert Kowalczuk aus der Broschüre „40 Jahre SED-Unrecht – eine Herausforderung für den Rechtsstaat“, die schriftliche Fassungen der Redebeiträge der Bonner Tagung dokumentiert:
Ich glaube auch nicht, dass die Strafjustiz in der Lage sein wird, Gerechtigkeit herzustellen. Die Schwierigkeiten zeigen sich an allen Ecken und Enden. Recht, so erscheint es uns jedenfalls manchmal, kommt als Ungerechtigkeit in den neuen Ländern an. Und darin sehe ich ein großes Problem. Unser Problem war ja nicht, den westlichen Rechtsstaat zu übernehmen, unser Problem war, dass wir Gerechtigkeit wollten. Und insofern haben wir natürlich dem Westen unsere Probleme vor die Füße gekippt in der Hoffnung, dass mit dem westlichen Rechtsstaat auch Gerechtigkeit in die neuen Länder kommt. Aber es sieht ja so aus, als ließe diese Gerechtigkeit lange auf sich warten. Und ich weiß auch nicht, ob das Recht selbst, das westliche Recht, dies überhaupt leisten kann. Ob da nicht vielmehr Politiker gefragt sind, Zeichen von Gerechtigkeit zu setzen.
Während der Räumung der Mainzer Straße war sie maßgeblich an den Verhandlungen zwischen den Besetzern und dem Innenstadtrat und der Polizei beteiligt. 1994 trat Bohley als Spitzenkandidatin für das Neue Forum zur Europawahl an. Im Jahr 2002 unterstützte sie die FDP im Wahlkampf zur Bundestagswahl.
Für ihre Verdienste um die friedliche Revolution in der DDR und die deutsche Wiedervereinigung mit dem Bundesverdienstkreuz (1994) und dem Nationalpreis (2000) ausgezeichnet, engagierte sie sich seit 1996 unter anderem während der Jugoslawienkriege. Von 1996 bis 1999 leitete sie dort für die nach dem Dayton-Friedensabkommen von 1995 eingesetzte Internationale Friedensbehörde für Bosnien und Herzegowina OHR (Office of The High Representative) in Sarajevo ein Wiederaufbauprogramm für im Bosnienkrieg zerstörte Häuser und organisierte die Rückkehr von Kriegsflüchtlingen in ihre Heimat.
Im März 1996 verklagte Bohley das Satiremagazin Eulenspiegel, das eine „miese Porno-Montage mit Kanzler Kohl“ auf seinem Titelblatt abgedruckt hatte, auf 100.000 DM Schadensersatz. Die satirische Darstellung spielte auf das Treffen ehemaliger DDR-Bürgerrechtler mit dem damaligen Bundeskanzler in Berlin an. Auf Grund eines Vergleiches vor dem Landgericht Hamburg zahlte Eulenspiegel schließlich 20.000 DM an Bohley.
Bohley war Gründungsmitglied des im Juni 1996 gegründeten Bürgerbüros e. V. – Verein zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur.
Ehrenamtlich gründete Bärbel Bohley unter anderem die Hilfsorganisation Seestern e. V., die Kinder aus bosnischen Flüchtlingsfamilien aller örtlichen Ethnien kostenlose gemeinsame Sommerferien ermöglicht. Seit Sommer 2006 hilft die Organisation auch Kriegsflüchtlingen vor Ort, sie baute in der Region Domanovići nahe Mostar unter finanzieller Unterstützung des deutschen Auswärtigen Amts für 28 Flüchtlingsfamilien Zisternen zur Wasserversorgung. Bis März 2007 entstanden, finanziert vom deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, weitere 71 Zisternen, mit denen die Ansiedlung von im Krieg Vertriebenen in der Region gefördert werden soll.
Im Jahre 2001 kehrte sie vorübergehend aus Kroatien zurück und war gemeinsam mit u. a. dem DDR-Bürgerrechtler Wolfgang Templin und dem früheren SED-Politbüro-Mitglied Günter Schabowski Mitglied im Gesprächskreis Innere Einheit des damaligen CDU-Kandidaten für das Amt des Berliner Regierenden Bürgermeisters, Frank Steffel.
Nachrufe
Robert Ide nannte Bohley in Die Zeit und Tagesspiegel „die bekannteste Ostdeutsche nach Angela Merkel. Oder besser gesagt: vor Angela Merkel.“ Regina Mönch schrieb in der FAZ:
Berühmt wurde sie über Nacht, als Fernsehen und Rundfunk im September 1989 die Nachricht verbreiteten, dass sich im Osten Bürgerrechtler zum Neuen Forum zusammengeschlossen haben. Die Malerin Bärbel Bohley war eine der wenigen, die dieser unbekannten Gruppe ein Gesicht gaben. … Ihren Kampf gegen Gregor Gysi und die Bagatellisierung der Verstrickungen in das Machtsystem der SED und deren Erben hat sie nur scheinbar verloren, vor Gericht. Die Wahrheit lässt sich nicht mit juristischen Winkelzügen aus der Welt schaffen, so wie der Name Bärbel Bohley immer für das Beste stehen wird, das die Deutschen im 20. Jahrhundert zustande brachten.
Textgrundlage: https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%A4rbel_Bohley
Lebensdaten
Bärbel Bohley (geborene Brosius; * 24. Mai 1945 in Berlin; † 11. September 2010 in Gehren) war eine Bürgerrechtlerin der DDR und Malerin. Bekannt wurde sie als Mitbegründerin des Neuen Forums in der DDR. (Wikipedia)
Die Künstlerin
Bärbel Bohley: »Ich bin keine politische Künstlerin. Ich bin ein politischer Mensch, der Kunst macht.«
Beiträge zur Ausstellung „Bärbel Bohley – die Künstlerin | Grafik und Zeichnung“.
Private Webseite
Gedenkseite