Punkte auf der Landkarte
Das Brückenmännchen
an der Augustusbrücke
Bert Wawrzinek stellt eines der ältesten Wahrzeichen Dresdens vor.
Der Gegenwart. — 6. März 2025
Von BERT WAWRZINEK | Die sächsische Landeshauptstadt verfügt über nicht wenige weltbekannte Wahrzeichen, worunter im Zeitalter des Massentourismus vor allem architektonische Meisterleistungen wie Frauenkirche, Zwinger oder „Blaues Wunder“ verstanden werden. Vor der Industrialisierung, der Fremdenverkehr steckte noch in den Kinderschuhen, dominierten hingegen christliche Wallfahrer, Handelsreisende und vor allem Handwerksburschen Europas Straßen. Allein der Adel schickte seine Söhne auf Kavalierstour in die Welt. Wahrzeichen – Erkennungszeichen der Städte – konnten vielfältigen Ursprungs sein. Da waren Weichbildsteine (die der Umgrenzung der Orte dienten), Gerichtszeichen (z. B. Rolandssäulen), Schlußsteine an Brücken oder Domen, Wirtshauszeichen, die Türme einer Stadt oder sagenhafte bzw. schwer erklärbare Phänomene. Doch nur wenige jener außergewöhnlichen Dinge, die einen Ort letztlich unverwechselbar machen, eroberten Herz und Phantasie des einfachen Volkes auf Dauer, „bürgerten“ sich ein, um als „Wahrzeichen“ allgemeine Gültigkeit zu beanspruchen. Eine besondere Rolle spielten dabei gerade die Handwerksgesellen, welche seit dem Spätmittelalter auf mehrjährige Wanderschaft gingen, um auch außerhalb der engeren Heimat Erfahrungen zu sammeln. Bis zum Aufkommen der Wanderbücher sollte der reisende Handwerksbursche also die Wahrzeichen einer durchlaufenen Stadt genau gekannt haben; diente deren Kenntnis gegenüber den gestrengen Altgesellen als Beweis für den angegebenen Aufenthalt.
Kein Touristenmagnet – und doch eines der ältesten bekannten Wahrzeichen Dresdens ist das Brückenmännchen. Hermann Meynert (Janus) nennt es 1833 im „Charaktergemälde von Dresden“ als eines von drei erwähnenswerten Wahrzeichen der Elbestadt, und auch Cornelius Gurlitt verzeichnet es 1901 in seinem Inventar. Ursprünglich als Schlußstein in der Mitte von Dresdens berühmter Elbquerung, soll das beinah lebensgroße Halbrelief aus Sandstein deren Baumeister Matthäus Focius (Matthaeus Fotius) zeigen. Die berühmte steinerne Elbbrücke mit ihren 24 Pfeilern und 23 Bögen wurde urkundlich erstmals 1287 erwähnt. In jener Zeit aber war es gebräuchlich, daß sich die Baumeister von Brücken und Kirchen auf Schlußsteinen selbst verewigten. Und so schaut das steinerne Männchen sitzend, die Hände in den Schoß gelegt, noch immer unbewegt elbabwärts. Sommers wie winters trägt es einen Rock mit Knopfleiste, dazu Pelzmütze und Stiefel. Der Dresdner Volksmund hat das Steinbild einst derb „Matz-Fotze“ genannt. Als geflügeltes Wort fand es gar Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch der Residenzstadt. Kein Geringerer als Gaetano Chiaveri (1689–1770), der Schöpfer der Hofkirche, benutzte den Begriff in einem Brief an einen Hofbeamten, den er damit als „Duckmäuser“ zu charakterisieren suchte. Nicht zuletzt Goethe ließ in seiner Farce „Hanswursts Hochzeit“ (1775) einen „Matz Fotz von Dreßden“ auftreten.
Am 19. März 1813, beim Abzug napoleonischer Truppen, wurde besagter Brückenpfeiler samt Wahrzeichen gesprengt. Indes schuf Bildhauer Christian Gottlieb Kühn nach einer historischen Ansicht bald (1814) Ersatz. Auch das ramponierte Original wurde wieder aufgefunden, als die Kühnsche Kreation längst die reparierte Brücke zierte. Über die Identität des Dargestellten sind vielfach Überlegungen angestellt worden, „von denen aber keine eine einigermaßen stichhaltige Begründung“ habe. (Gurlitt) Aus dem im Volksmund überlieferten „Matz Fotze“ glaubte man ableiten zu können, daß „Matthäus Fotius“ (auch Matteo Foccio oder Fuccio), der sagenhafte Erbauer unserer Brücke, jener florentinische Baumeister gewesen sei, der um 1250 in Florenz und Neapel Bauten ausgeführt hatte. Doch zog es zu jener Zeit manch Baumeister eher von Deutschland gen Italien. Nach Wilhelm Schäfer könnte der im Volk erhaltene deutsche Name „Matthäus Fotz“ ( = Mund, Maul, Gesicht) ebenso nachträglich italisiert worden sein.
Wer heute nach dem Brückenmännchen Ausschau hält, wird nicht lange suchen müssen. Unterhalb des Traditionslokals „Italienisches Dörfchen“ sind es nur wenige Schritte. Falls kein parkender LKW die Sicht versperrt, darf man sich von den Glascontainern des – einen Steinwurf entfernten – „Theaterkahns“ nicht irritieren lassen. Dahinter erhebt sich der erste Brückenpfeiler, der auf halber Höhe das einst so berühmte Wahrzeichen trägt, während rechts davon die Blechlawine einer unsentimentalen Zeit über das Terrassenufer donnert.
Es überrascht, daß der steinerne Mann den bekannten Abbildungen des Denkmals nur entfernt gleicht. Das 1814 wiederaufgefundene Original des Steinbildes hatte der „Restaurateur Helbig“, Besitzer der gleichnamigen Gaststätte, einst unter dem Sockel der Brückenrampe neben seinem Etablissement einmauern lassen. Da es immer mehr verwitterte, ließ er eine Kopie davon anfertigen und neben das Original setzen. Offenbar hat man sich beim Neubau der Brücke 1907/10 dann für jenes – eigentlich dritte – Brückenmännchen und gegen das zweite (die erste Kopie nach der Brückensprengung 1813 und bis zum Neubau als Schlußstein präsent) entschieden. Nach Gurlitt war das Originalbild 1901 „verschollen“, während die Kopie in Helbigs Restaurant gezeigt worden sei. Auch wenn die zugehörige Zeichnung wieder verwirrend dem ersten Ersatzbild von 1814 ähnelt: Helbig hatte immerhin das Original zur Verfügung und vielleicht entspricht „unser“ Brückenmännchen ja doch der Helbigschen Kopie des ursprünglichen Wahrzeichens. Restauriert wurde es zuletzt 1967.
Urig schaut er schon aus, der kleine Kerl, archaisch und weit weniger würdevoll als sein Kühnscher Nachfolger von 1814, trutzig irgendwie und eine Spur verschlagen. Aus den feinen Strümpfen sind wieder derbe Stiefel geworden, wie sie einst die Steinmetze trugen; Rock und Mütze zeigen deutlich schlichteren Zuschnitt. Viel hat das Dresdner Brückenmännchen schon gesehen und auch 2025 wird es weiter stoisch auf die Elbe blicken, während ringsumher eine Welt aus den Fugen gerät. ■
LITERATUR
Cornelius Gurlitt, Die Kunstdenkmäler Dresdens. Zweites Heft. Dresden 1901
Janus (Hermann Meynert), Charaktergemälde von Dresden, grau in grau; für Alle, welche die Elbresidenz bewohnen oder kennenzulernen wünschen. Pößneck 1833
Martin Bernhard Lindau, Geschichte der königlichen Haupt- und Residenzstadt Dresden von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Zweite, verb. Aufl. Dresden 1885
Wilhelm Schäfer, Deutsche Städtewahrzeichen. Ihre Entstehung, Geschichte und Deutung. Erster Band. Leipzig 1858
© Bert Wawrzinek — Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Fakten & Daten
Die Augustusbrücke ist eine Brücke über die Elbe in Dresden und verbindet die historischen Kerne der Altstadt und der Neustadt, die bis ins 16. Jahrhundert die selbstständige Stadt Altendresden war. Ursprünglich war sie der größte Brückenbau des deutschen Hochmittelalters sowie eines der größten mittelalterlichen Verkehrsbauwerke Europas. Unter August dem Starken wurde die Brücke durch Matthäus Daniel Pöppelmann grundlegend umgestaltet und zwischen 1907 und 1910 durch einen Neubau von Hermann Klette und Wilhelm Kreis ersetzt. Seit 2022 ist sie vorrangig für öffentliche Verkehrsmittel, Fuß- und Radverkehr vorgesehen und für den motorisierten Individualverkehr gesperrt. Die Augustusbrücke ist eine von fünf Brücken im Innenstadtbereich Dresdens. Mehrere Linien der Dresdner Straßenbahnen verlaufen über die Brücke. Südlich der Elbe befinden sich der touristisch bedeutsame Theaterplatz sowie der Postplatz als wichtigster Straßenbahnkreuzungspunkt. Über die Augustusbrücke fahren daher etwa im Zweiminutentakt je Richtung Straßenbahnen der Linien 3, 4, 7 und 9. Nach dem Wegfall der teileingestürzten Carolabrücke trägt sie die Hauptlast der Straßenbahnen. (Wikipedia)

Anhänger der „Brückenmännchen-Medaille
des WikiProjekts Dresden für die erworbenen Verdienste
in der Wikipedia“, 2010 — Foto: DynaMoToR/Wikimedia
Popularität
Das Brückenmännchen ist eine Relieffigur aus Sandstein an der Dresdner Augustusbrücke und durch seine Popularität eines der Wahrzeichen der Stadt. Dresdner Redewendungen, wie „Ein Brückenmännchen machen“, „Das Brückenmännchen besuchen“ oder „Vom Brückenmännchen gerufen werden“ waren noch im 19. Jahrhundert Umschreibungen für den dringend nötigen Gang zur Toilette. (Wikipedia)