Artefakte und Produkte
Bayreuth von Ernst Schneidler
Der Schriftentwerfer, Graphiker und Hochschulprofessor stand auf der Gottbegnadeten-Liste und erhielt das Bundesverdienstkreuz. Seine Fraktur ist von unvergänglicher Schönheit.
Der Gegenwart. — 15. August 2022
Anfangen, anfangen, immer wieder mit Ernst anfangen.
Ernst Schneidler
Für das markante Logo dieser Webseite können wir die Schrifttype Bayreuth einsetzen. Der unverkennbare Ursprung aus einem schwungvollen Breitfederzug und die gelungene Ausarbeitung der verschiedenen Buchstaben zu eigenwilligen Charakteren bewirkt, dass man sich an der Schrift nicht sattsehen kann. Der sonst bei gebrochenen Schriften oft anzutreffende Eindruck des Monotonen und Schematischen, wenn die Buchstaben wie Soldaten in der Antreteordnung kaum eine individuelle Regung wagen, ist bei Schneidlers Bayreuth nicht zu sehen.
Die Bayreuth ist aufgrund ihrer Qualität dauerhaft beliebt. Sie wird auf mehreren Plattformen angeboten, die Free Fonts zur Verfügung stellen, und ist dort unter den Rubrizierungen „Gotische“ bzw. „Gothic“ und „Mittelalterlich“ zu finden. Die Bayreuth haben wir von DaFont.com bezogen.
Mit der Bayreuth sind wir in bester Gesellschaft
Im Portfolio von DaFont.com befinden sich 68.287 Schriftarten. Zum Vergleich: In der Library von Google Fonts sind gerade einmal 1.442 Schriftfamilien, obwohl man auch damit für fast alle üblichen Anwendungen akzeptable Lösungen finden kann. DaFont.com verzeichnet allein für die Bayreuth 119.723 Downloads. Sollten nur die Hälfte davon zu einem Einsatz dieser Schrift auf einer Webseite führen, so würde das bedeuten, dass es über 50.000 Webseiten mit der ausgeprägten Fraktur gibt. Wir sind also in bester Gesellschaft.
Nach Angaben der Plattform fonts2u.com lagen die Urheberrechte für die Bayreuth bei Ernst Schneidler für C. E. Weber, Stuttgart 1932. Die C. E. Weber Schriftgießerei Stuttgart hatte eine Hausdruckerei, in der ihre Schriftenkataloge und Musterdrucke hergestellt wurden, die gelegentlich noch im Antiquariatshandel auftauchen.
Auf der Typografie-Website Typografie.info erklärt Ralf Herrmann in einem Eintrag vom 9. November 2013: „Die Schriftgießerei C. E. Weber geht auf Christian Emil Weber zurück, der sie 1856 in Stuttgart gründete. Nach der Schließung der Gießerei im Jahre 1971 gingen die Schriften in den Besitz der D. Stempel AG sowie zu Joh. Wagner, Ingolstadt.“
Architekturstudium bei Peter Behrens in Düsseldorf Friedrich Hermann Ernst Schneidler studierte an der Kunstgewerbeschule Düsseldorf Architektur bei Peter Behrens, später war er Schüler bei Fritz Helmuth Ehmcke. Ab 1905 arbeitete er als Lehrer in Solingen und zog 1909 nach Barmen. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat. 1920 erfolgte seine Berufung an die Württembergische Staatliche Kunstgewerbeschule als Vorstand der Fachabteilung für graphische Künste und Buchgewerbe und als Professor. Schneidler gründete 1925 die Juniperus-Presse.
[Anmerkungen vom Gegenwart:] Um dem Leser, der es bis hierhin geschafft hat, zu erklären, was mit Juniperus-Presse gemeint ist, haben wir kurz mal nachgesehen. Dabei fällt auf, dass die Jahresangabe bei Wikipedia nicht stimmen kann, denn Ernst Schneidler schreibt in einem Brief vom 2. September 1953 an den befreundeten amerikanischen Schriftgestalter und Kalligraphen Paul Standard:
Ich habe auch ganze Bücher gedruckt, in den frühen zwanziger Jahren, z. B. Penthesilea von H. v. Kleist und einen Hamlet in englischer Sprache. Das war meine Juniperus-Presse, nach kurzer Zeit wegen Geldmangel verkracht.
Zudem schreibt Sebastian Bosky in einem Beitrag für eine Publikation, die 2013 begleitend zur Ausstellung „Buch – Kunst – Schrift: F. H. Ernst Schneidler“ (Herausgeber: Nils Büttner, Anne-Katrin Koch und Angela Zieger) im Klingspor-Museum Offenbach erschien (Quelle):
Nicht ohne Stolz erwähnt Schneidler das relativ kurze Wirken seiner Presse. In den Jahren ihres Bestehens, von 1921 bis Anfang 1926, gingen aus ihr nicht weniger als 25 Drucke hervor. Die gedankliche Geburt des Namens der »Juniperuspresse« geht auf einen Spaziergang Schneidlers im Berliner Grunewald im Frühjahr 1914 zurück. Die Wachholdersträucher (lat. iuniperus), die er dort sah, waren dabei nach eigenem Bekunden für sein Druckunternehmen namengebens.
[Weiter mit Wikipedia:] Schneidlers Hauptwerk, eine Sammlung von Studienblättern für Büchermacher, die den Namen Der Wassermann erhielt (1925 begonnen), kam nach Kriegsende in vier Abteilungen (Kassetten) nach Sachgebieten geordnet – bei nur fünf vollständigen Exemplaren – mit etwa 60 unvollständigen Exemplaren in den Handel. Erstmals umfassend öffentlich gezeigt wurde das Mappenwerk 1996 im Rahmen der von Wolfgang Kermer kuratierten Ausstellung Zwischen Buch-Kunst und Buch-Design: Buchgestalter der Akademie und ehemaligen Kunstgewerbeschule Stuttgart in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart sowie 1997 in einer gleichnamigen Präsentation im Klingspor-Museum in Offenbach am Main.
NSDAP-Mitgliedschaft und „Führerliste“Trotz seiner NSDAP-Mitgliedschaft ab 1939 und der Aufnahme in die Gottbegnadeten-Liste („Führerliste“) der wichtigsten Gebrauchsgrafiker des NS-Staates erhielt Schneidler 1946 bei der Wiedereröffnung der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart die Lehrerlaubnis, nachdem die amerikanische Militärregierung die Weiterbeschäftigung „anheimgestellt“ hatte. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er als Mitläufer eingestuft.
Schneidler wurde auf seinen Antrag hin 1948 in den Ruhestand versetzt, erklärte sich aber bereit, den Unterricht bis zur Klärung der Nachfolgefrage 1949 weiterzuführen. Durch seinen Einfluss auf das damalige Akademierektorat unter Hermann Brachert misslang die vorgeschlagene Berufung des seinerzeit bereits international bekannten jüdischen Malers, Grafikers und Schriftgestalters Imre Reiner, der zur Zeit seines Studiums als „Lieblingsschüler“ Schneidlers galt, nach 1933 von diesem aber fallengelassen worden war.
1953 wurde Schneidler mit dem Verdienstkreuz (Steckkreuz) der Bundesrepublik Deutschland geehrt. Die Staatliche Akademie der bildenden Künste in Stuttgart, die ehemalige Württembergische Kunstgewerbeschule, an die er 1920 berufen wurde, führte ihn als Ehrenmitglied der Akademie. Schneidler verstarb im Januar 1956 durch einen Treppensturz im eigenen Haus. Er hinterließ ein umfangreiches malerisches, kalligraphisches und schriftschaffendes Werk. Sein künstlerischer Nachlass wurde zu einem großen Teil vom Auktionator Thomas Leon Heck übernommen.
Konservative Linie, auch wo er „modern“ sein wollte
F. H. Ernst Schneidler gilt als Begründer einer sogenannten Stuttgarter Schule auf dem Sektor graphischer Gestaltung. Im Vergleich zu der am Bauhaus und von der „Neuen Typographie“ (z. B. Willi Baumeister) in den zwanziger Jahren propagierten Auffassung vertrat er eine eher konservative Linie, die selbst dort spürbar blieb, wo er „modern“ sein wollte. Seine Schüler waren u. a. Carl Amann, Albrecht Appelhans, Eva Aschoff, Walter Brudi, Werner Bunz, Eric Carle, Eugen Funk, HAP Grieshaber, Klaus Grözinger, Margret Hofheinz-Döring, Albert Kapr, Emil F. Karsten, Carl Keidel, Hans Joachim Kirbach, Eberhard Koebel (tusk), Otto Kraft, Hilde Laupp, Hermann Georg Lechler, Erich Mönch, Wilhelm Nauhaus, Richard Neuz, Lilo Ramdohr, Lilo Rasch-Naegele, Imre Reiner, Hedwig Reiner-Bauer, Walter Renz, Harald Schaub, Peter Schneidler, Elisabeth Schneidler-Schwarz, Hans Schweiss, Willi Seidl, Rudo Spemann, Fritz Stelzer, Grete Stern, Georg Trump, Willi Vogt, Klaus Vrieslander. Eric Carle sagte über sein Studium:
Nach der verhassten Schule habe ich acht Semester bei Professor Ernst Schneidler an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart studiert. Das waren die prägendsten und glücklichsten Jahre.
2011 würdigte die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart sein Schaffen mit der Ausstellung Buch – Kunst – Schrift: F. H. Ernst Schneidler in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. 2013 wurde die Ausstellung im Klingspor-Museum in Offenbach am Main wiederholt und durch einen Ausstellungskatalog ergänzt.
Schriften von F. H. Ernst Schneidler
Angesichts der eindrucksvollen Liste von Schriften von F. H. Ernst Schneidler sollte man berücksichtigen, wie unendlich mühselig der Schriftentwurf zu seiner Zeit war. Ohne den Einsatz von unterstützenden Computerprogrammen – wie das heute längst Routine ist –, mußten damals von allen Lettern mehrfach sorgfältigste Entwurfs- und Reinzeichnungen angefertigt werden.
Schneidler Schwabacher (1911–1913)
Schneidler-Fraktur (1913–1916)
Schneidler Werk-Latein (1914–1919)
Schneidler-Schrägschrift (1914–1919)
Buchdeutsch (1923–1926)
Deutsch-Römisch (1921–1928)
Juniperus-Antiqua (1925)
Kontrast (1929)
Ganz Grobe Gotisch (um 1930)
Graphik (1929/1934)
Bayreuth (1932/1934)
Horaz (1931–1933)
Legende (1931–1937)
Zentenar-Fraktur (1937–1939)
Schneidler-Mediaeval (1932–1938)
Stempel-Schneidler (1939)
Amalthea (1956)
Textgrundlage: https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Hermann_Ernst_Schneidler
Friedrich Hermann Ernst Schneidler (* 14. Februar 1882 in Berlin; † 7. Januar 1956 in Gundelfingen) war Typograf, Kalligraph und Hochschulprofessor. Die Schrift Bayreuth (1932/1934) ist – neben vielen anderen – sein Werk. (Wikipedia)
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