Machtworte – Inspektion der Herrschaftssprache
Digital Service Act
Das „Gesetz über digitale Dienste“ verpflichtet Plattformbetreiber, rechtswidrige Inhalte zu entfernen. Aber auch Regierungskritik soll mit dem neuen Zensurgesetz unterdrückt werden – mit Hilfe „zivilgesellschaftlicher Hinweisgeber“ im Sold der Regierung.
Der Gegenwart. — 8. Oktober 2024
Das Gesetz über digitale Dienste (GdD; englisch Digital Services Act, DSA; französisch Règlement sur les Services Numériques, RSN) ist eine Verordnung der Europäischen Union, die einheitliche europäische Haftungs- und Sicherheitsvorschriften für digitale Plattformen, Dienste und Produkte schuf. Damit soll die Verbreitung illegaler Inhalte verhindert und Nutzer besser geschützt werden. Es ist gemeinsam mit dem Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) Teil eines Gesetzespakets über digitale Dienste in der Europäischen Union.
Die Verordnung aktualisierte den im Jahr 2000 beschlossenen rechtlichen Rahmen für Online-Plattformen in der Europäischen Union und passte ihn an die Gegebenheiten des Plattformkapitalismus an. Dabei sollen einerseits die Grundsätze eines freien Internets berücksichtigt und andererseits geltendes Recht besser durchgesetzt werden. Sehr große Online-Plattformen und Suchmaschinen müssen die Vorschriften seit dem 16. November 2022 befolgen, alle anderen digitalen Akteure seit dem 17. Februar 2024.
Kontext
Das Gesetz über digitale Dienste steht im Kontext der politischen Leitlinien der Kommission von der Leyen I. Dabei soll der bestehende Rechtsrahmen der Europäischen Union aktualisiert werden, insbesondere die im Jahr 2000 verabschiedete Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr. Es geht darum, künstliche Intelligenz, Finanzen und digitale Plattformen besser zu regulieren, um Akteuren die Möglichkeit zu geben, innovativ zu sein und zu wachsen und um eine bessere Sicherheit für Internetnutzer zu ermöglichen.
Als Kandidatin für die Präsidentschaft der Europäischen Kommission schlug Ursula von der Leyen daher „neues Gesetz über digitale Dienstleistungen“ vor. Die EU-Kommission sah insbesondere nach dem Inkrafttreten des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes Probleme in der Regulierung des digitalen Binnenmarktes, sodass eine gemeinsame Regulierung für die Moderation von strafbaren Inhalten durch Plattformunternehmen geschaffen werden sollte.
Laut Thierry Breton, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, werde „das Internet in vielen Fällen als ein rechtsfreier Raum missverstanden.“ Es gehe bei dem Gesetz darum, dass Europa die Kontrolle über die digitalen Plattformen zurückgewinnt. „Das EU-Parlament und die Kommission machen die Regeln“, sagte der Franzose. „Es wird hier eine Gerichtsbarkeit geben, einen Richter.“ Wenn sich ein Unternehmen nicht an die Regeln halte, werden es „bis zu zehn Prozent der Umsätze als Strafe abgeben müssen“. Das Prinzip des Gesetzes sei dabei einfach: „Sachen, die man in echt nicht sagen darf, darf man auch im Netz nicht sagen.“ Niemand habe das Recht, zu beleidigen, Antisemitismus, Kinderpornografie, oder Todesdrohungen zu verbreiten oder Drogen zu verkaufen, alle illegalen Inhalte müssen entfernt werden. Breton forderte deshalb „die gleichen Strafen, ob online oder auf der Straße“.
Das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte sind die beiden Bestandteile eines Gesetzespaketes „Digitale Dienste“, zur Regulierung des digitalen Raums in Europa.
Verfahren
Das Gesetz über digitale Dienste wurde von der Europäischen Kommission im Dezember 2020 zusammen mit dem Gesetz über digitale Märkte vorgeschlagen. Beide Verordnungen wurden von Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und verantwortlich für die Förderung eines Europas im digitalen Zeitalter, und von Thierry Breton, dem EU-Kommissar für Binnenmarkt, ausgearbeitet. Beide sind Mitglieder der Kommission von der Leyen I.
In seinen Sitzungen am 19. und 20. Januar 2022 beschloss das Europäische Parlament den Bericht zum Vorschlag für ein Gesetz über digitale Dienste. Der angenommene Bericht wurde im Trilog zwischen Parlament und Rat verhandelt. Am 23. April 2022 teilten die Berichterstatter von Parlament und Rat unter Beteiligung der Kommission die politische Einigung über die Inhalte des Entwurfs mit. Im nächsten Schritt wurde das Dossier von Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz für das Parlament und dem Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten für den Rat zur endgültigen Beschlussfassung durch die Gremien vorbereitet.
Die Verordnung wurde von der neunten Legislaturperiode des Europäischen Parlaments und dem Europäischen Rat am 4. Oktober 2022 endgültig angenommen. Die „sehr großen“ Online-Plattformen und Suchmaschinen wie Facebook, Wikipedia oder Google Search müssen einige Vorschriften bereits ab November 2022 befolgen. Seit dem 17. Februar 2024 gilt die Verordnung für alle digitalen Akteure.
Ziele
Das Ziel des Gesetzes über digitale Dienste ist „durch die Festlegung harmonisierter Vorschriften für ein sicheres, vorhersehbares und vertrauenswürdiges Online-Umfeld, in dem Innovationen gefördert und die in der Charta verankerten Grundrechte, darunter der Grundsatz des Verbraucherschutzes, wirksam geschützt werden, einen Beitrag zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts für Vermittlungsdienste zu leisten.“
Die EU-Kommission verfolgt nach eigenen Angaben mit der Verordnung primär drei Ziele:
▬ Besserer Schutz der Verbraucher und ihrer Grundrechte im Internet,
▬ Schaffung eines leistungsfähigen bzw. klaren Transparenz- und Rechenschaftsrahmens für Online-Plattformen,
▬ Förderung von Innovation, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit im Binnenmarkt.
Die Verordnung enthält zudem Vorschriften für vermittelnde Online-Dienste, die von Menschen in Europa genutzt werden. Die Pflichten der Online-Unternehmen variieren je nach Rolle, Größe und Auswirkung im Online-Umfeld.
Kritik
Die Bürgerrechtsbewegung European Digital Rights meldete in einer Pressemeldung substanzielle Bedenken an und beurteilte den Vorschlag als Gefahr für die Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit.
Abgeordnete der Piratenpartei bemängelten, dass sich mit dem Gesetzesvorschlag Industrieinteressen gegenüber digitalen Bürgerrechten durchgesetzt hätten.
Der deutsche Literatur- und Medienwissenschaftler Roberto Simanowski sieht in dem Gesetz Tendenzen zu einer illiberalen Demokratie, die durch neue Ausschlusskriterien in den sozialen Medien die Demokratie verteidigen will. Die sozialen Medien, die zunächst als Demokratieverstärker gefeiert wurden, würden immer mehr als Gefahr für die Demokratie wahrgenommen. Kritiker würden zu Recht, wie schon im Falle des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, durch das proaktive algorithmische Overblocking einen Angriff auf die Meinungsfreiheit fürchten.
Als der EU-Kommissar Thierry Breton nach den Unruhen in Frankreich im Sommer 2023 ankündigte, auf Grundlage des GdD soziale Netzwerke notfalls abzuschalten, sei ein „Aufschrei durch die europäische Zivilgesellschaft“ gegangen, da solche Maßnahmen eher aus autoritären Staaten als aus Demokratien bekannt seien, meinte Tomas Rudl vom Blog netzpolitik.org.
Nach Artikel 34 des DSA sollen Plattformbetreiber nicht nur rechtswidrige Inhalte entfernen, sondern auch kritische und nachteilige Einträge überprüfen. In einem Kommentar vom Februar 2024 sah der pensionierte Richter und ehemalige Corona-Maßnahmen-Kritiker Manfred Kölsch derartige Regelungen als Beleg für die demokratiefeindlichen Hintergründe, mit denen die EU-Kommission das DSA vorangetrieben hatte. Weiter stellte er fest, dass die vorgeschriebenen nationalen Koordinatoren gegenüber der europäischen EU-Kommission weisungsgebunden sind und damit Verantwortung von der Länder- und Bundesebene an die EU abgegeben wird. Der Staat überlasse Eingriffe in die Meinungs- und Informationsfreiheit, die er selbst nicht durchführen dürfte, Dritten wie etwa zivilgesellschaftlichen Hinweisgebern und Plattformbetreibern. Die Brisanz des DSA, so Kölsch, sei für den Bürger wegen dessen Umfang und der Komplexität nicht unmittelbar erkennbar. Die Gefahr für die demokratischen Grundrechte durch das DSA werde sich nur schleichend bemerkbar machen und sei professionell hinter einer rechtsstaatlichen Fassade versteckt.
Textgrundlage: https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_%C3%BCber_digitale_Dienste
Schritt für Schritt
Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.
Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission (2014 bis 2019) lt. Spiegel 52/1999
Neue Form der Zensur
ALARM, Zensur-Gesetz! Habeck bekämpft unsere Freiheit mit „Trusted Flagger“ und Digital Service Act! (Achtung, Reichelt!; 7.10.2024; 21:26 min.)
»In unserem Grundgesetz steht unter Artikel 5 folgender Satz: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Was wir nun aber erleben und was wir Ihnen hier und heute dokumentieren werden, ist kein einzelner Angriff auf die Meinungsfreiheit. Es ist nicht weniger als die Abschaffung der Meinungsfreiheit und die staatlich organisierte und beaufsichtigte Einführung von Zensur. Wenn Bestand haben sollte, was die Bundesregierung gerade verkündet hat, dann hört unser Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Artikel 5 auf zu existieren. Wenn die neue Zensur nicht gestoppt wird, dann wird es besonders in politischen Ausnahmesituationen wie Flüchtlingskrise, Pandemie, aber auch in der Klimapolitik absolut unmöglich werden, zu widersprechen, zu kritisieren, zu hinterfragen und demokratisch gegen die Mächtigen aufzubegehren. Alles zu den neuen Maßnahmen der Regierung zu Einführung einer neuen Form der Zensur, erfahren Sie in dieser Folge von „Achtung, Reichelt!“«
Gegen Desinformationen
Der DSA verpflichtet digitale Dienste und Online-Plattformen zu mehr Sorgfalt und Transparenz und ermöglicht, einfacher gegen illegale Inhalte und Produkte, Hass und Hetze sowie Desinformationen vorzugehen.
Digitale Blockwarte
Stolz verkündete Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur und kommissarischer Leiter des sogenannten Digital Services Coordinator (DSC) in der Bundesnetzagentur, dass man mit der Zulassung des ersten Trusted Flaggers „die europäischen Regelungen in Deutschland konsequent“ umsetze. „Plattformen sind verpflichtet, auf Meldungen von Trusted Flaggern sofort zu reagieren“, so Müller. „Illegale Inhalte, Hass und Fake News können sehr schnell und ohne bürokratische Hürde entfernt werden. Das hilft, das Internet sicherer zu machen.“ Diese weitreichenden Befugnisse kommen den digitalen Blockwarten der Meldestelle REspect! zu. […] Während die „Unabhängigkeit von Online-Plattformen“ gewährleistet scheint, ist es mit der politischen Unabhängigkeit nicht weit her. Denn die Meldestelle REspect! ist laut Eigendefinition „eine Maßnahme der Jugendstiftung Baden-Württemberg im Demokratiezentrum Baden-Württemberg in Kooperation mit der Bayerischen Staatsregierung“. Gefördert wird das Ganze „durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg aus Landesmitteln, die der Landtag von Baden-Württemberg beschlossen hat, durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen des Bundesprogramms ‚Demokratie leben!‘ und aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales.“