Machtworte – Inspektion der Herrschaftssprache
Dienstwagenprivileg
Aus der Perspektive der Industrie sind Firmenfahrzeuge ein sicherer Absatzmarkt. Prof. Dr. Horst Haider Munske erklärt dieses erfolgreiche Geschäftsmodell und die Steuervorteile für Besserverdienende.
Der Gegenwart. — 22. Januar 2024
Was versteht der Laie unter Dienstwagenprivileg? Das Vorrecht, für dienstliche Zwecke ein nobles Auto zu erhalten? Vielleicht mit Chauffeur? Also ein Privileg weniger Großverdiener? Das ist definitiv falsch. Dienstwagen sind Firmenwagen (gekauft oder geleast), die einer großen Zahl von Mitarbeitern zur Verfügung gestellt werden, mit Versicherung, Wartung, Reparaturkosten und oft einer kostenlosen Tankkarte. Das Privileg liegt in der Erlaubnis zu privater Nutzung, auch auf Urlaubsreisen, am Wochenende. Diesen ‚geldwerten Vorteil‘ muss der Begünstigte mit 1 Prozent des Neuwertes versteuern. Je größer der Wagen, desto größer das Privileg. Praktisch kann sich der Begünstigte ein eigenes Auto sparen.
65,1 Prozent der Neuwagen für gewerbliche Nutzung
Entscheidend – und das verbirgt der Begriff Dienstwagenprivileg – ist die außerordentliche Verbreitung von Firmenwagen. 2022 dienten 65,1 Prozent aller neuzugelassenen Wagen der gewerblichen Nutzung. Das schließt die Fahrzeuge von Handwerkern ein, wie auch die Kleinwagen des mobilen Pflegedienstes. Das Gros der Dienstwagen geht jedoch an die Besserverdienenden der großen Automobilhersteller, der Großkonzerne und der mittelständischen Betriebe. Es sind edle Fahrzeuge von Passat und Audi 6 bis E-Klasse, die ihnen für ein, zwei oder drei Jahre zur Verfügung gestellt werden. Dann geben sie den Wagen zurück und dürfen sich einen neuen aussuchen. Der gut erhaltene Altwagen geht, oft als Jahreswagen, in den Gebrauchtwagenmarkt.
Aus der Perspektive der Autoindustrie sind Dienstwagen ein sicherer, nie versiegender Absatzmarkt, ein Brot-und-Butter-Geschäft. Es geht gar nicht in erster Linie, wie der Name Dienstwagenprivileg suggeriert, um ein schönes Zubrot für außertariflich Beschäftigte, was ihre Firmenbindung stärkt. In Wahrheit geht es um ein höchst erfolgreiches Geschäftsmodell, das ähnlich auch in unseren Nachbarländern, in Österreich, Frankreich und der Schweiz praktiziert wird. Firmen kaufen oder leasen zu vergünstigtem Preis Neuwagen und versteuern die Ausgaben als Betriebskosten. Die Wagen – das ist der Clou – werden nur wenige Jahre genutzt, dann füttern sie den Gebrauchtwagenhandel. Durch die 1 Prozent-Regel bleibt das System für alle Nutznießer lohnend. Wieviel an Steuereinnahmen der Staat durch das Dienstwagenprivileg einbüßt, ist schwer zu ermitteln. Die meisten Schätzungen gehen von 5 Milliarden aus. Alle Versuche, diesen Schatz für den Bundeshaushalt zu heben, sind bisher gescheitert.
Kritik wird als Neidhammeldebatte abgetan
In der Debatte um das Dienstwagenprivileg bleibt die Autoindustrie im Verborgenen. Stattdessen wird der pragmatische, unbürokratische Charakter der Pauschalbesteuerung betont. Wolle man gar stattdessen zum händischen Fahrtenbuch zurückkehren? Gerne wird die Kritik auch als Neidhammeldebatte abgetan. In einer Art Flucht nach vorn wurde der Nutzen des Dienstwagenprivilegs für den Klimaschutz ins Spiel gebracht. Vollelektrische Wagen müssen bis 2025 nur mit 1/4 % des Neuwerts versteuert werden, eine erhebliche zusätzliche Subvention.
Kommen wir zum Schluss zurück auf den Begriff Privileg. Er war bereits mittelhochdeutsch als prīvilēgie bekannt, entlehnt aus lateinisch privilegium. In der Frühen Neuzeit wurde das lateinische Wort wiederbelebt und erst im 19. Jahrhundert zu unserem Privileg verkürzt. Privilegium setzt sich zusammen aus prīvus ‚besonders‘ und lex ‚Gesetz‘. Es bezeichnete schon bei den Römern ein besonderes Recht, ein Vorrecht. Charakteristisch für alle Privilegien ist ihre dauerhafte gesetzliche Verankerung, wie das Dienstwagenprivileg im Einkommensteuergesetz § 6. ■
Quelle: Der Artikel „Dienstwagenprivileg“ von Prof. Dr. Horst Haider Munske wurde veröffentlicht im Infobrief des Vereins Deutsche Sprache e. V. vom 21. Januar 2024. — Mit freundlicher Genehmigung des Autors dürfen wir seinen Text hier verbreiten.
Prof. Dr. Horst Haider Munske
Foto: FAU University Press
Lebensdaten
Prof. Dr. Horst Haider Munske (geboren 1935 in Görlitz) ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de.
Bücher und Schriften
▬ Horst Haider Munske: Orthographie als Sprachkultur. 336 Seiten. Peter Lang GmbH, Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main (1997)
▬ Horst Haider Munske: Lob der Rechtschreibung: Warum wir schreiben wie wir schreiben. 142 Seiten. C.H.Beck (2005)
▬ Horst Haider Munske: Unsere Universität im Abstieg? Bologna, Bafög, Bachelor. Beobachtungen und Ratschläge. 190 Seiten. Frank & Timme, Berlin (2014)
▬ Horst Haider Munske: Unser Deutsch. 100 Glossen zum heutigen Wortschatz. FAU University Press, Erlangen (2019)
▬ Horst Haider Munske: Unser Deutsch II. Neue Glossen zum heutigen Wortschatz. FAU University Press, Erlangen (2020)
▬ Horst Haider Munske: Unser Deutsch III. Neueste Glossen zum heutigen Deutsch. FAU University Press, Erlangen (2022)
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