Formen der Idee
„Klimafreundlich“
statt kundenfreundlich
„Ihre BahnCard wird digital“ und das bewährte, robuste Plastikkärtchen wird abgeschafft. Wer, um „unserer Umwelt Gutes zu tun“, ohne Händie lebt, soll nun mit einem ausgedruckten Zettel reisen.
Der Gegenwart. — 14. März 2024
Heute kam Mailpost vom BahnCard Service der DB Fernverkehr AG. Seit Jahren reise ich gelegentlich zum halben Preis, seit einiger Zeit mit der Senioren BahnCard 50 (2. Klasse) für 122,00 Euro pro Jahr. Bereits bei der letzten Buchung wurde ich beleiert:
„Wissenswert für Sie: Bereits seit April 2013 reisen Sie mit Ihrer BahnCard in unseren Fernverkehrszügen innerhalb Deutschlands mit 100% Ökostrom. Mit der Umstellung des Versands Ihrer Rechnungsdokumente von Brief auf E-Mail möchten wir gemeinsam mit Ihnen einen weiteren aktiven Beitrag zur Schonung von Umwelt und Ressourcen leisten.“
Da der gelobte „100% Ökostrom“ wohl nicht immer verfügbar ist, verkehren viele Züge nicht fahrplangemäß. Die häufigste Ausrede bei Unpünktlichkeit ist die „verspätete Übergabe aus dem Ausland“. Im Ausland gibt es also noch weniger „Ökostrom“.
Aber wir schweifen ab. Meine aktuelle BahnCard gilt noch bis 16.4.2024. Deshalb die Mail mit dem Betreff: „Wichtige Information: Ihre BahnCard wird digital.“
Wenn eine Behörde oder ein Unternehmen „digital“ werden will, heißt das, dass der Bürger/Nutzer vor ein Terminal gesetzt wird und sich durch unendliche Formularfelder klicken muß. Besonders schön, wenn man mit vier Personen und vier Koffern nach Kapstadt fliegen möchte und nicht bedacht hat, dem Computer-Gott beim Einchecken die Koffer in einer bestimmten Reihenfolge darzubieten, so dass das Untergewicht des einen Koffers mit dem Übergewicht eines anderen Koffers ausgeglichen werden könnte. Man hat es garantiert verkehrt gemacht. Der untergewichtige Koffer kann nicht mehr zum schnellen Umpacken zurückgeholt werden und so muß das Übergewicht voll bezahlt werden.
Aber wir schweifen ab. Die Mail vom BahnCard Service lautet:
Hallo Herr Ralf Schutt,
als klimafreundliches Verkehrsmittel sieht sich die Deutsche Bahn in Zeiten des Klimawandels in einer besonderen Verantwortung zu handeln. Um gemeinsam mit Ihnen unserer Umwelt Gutes zu tun, werden wir künftig auf Plastik bei der BahnCard verzichten.
Das bedeutet für Sie, dass Ihnen Ihre BahnCard mit Gültigkeitsbeginn ab dem 09.06.2024 oder später ausschließlich in digitaler Form zur Verfügung stehen wird.
Für die Nutzung Ihrer digitalen BahnCard benötigen Sie ein Kundenkonto auf bahn.de, die App „DB Navigator“ auf Ihrem Smartphone und eine PIN zur Authentifizierung.
Es folgen die PIN und weitere Anweisungen: „So legen Sie Ihr Kundenkonto auf bahn.de an“. Der Opa aus dem vorigen Jahrhundert steht nun vor einem Problem „Ihnen steht kein Smartphone zur Verfügung?“ und bekommt die spezielle Direktive:
„Dann nutzen Sie als Nachweis für die BahnCard das Ersatzdokument, welches Ihnen ab dem 09.06.2024 ebenfalls in Ihrem Kundenkonto unter bahn.de/bcservices als Download zum Ausdrucken zur Verfügung gestellt wird. Ihre aktuell gültige BahnCard 25/50 Plastikkarte kann bis zu dem aufgedruckten Gültigkeitsende weiterhin genutzt werden. Im Falle eines Verlusts kann ab dem 09.06.2024 keine Plastik-Ersatzkarte mehr ausgestellt werden. Für BahnCards mit Gültigkeitsbeginn ab dem 09.06.2024 oder später haben Sie aufgrund der Digitalisierung ein Sonderkündigungsrecht. Sie können dieses Sonderkündigungsrecht wahrnehmen, indem Sie innerhalb von vier Wochen nach Zugang dieser E-Mail in Textform gegenüber der DB Fernverkehr AG (z. B. über das Kündigungsformular) kündigen.“
Mir platzt die Hutschnur, daran ändern auch nicht die „freundlichen Grüße“ von Hans-Joachim L., Leiter Preismanagement BahnCard, und Dr. Silke K., Leiterin Kundenbindung. So setze ich für mein seelisches Gleichgewicht ein Antwortschreiben auf, denn ich weiß natürlich, dass bei „100% Ökostrom“ meine Argumente genau 0% Wirkung haben werden.
Sehr geehrte Frau Dr. K., sehr geehrter Herr L.,
als langjähriger BahnCard50-Kunde trifft mich Ihre Entscheidung hart, denn sie verkompliziert einseitig das bisher bewährte Verfahren. Ich bin auch nicht damit einverstanden, dass Sie mich bei Ihrer einseitigen Entscheidung scheinbar empathisch mit ins Boot holen wollen („gemeinsam mit Ihnen“). Wenn Sie „unserer Umwelt Gutes … tun“ wollen, so drucken Sie doch die Angaben statt auf Plastik auf Pappe wie eine Otto-Rabatt-Karte! Daraus, dass Sie diese naheliegende Variante nicht anbieten wollen und mir auch diesbezüglich keine – vielleicht nachvollziehbaren? – Überlegungen mitteilen, statt dessen „Zeiten des Klimawandels“ beschwören und keine Argumente außer „ausschließlich“ und „werden wir künftig“ haben, ersehe ich, dass Sie nicht aufrichtig sind.
Ich habe kein transportables Telefon für die von Ihnen vorgeschlagene „digitale BahnCard“ und ich bin auch nicht so dumm, mir während meiner Reisen zusätzlichen Streß mit dem Ladezustand eines mitgeführten elektrischen Geräts zu machen. Sie drängen mich also zu der hinterwäldlerischen Methode, mir eine BahnCard auf einem Blatt Papier auszudrucken und diesen Zettel in dieser nicht-verschleißfesten Form mitführen zu sollen.
Ihre Mail hat mich auch formal sehr geärgert. Die Bahn ist permanent unpünktlich, die Durchsagen in den Zügen sind von der akustischen Qualität eine Qual für die Ohren und gestreikt wird ohne Ende. Sehr seltsam, dass Sie gerade in diesen Tagen den bisherigen Service verschlechtern, aber an zufriedenen Kunden liegt Ihnen ja wohl nichts. Sie verschwenden keine Zeile, um für Ihre einseitige Entscheidung um Verständnis zu bitten oder sich für etwaigen Mehraufwand des Nutzers zu entschuldigen. Sie teilen Ihre Entscheidung mit und Basta! Lediglich technische Hinweise von der „Leiterin Kundenbindung“.
Ich werde mir genau überlegen, ob ich meine BahnCard50 nach Ablauf überhaupt verlängern werde, sondern statt dessen wieder mehr aufs „klimafreundliche“ Auto umsteige. Auf jeden Fall werde ich diese Episode in meinem Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis bei jeder Gelegenheit weitererzählen. Sie können davon ausgehen, dass es für Ihre Art „Klimaschutz“ und „Kundenbindung“ nur Kopfschütteln gibt. „klimafreundlich“ statt kundenfreundlich – nein, danke!
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Schutt
Die Eisenbahn ist
in jeder Hinsicht ein
ernstes Geschäft, das schnellstmöglich beendet werden sollte. Sie verwandelt einen Mann vom Reisenden in ein lebendes Paket.
John Ruskin (1819–1900)
Kundenbindung
Die Bahncard (Eigenschreibweise: BahnCard) ist eine kostenpflichtige Rabatt- bzw. Fahrkarte der Deutschen Bahn. Die BahnCard 25 und 50 gewährt dem Inhaber Rabatte und dient der Kundenbindung, die BahnCard 100 richtet sich an Vielfahrer und inkludiert alle innerdeutschen Bahnfahrten der Deutschen Bahn sowie das Deutschlandticket. Die Bahncard ist vergleichbar mit der österreichischen Vorteilscard bzw. dem Klimaticket und dem Schweizer Halbtax bzw. dem Generalabonnement. Mehr als 5 Millionen Menschen besitzen eine Bahncard (Stand: September 2022). Bahncard-Besitzer können am Kundenbindungsprogramm BahnBonus teilnehmen und für Umsätze Punkte sammeln. Seit 2007 werden Aktionsvarianten der Karte herausgegeben. (Wikipedia)
Fahrpreisnacherhebung
Bei der Vorstellung, die BahnCard künftig nur noch digital vorzeigen zu können, kommt auch eine weitere Frage auf. Denn was passiert, wenn man seine BahnCard wegen eines leeren Akkus im Handy oder eines technischen Problems nicht digital vorzeigen kann und keine Papierkarte hat? „Wenn Reisende ihre digitale BahnCard bei der Fahrkartenkontrolle nicht vorzeigen können, gilt, was auch in anderen Fällen wie beispielsweise bei einer vergessenen (Plastik-)BahnCard oder einem verlorenen Ticket gilt: Die Reisenden erhalten zunächst eine Fahrpreisnacherhebung, können sich diese aber im Nachgang rückerstatten lassen“, erklärt die Sprecherin der Bahn.
Jonah Reule: „BahnCard aus Plastik verschwindet – was Kunden wissen müssen“, 24RHEIN, 5.1.2024