Wandbild irgendwo mit Menschen von überall. — Illustration: Dimitris Vetsikas auf Pixabay

Melting Pots, Salad Bowls und die Völkermühle

Ein Schmelztiegel ist ein Tiegel, in dem Substanzen (meist Metalle) gemischt und geschmolzen werden. Die Metapher „Melting Pot“ wurde das erste Mal von Jean de Crèvecoeur in seinem 1782 erschienenen Essay Letters from an American Farmer verwendet. Ein gebräuchlicher Ausdruck jedoch wurde er erst durch den Erfolg des Theaterstücks The Melting Pot des englischen Schriftstellers Israel Zangwill, das 1908 in Washington, D.C. uraufgeführt wurde.

Begriff in den Sozialwissenschaften

In der Soziologie und in den Politikwissenschaften beschreibt der Begriff „Schmelztiegel“ (engl. Melting Pot) die Assimilation und die Integration von Einwanderern in die Kultur eines Landes. Die verschiedenen Kulturen und Werte sollen sich zu einer gemeinsamen integrierten nationalen Kultur mischen. Neben „Melting Pots“ sind aber immer auch so genannte „Salad Bowls“ vorzufinden, in denen nicht alle Kulturen verschmolzen werden, sondern Einwanderergruppen je für sich eigene, klar abgegrenzte Kulturen pflegen. Dies kann – wie in Kanada als „multikulturelles Mosaik“ praktiziert – ausdrückliches Ziel sein oder auch auf mangelhafter Detail-Umsetzung einer Schmelztiegelpolitik beruhen.

Nach dem Schmelztiegel-Ansatz kann sich durch Assimilation und Integration eine homogene nationale Kultur formen, die trotz kurzer Wurzeln einen starken Gemeinsinn besitzt; dieser Ansatz ist jedoch nicht frei von Problemen: Einwanderer erfahren zumeist erheblichen sozialen Anpassungsdruck, wenn sie ihre Ursprungskultur im Einwanderungsland weiterhin praktizieren und sich diese deutlich von der im Einwanderungsland dominierenden unterscheidet. Der Schmelztiegel-Ansatz stößt ebenso an seine Grenzen, wenn gesellschaftliche Gruppen sich nicht an die dominierende Kultur angleichen lassen wollen.

In Deutschland wird besonders die verkehrstechnisch leicht erreichbare Stadt Köln als Beispiel für einen Schmelztiegel über Jahrtausende gesehen. In der Gründerzeit vergrößerte sich die Stadt Berlin auf ein Vielfaches; in ihrer Geschichte bestand die spätere Kaiserstadt zeitweise zu großen Teilen aus französischen, böhmischen und österreichischen – meist protestantisch-hugenottischen – Einwanderern.

Der Staat Preußen wird ebenfalls als ein mehrsprachiger Schmelztiegel gesehen, der nur durch formale Toleranz und wirtschaftlichen Fortschritt, unterschiedliche Religionen (Katholizismus in Schlesien, lutherische Bevölkerung in den Altprovinzen und Reformierte als herrschende Hohenzollern), unterschiedliche Sprachen (Deutsch, Polnisch, Französisch, Sorbisch) sowie unterschiedliche Ethnien (slawische Vorfahren, germanische Vorfahren, Schweizer Vorfahren in Neuchâtel) zu einem Staatswesen verbinden konnte. Carl Zuckmayer verstand die Rheinlande als „Völkermühle Europas“. Den Gedanke könnte er von Wilhelm Holzamer übernommen haben.

Schmelztiegel als politischer Mythos

In Ermangelung einer gemeinsamen Vergangenheit und Herkunft der Zuwanderer konnte in den USA kein überzeugender Gründungsmythos entstehen. Das Versprechen der Einheit aus und in der Vielheit (E pluribus unum) konnte nur identitätsstiftend wirken, wenn es eine gemeinsame Zukunft (und nicht die heterogenen nationalen Traditionen) ins Zentrum rückte. Das ist die Funktion des von Robert Putnam kritisierten Melting-Pot-Mythos, der die Realität der Immigration nicht abbildete und daher immer stärker durch das Modell der multikulturellen Gesellschaft verdrängt wurde. Am ehesten entspricht noch der New Sunbelt (die Bundesstaaten im Südosten und Südwesten wie z. B. Nevada, nicht jedoch Kalifornien oder Florida mit ihrer stark selektiven Zuwanderung) dem Melting-Pot-Modell. (Wikipedia)

 

* * *

 

8 Prozent „Weltbürger“

Um Spannungen zu begrenzen, rät Kaufmann zur Vorsicht bei der Einwanderungspolitik der westlichen Staaten. Die Tendenz vieler Weißer, das Leben unter Weißen zu bevorzugen, hält er für genauso berechtigt wie die Wünsche anderer ethnischer Gruppen, die ein Leben unter ihresgleichen bevorzugen. Um Spannungen zu vermindern, sollte aus Kaufmanns Sicht die Einwanderung auch nach Maßstäben kultureller Ähnlichkeit gesteuert werden. […] Kosmopolitische, transethnische oder transnationale Einstellungen dominieren nur bei einer Minderheit von Menschen. Kaufmann schätzt den Anteil der „Weltbürger“ auf 8 Prozent. Es ist das Recht dieser Minderheit, so zu fühlen und entsprechend zu agieren. Aber für die Mehrheit der anderen, die nicht so fühlen, sollte es keinen Zwang zum Kosmopolitismus geben. Der linke Modernismus, so Kaufmann, stellt sich vor, die ganze Welt zu einem New York im Großen zu machen. Das funktioniert aber nicht, denn die metropolitane Version des Nationalstaats entfremdet die Konservativen, die Stabilität und Zusammenhalt suchen.

Thilo Sarrazin: Die Vernunft und ihre Feinde: Irrtümer und Illusionen ideologischen Denkens (2022)

Siehe auch:
Eric Kaufmann: Whiteshift. Populism, Immigration and the Future of White Majorities (2018)