Widerspruch+Widerstand
„Feindsender“ hören
Das Verlangen nach guten Informationen ist unstillbar. 1942 war das Risiko hoch: das Regime verhängte die Todesstrafe. Auch heute braucht Opposition wahre Nachrichten. Einige Mutige verbreiten sie auf eigenen Kanälen.
Der Gegenwart. — 6. Oktober 2022
Dagmar Petersen nimmt an den Gruppenabenden in der Wohnung von Hannos Eltern teil, wo sie den verbotenen Londoner Rundfunk abhören, der in deutscher Sprache über den Kriegsverlauf und andere Ereignisse berichtet, die in der Berichterstattung der Nationalsozialisten verfälscht oder ganz verschwiegen werden. Anschließend diskutieren sie über das Gehörte, während im Radio zur Tarnung wieder ein deutsches Programm läuft. Die Gruppe diskutiert auch verbotene politische Bücher und verbreitet Flugblätter. Nachdem ein Mitglied der Gruppe von der Gestapo festgenommen und durch Misshandlungen zu Aussagen gezwungen wurde, fliegt die Gruppe auf. Dagmar Petersen wird am 7. August 1941 festgenommen und in das Untersuchungsgefängnis Berlin-Charlottenburg gebracht. Der Prozess vor dem „Volksgerichtshof“ findet erst über ein Jahr später im Oktober 1942 statt. Der Richter verurteilt sie wegen Beihilfe zur „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu sieben Jahren Zuchthaus. Die anderen, die mit ihr angeklagt sind, werden zum Tode verurteilt.
Ja, wir sollten die Kirche im Dorf lassen: Auf das Hören von „Feindsendern“ steht heute nicht mehr die Todesstrafe. Der etwas seltsame Vergleich hier soll nur erklären, dass das Bedürfnis nach wahrhaftiger Information unstillbar ist, auch heute. „Unsere Medienschaffenden“ in den GEZ-Sendern sind davon durchglüht, dass sie die Wahrheit verkünden und dass alles andere Hass und Hetze ist.
Mittlerweile haben sich dagegen Medien gegründet, die oppositionelle Nachrichten verbreiten. Der Einsatz ist bewunderns- und unterstützenswert. Der Kontrafunk-Chefredakteur Burkhard Müller-Ullrich berichtet in einem JF-Interview, wie er seinen Kanal auf eigenes Risiko auf die Beine gestellt hat. Knapp 1,2 Millionen Euro wurden von 36 Investoren, alles privaten Mittelständlern, gesammelt. Mit diesem Budget kann er 12 Stellen, auf 20 Leute verteilt, finanzieren.
Mit seinem ersten politisch alternativen Radiosender im deutschen Sprachraum tritt er zum Beispiel gegen die ARD-Tagesschau an, die bereits 2005 etwa 90 Redakteure beschäftigte. Man wundert sich nicht, dass der Moloch mit den 8 Zwangs-Milliarden im Rücken sich verdoppelt und verdreifacht hat. Stolz gibt der Staatsfunk selbst bekannt: »Bei ARD-aktuell und tagesschau.de arbeiten ca. 150 Redakteurinnen und Redakteure. Hinzu kommen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Technik und der Produktion, im Sekretariat und in der Verwaltung – insgesamt sind es allein in der Hamburger Zentrale etwa 330 Menschen. Weitere Kollegen arbeiten in den Korrespondentenbüros im In- und Ausland.« (blog.tagesschau.de/uber-uns)
Die Zahlen von 2005 finden sich im Wikipedia-Artikel „Tagesschau_(ARD)“, wo auch ein paar kritische Bücher aufgeführt sind. Diese exemplarischen Publikationen zeigen vor allem, dass die Kritik an den Staatsmedien keine punktuelle Nörgelei ist:
Volker Bräutigam: Die Tagesschauer (1982)
Der frühere Tagesschauredakteur (1975 bis 1985), Journalist (bis 1996) und Personalrat des Norddeutschen Rundfunks, Gewerkschaftsvorstand (ver.di) und Publizist Volker Bräutigam analysierte in seiner Publikation von 1982 Die Tagesschauer. Ein Tagesschau-Redakteur berichtet Strukturen und Arbeitsweisen der Tagesschau-Redaktion im Spannungsgeflecht wirtschaftlicher und politischer Einflüsse. Er kam als noch aktiver Redakteur zu dem Schluss, dass die Tagesschau das bringe, „was unsere politischen Zustände bestätigt und verfestigt und was die von den öffentlichen Medien gesteuerten Massen angeblich hören und sehen wollen“. Ursachen machte Bräutigam vor allem in der von ihm mitbezeugten massiven parteipolitischen Einflussnahme über die Aufsichtsgremien aus: „Keiner wird bei uns Intendant, der den Parteien insgesamt kritisch gegenüber steht. Keiner wird Chefredakteur, es sei denn er hat die richtigen Beziehungen oder das richtige Parteibuch“. In einer Rezension für Die Zeit bezeichnete Hans-Heinrich Obuch die Momentaufnahmen und Informationen Bräutigams als „anschaulich und exakt“. Sie erhellten dem Leser „Mechanismen einer aktualitätsverpflichteten, oberflächlichen Nachrichtenzubereitung“.
Ulrich Schmitz' Langzeitstudie (1990)
Der Sprachforscher Ulrich Schmitz von der Universität Duisburg-Essen untersuchte 1990 in einer Langzeitstudie die Sprache der Tagesschau und kam damals zu dem Ergebnis, dass sich die sprachlichen Formeln der Tagesschau seit vielen Jahren wiederholen und diese Gleichförmigkeit der Grund für ihre Beliebtheit gewesen sei. Die Tagesschau als eine Art „postmoderne Concierge“ „spendet den Zuschauern durch ihre sprachliche Kontinuität Trost.“ Sie vermittle das sichere Gefühl, dass alle Ereignisse in der Welt erklärbar seien. Die Tagesschau habe mit ihrer Präsentationsform ein Publikum gefunden, „… das zuhört, ohne behalten und verstehen zu können“. Sie schaffe, so Schmitz, ein Zitat von Enzensberger aufgreifend, „‚fiktive Befriedigung von Sinnbedürfnis‘ (Enzensberger)“.
Gewis-Institut und SZ zu Sprachform und Nachhaltigkeit (2008)
Nach einer Gewis-Studie aus dem Jahr 2008 würden nur zwölf Prozent der Zuschauer jedes Wort und jede Meldung in der Tagesschau verstehen. Dabei, so das Ergebnis einer weiteren Umfrage der Süddeutschen Zeitung, sei nicht die mangelnde Verständlichkeit der Sprache als solche das Problem, sondern ihre Dichte, die die Zuschauer überfordere. Nach Darstellung der Bundeszentrale für politische Bildung 2012 „ist es seit den 1960er Jahren ein Problem, dass nur ein geringer Anteil der Meldungen (zwischen 20 und 40 Prozent) von den Zuschauern unmittelbar nach der Sendung aus der Erinnerung noch benannt werden kann.“ Es stelle sich damit die Frage nach der Bedeutung, die die Nachrichten für die Orientierung der Menschen wirklich haben.
Otto-Brenner-Studie zum Wirtschaftsjournalismus (2010)
Die Studie der Otto Brenner Stiftung von Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz von März 2010 zum Thema „Wirtschaftsjournalismus in der Krise – Zum massenmedialen Umgang mit Finanzmarktpolitik“ betrachtete unter anderem eingehend die Arbeitsweise der ARD von Frühjahr 1999 bis Herbst 2009. Untersucht wurden besonders die Formate Tagesschau und Tagesthemen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass sie – im Gegensatz zu den Print-Leitmedien – nicht nur handwerklich (wie in den Jahren zuvor), sondern auch vor den inhaltlichen Herausforderungen der Berichterstattung über die Krise selbst versagt hätten. Die Redaktion habe „perspektiven-arm“ gearbeitet, im Mittelpunkt hätten die jeweils offiziell wichtigsten Akteure gestanden: Vertreter der deutschen Regierung zuallererst, Bankenvertreter, wenige Wissenschaftler und deren Sichtweisen. Die Studie kommt zu einer harten Bewertung: „Hier handelt es sich um eine Perspektivenverengung mit enormen Wirklichkeitsverlusten, die als schwere journalistische Verfehlung einzustufen ist.“
Der ARD wurde außerdem zeitweise vorgeworfen, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft übe zu großen und verdeckten Einfluss auf Sendungen der ARD aus.
Walter von Rossums Vorwurf des „Objektivitätsscheins“ (2007)
2007 stellte Walter van Rossum die angeblich rein informative Dienstleistung als Mythos dar und beklagte die von ihm behauptete Übernahme trivialer vorverdauter Informationen. Er vertrat außerdem die These einer Art „freiwilliger Gleichschaltung der Medien“. Die Mechanismen der Homogenisierung der Meinungen beruhe bei ARD-aktuell jedoch nicht auf Vorgaben, sondern sei das Ergebnis „täglicher Feinabstimmung“ in Konferenzen und Besprechungen, in denen sich die Sprachregelungen zu den aktuellen Themen herausbilden würden. Es gehe dabei um einen „Objektivitätsschein, der durch größtmögliche Annäherung an die politische Mitte erreicht werden soll.“ Rossum befinde, so Nils Klawitter im Spiegel, die öffentlich-rechtliche Nachrichtenbastion durchziehe ein geradezu autistisches Erzählritual. Was bleibe, sei eine „stereotype Aufbereitung von Pseudonachrichten, die den Zuschauer zum Zaungast degradiere und am Ende alles in feiner Unbegreiflichkeit verhüllt.“ Marco Bertolaso, der Leiter der Deutschlandfunk-Nachrichten, kritisierte Rossums Darstellung und die zu schmale Datenbasis (ein Sendetag). In ihrer Rezension in der Zeit kommt Insa Wilke, wie der Rezensent des Spiegel, zu dem Schluss, Rossums Kritik sei zwar insgesamt polemisch überzogen, er beschreibe jedoch prägnant den Einsatz von „erblindeten Bildern“, die ohne jeden Erkenntnisgewinn Stereotypen reproduzierten.
Die Macht um acht (2017)
Die Publikation Volker Bräutigams mit Friedhelm Klinkhammer Die Macht um acht (2017) widmet sich der Darstellung, „dass die Tagesschau-Maschine weder verlässlich noch neutral und keinesfalls seriös ist. Sie ist nur wenig anderes als eben fünfzehn Minuten Staatsfunk.“ (Vorwort) In den Blättern für deutsche und internationale Politik hebt Daniela Dahn in ihrer Rezension Das Echolot der Macht hervor, die Autoren argumentierten bei ihren Rügen der Verstöße gegen Programmrichtlinen sehr präzise. Die Mitwirkungsmöglichkeit der Zuschauer in Form von Kritik erweise sich angesichts der Unangreifbarkeit des Rundfunkrats als Farce. Es sei aber wohl noch mehr als nur ein dreister Anspruch auf Unfehlbarkeit, wie die Autoren vermuteten, sondern nach Auffassung Dahns möglicherweise noch schlimmer: „Die Programm-Redakteure würden sicher auch lieber über brisante Hintergründe berichten, als die ewig gleichen Klischees zu wiederholen. Doch nur wenn sie – vielleicht sogar unbewusst – eben diese Klischees bedienen, können sie mit Anerkennung rechnen. Ja, man gewinnt den Eindruck, als horchten sie fast nur auf das Echolot der sie fördernden Hierarchien – darüber hinaus gehören interessierte Zuschauer und Leser gar nicht zur Zielgruppe.“
Textgrundlage: https://de.wikipedia.org/wiki/Tagesschau_(ARD)
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Kontrafunk
Kontrafunk – Die Stimme der Vernunft – der erste politisch alternative Radiosender im deutschen Sprachraum. Ein Internetprojekt mit Vollprogramm und zwanzig Redakteuren um den Profijournalisten Burkhard Müller-Ullrich: »Bitte einschalten, weiterempfehlen, unser kostenloses Werbematerial bestellen und verteilen – und vor allem natürlich eine Patenschaft übernehmen! Denn ich bin überzeugt, daß Kontrafunk als das Radio des bürgerlichen Mittelstands, des geistigen Widerstands und des gesunden Menschenverstands dringend gebraucht wird!«
Webseite: kontrafunk.radio
Youtube-Kanal: Kontrafunk
Burkhard Müller-Ullrich (*1956) war leitender Kulturredakteur und bis 2016 Moderator des Deutschlandfunks, arbeitete für den Bayerischen Rundfunk, das Schweizer Radio und bis 2021 für den SWR. Geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte er Philosophie, Geschichte, Soziologie und schrieb für etliche Zeitungen, etwa Zeit, Welt, Focus, Süddeutsche oder Frankfurter Rundschau. 2020 startete er auf dem Portal „Achse des Guten“ den Podcast „Indubio“, dessen Konzept er ab April auf einer eigenen Netzseite unter dem Namen „Kontrafunk“ fortführte. Daraus ist nun mit Sendestart am 21. Juni der neue Internetradiosender gleichen Namens geworden. Zu empfangen ist Kontrafunk per Internetradiogerät, Computer oder Smartphone – in Bälde auch als App. (JF 27/22)
Private Webseite: https://mueller-ullrich.com/
Paul Brandenburg (*1978) ist Facharzt für Allgemeinmedizin (Notfallmedizin) und Unternehmer. Er ist einer der Initiatoren und Vorsitzender der im April 2020 entstandenen Initiative „1bis19 – Initiative für Grundrechte und Rechtsstaat e. V.“.
Webseite: paulbrandenburg.com