Hinweise auf Menschen
Freya Klier
Die Autorin, Regisseurin und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin erhellt das dunkelste und bislang totgeschwiegene Kapitel der Geschichte der DDR: die Morde der Stasi an Regimekritikern.
Der Gegenwart. — 14. September 2022
Hat das Ministerium für Staatssicherheit Menschen umgebracht – und wenn ja, wie oft und auf welche Weise? Diese Frage ist bis heute zu großen Teilen unbeantwortet. Zwar betrieb die aufgelöste Stasi-Unterlagen-Behörde fast drei Jahrzehnte lang eine Forschungsabteilung mit zeitweise mehr als 50 Mitarbeitern. Doch keiner der dort beschäftigten Historiker nahm sich des Themas an. Dies ist umso überraschender, als verschleierte Mordanschläge östlicher Geheimdienste immer wieder die Öffentlichkeit beschäftigt haben – zum Beispiel in den Fällen Nawalny, Skripal oder Litwinenko. Kein Wissenschaftler, sondern die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier hat jetzt die politischen Morde des Staatssicherheitsdienstes zum Gegenstand eines Buches gemacht.
Hubertus Knabe in seiner Rezension „Die geheimen Morde der Stasi“, 13. November 2021
»Der 8. November 1987 war ein Schicksalstag im Leben von Freya Klier. Es war der Tag, an dem die Stasi versuchte, sie und ihren Mann Stephan Krawczyk zu ermorden. Jahrzehnte nach diesem Vorfall trat ihr ehemaliger Vernehmer aus der Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen mit beiden in Kontakt und bestätigte den Verdacht, den sie schon lange gehegt hatten.
Bis heute leidet Freya Klier an den Folgen dieses Anschlags auf ihr Leben und das ihres damaligen Partners Stephan Krawczyk. Sie begibt sich auf Spurensuche nach weiteren Anschlägen der Staatsführung gegen Dissidenten und Bürgerrechtlerinnen.
Was Freya Klier entdeckt, lässt ihr den Atem stocken. Giftanschläge, Verstrahlungen, Entführungen, heimtückischer Mord - die Palette der Stasi-Maßnahmen um den Widerstand in der eigenen Bevölkerung zu brechen, kennt keine Grenze. Auch nicht die Grenze zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland, wie z. B. der Fall von Lutz Eigendorf beweist.
Und die Morde gehen weiter
Doch sie waren kein Einzelfall. In ihrem Buch „Unter mysteriösen Umständen. Die politischen Morde der Staatssicherheit“ lässt Freya Klier viele Zeitzeugen und Betroffene zu Wort kommen, die ein bislang totgeschwiegenes Kapitel der DDR-Geschichte beleuchten: die systematischen Mordversuche eines Staates an unliebsam gewordenen Bürgern.
Nicht zuletzt der Fall Nawalny zeigt, wie lebendig dieser Fortbestand in manchen postsozialistischen Ländern noch heute ist.« (Verlagstext)
LESEPROBE
Freya Klier: Unter mysteriösen Umständen. Die politischen Morde der Staatssicherheit
Sehr lange schon habe ich die Namen der Dissidenten, Pfarrer, Schriftsteller der DDR zusammengetragen, bei denen ich keinen natürlichen Tod vermutete. Es sind jetzt etwa siebzig Menschen. Andere sind schwer krank oder siechen auf irgendeine Art dahin – ihnen allen möchte ich dieses Buch widmen, ihren Freunden und Verwandten.
Einige nehme ich genauer unter die Lupe – ihre Arbeit, ihre Bedeutung für die Unterdrückten in der DDR, das Seltsame ihres plötzlichen Todes.
Dabei behaupte ich nicht, was ich juristisch ohnehin nicht beweisen könnte. Ich schlage dem Leser lediglich vor, auch diese Variante und deren Logik zu durchdenken. Denn wieso zweifelt beispielsweise kaum einer an den Gifttoden des Schriftstellers Umberto Eco in ferner Vergangenheit, nimmt aber das verzweigte Wirken der Staatssicherheit der DDR im 20. Jahrhundert noch immer nicht ernst? „Du kannst das juristisch nicht beweisen!“, lautet noch immer die Devise der DDR-Freunde.
Dieses ist nicht meine Absicht, es träfe auch gar nicht zu.
91 000 hauptamtliche Mitarbeiter waren bei der Staatssicherheit der DDR beschäftigt – hochbezahlt und meistens auch hocheffizient. Sie haben nicht allein vor sich hingewerkelt, sondern in verschieden zusammengestellten Gruppen gearbeitet, je nach Bedarf. Im Vorfeld ihrer Aktionen haben sie die Inoffiziellen Mitarbeiter zum Einsatz gebracht, die IM. Und nur über deren Handeln und Wirken können wir in unseren Akten lesen.
Sie alle sind für mich schuldig an dem, was der DDR-Geheimdienst in rund vierzig Jahren und darüber hinaus Menschen angetan hat – physische und psychische Erkrankungen, den sofortigen oder schleichenden Tod, auch den späteren und damit schwerer zu verifizierenden Tod.
Ein präpariertes Fahrzeug
Der Grund meines langen Interesses an den Mordfällen des MfS war, dass wir unseren – Stephan Krawczyks und meinen – offenbar geplanten Unfall am 8. November 1987 auf dem Weg in die rappelvolle evangelische Kirche von Stendal, in der wir einen Auftritt hatten, dank Stephans Geistesgegenwart überlebt hatten. Was war passiert? Mutwillig hatte ihm die Polizei Monate vorher die Fahrerlaubnis entzogen. Wir deuteten das als eine ihrer üblichen Gemeinheiten. Der tödliche Hintergrund wurde uns erst viel später bewusst. Ich war also unser einziger noch zugelassener Fahrer. Stephan erwischten sie dabei, wie er sich ans Steuer setzte, um von meinem Haus zu seinem zu gelangen, das nur ein paar hundert Meter um die Ecke lag. Er bekam eine saftige Ordnungsstrafe, wir wurden nun schärfer beobachtet, wenn wir zu einem Auftritt fuhren. Tankstellen mussten melden, wenn ein Lada mit dem Berliner Kennzeichen IBY 7-12 zum Tanken vorfährt – ein hilfreicher Tankwart in der Nähe von Leipzig hat uns das einmal zugeraunt.
Ich habe Tagebuch über die 1980er Jahre geschrieben. Doch kaum hatte ich an einen Mordversuch uns gegenüber gedacht – in einer Diktatur hat man kein Wissen, nur selten Informationsmöglichkeit. Rückblickend auf diesen verhängnisvollen 8. November 1987 schrieb ich:
„Die Stasi verfolgt uns bis weit hinter Nauen, bleibt dann zurück. Ich fahre ruhig, ohne Probleme. Plötzlich, in einer leichten Linkskurve, lässt sich das Auto nicht mehr lenken, hält geradeaus auf einen Brückenpfeiler zu. Schreiend und völlig gelähmt klammere ich mich am Lenkrad fest, Stephan reißt es noch kurz vorm Aufprall nach links rüber, das Auto schleudert auf der leeren Landstraße, irgendwann kommt es zum Stehen ...“
Selbst da hielt ich eine direkte Mordabsicht für kaum denkbar. Das hat sich nach dem Fall der Mauer und den Vorgängen geändert, die nach und nach ans Licht kamen.
Ich kann seit diesem Tag im November 1987 nicht mehr Auto fahren und auch als Radfahrer nicht am Verkehr teilnehmen. Mein Blutdruck befindet sich meist jenseits der 200-Grenze. Dass ich noch lebe, ist für mich ein Wunder, aber: Ich habe eine Aufgabe.
Stephan Krawczyk verspürte im November 1987 und auch danach keinerlei Beeinträchtigung. Durch den minutiösen Austausch, wer wo und wann gesessen hatte, kamen wir zu dem Schluss, dass die Fahrertür kontaminiert war: Uns beobachtete auf der Rückfahrt mehrfach Polizei. Stephan hatten sie längst die Fahrerlaubnis entzogen. Ich aber war nicht mehr fahrtüchtig, also wechselten wir mitunter heimlich die Plätze: Stephan stieg im dunklen Auto vom Beifahrersitz auf den Fahrersitz um – ich aber schlich vorn um das Auto herum auf den Beifahrersitz. Das Einzige, was Stephan nie anfasste, ich aber mehrfach, war die Fahrertür von außen.
Schnitt. Im Oktober 2019 erhielt mein geschiedener Mann und enger Freund Stephan Krawczyk plötzlich den Anruf eines Mannes, der sich als „Ihr Eingangsvernehmer in Hohenschönhausen“ vorstellte: Er sei 85, habe einen schweren Krebs und nicht mehr lange zu leben. Und er wolle sich bei uns entschuldigen für das, was uns die Staatssicherheit angetan habe. Bei uns und auch bei Wolfgang Templin und Ralf Hirsch. Er möchte auf der Straße wieder gegrüßt werden, insofern er da noch hinkomme. Stephan erzählte mir das aufgeregt am Telefon – ich kam gerade aus einem Gymnasium bei Stuttgart.
Ungefähr sieben Gespräche haben wir mit dem Mann geführt – er stellte sich tatsächlich als unser Vernehmer heraus. Er wusste Sachen von meiner Vernehmung, die nur er wissen konnte.
Er rief mich auch zweimal persönlich an. Ich lobte ihn aufrichtig für seine Entschuldigung, fragte ihn aber in geschicktem Plausch nach Toten, die unter mysteriösen Umständen starben und die hier im Buch vorkommen sollen – denn er bejahte das Nachhelfen der Staatssicherheiten in etlichen Fällen.
Beim dritten, schon etwas vertrauteren Telefonat stellte Stephan die Frage, ob das Auto am 8. November 1987 auf unserer Fahrt nach Stendal manipuliert war – eine solche Auskunft würde helfen, denn „Freya leidet noch immer unter den Folgen dieser Autofahrt“. Natürlich stellte sich der 85-jährige ehemalige MfS-Vernehmer naiv, sagte aber zu, seinen ehemaligen Vorgesetzten darüber zu befragen. Beim nächsten Anruf „von Thüringer zu Thüringer“ gab er preis, was er längst wusste: „Es stimmt, das Auto war manipuliert.“ Stephan hatte sein iPhone eingeschaltet.
Der Krebskranke meldete sich ab Dezember 2019 nicht mehr, ließ aber in mir die Entscheidung reifen, den vielen unfreiwillig zu Tode Gekommenen, von denen ich nicht wenige kannte, mit diesem Buch ein Denkmal zu setzen.
Mein elftes Gebot:
„Du sollst Dich erinnern!“
Freya Klier
Das Buch
»8. November 1987 – die Stasi verfolgt uns. Ich fahre ruhig, ohne Probleme. Plötzlich blockiert die Lenkung. Schreiend und völlig gelähmt klammere ich mich am Lenkrad fest. Stephan reißt es noch nach links rüber. Das Auto schleudert, irgendwann kommt es zum Stehen ... Oktober 2019 – das Telefon klingelt. Stephan geht ans Telefon. Ein Mann meldet sich: „Ich bin Ihr Vernehmer von Hohenschönhausen“. Ja, das Auto war von der Staatssicherheit manipuliert. Und dieses Attentat war kein Einzelfall in der DDR, bekannte der Mann. Dann bricht der Kontakt ab.«
Aktion „Störenfried“
Freya Klier, geb. Krummreich (* 4. Februar 1950 in Dresden), ist eine deutsche Autorin, Regisseurin und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin. […] Anfang November 1987 kritisierten Freya Klier und Stephan Krawczyk gemeinsam in einem offenen Brief an Kurt Hager den gesellschaftlichen Zustand der DDR und forderten Reformen ein. Beide beschlossen, an dem alljährlich im Januar abgehaltenen offiziellen Massenaufmarsch zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mit eigenen Spruchbändern teilzunehmen. Ihr Ziel war es, sowohl kritisch auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen als auch auf die eigenen Berufsverbote aufmerksam zu machen. […] Am 8. November 1987 wurde nach vorangegangenem Durchtrennen der Bremsleitungen ein Mordversuch der Staatssicherheit durch im Auto aufgebrachtes Nervengift auf sie und Krawczyk verübt. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte die Aktion „Störenfried“ bereits Wochen zuvor genau geplant: Zunächst wurden am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 105 Personen, darunter auch Stephan Krawczyk, Vera Wollenberger und Herbert Mißlitz, verhaftet. Freya Klier wandte sich daraufhin mit einem Appell an die Künstler der Bundesrepublik und forderte diese auf, nicht mehr in der DDR aufzutreten. Nur wenige Tage später nahm das MfS einige führende Bürgerrechtler fest, darunter neben Klier auch Lotte (Regina) und Wolfgang Templin, Werner Fischer, Bärbel Bohley und Ralf Hirsch. Ihre Untersuchungshaft verbrachte Klier in der Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit Berlin-Hohenschönhausen. Ihr Anwalt Wolfgang Schnur stellte sich später als Inoffizieller Mitarbeiter des MfS heraus. Vor dem Hintergrund seiner gezielten Desinformationen, es gebe keine Solidarisierung durch Opposition und Bevölkerung und sowieso keine andere Alternative, stellten Klier und Krawczyk am 2. Februar 1988 einen Antrag auf Ausreise aus der DDR. Nur Stunden später wurden sie abgeschoben. Sofort nach ihrer Ankunft im Westen forderten sie auf einer Pressekonferenz ihre sofortige Wiedereinreise in die DDR. Unter anderen der damalige Südwestfunk (SWF) sowie das Polit-Magazin Kontraste stellten klar dar, dass Klier und Krawczyk die DDR unfreiwillig verlassen hatten. (Wikipedia)
Webseite
Webseite von Freya Klier: freya-klier.de
Bücher von Freya Klier: freya-klier.de/homepage/buecher
Das Beste an der DDR
war ihr Ende ...
... und daran haben mehrere Generationen von Menschen mitgewirkt, ohne deren persönlichen Mut wir heute vielleicht keine Demokratie hätten. Sie haben uns, die wir zeitlich nahe am Mauerfall agieren durften, mit ihrer Glaubwürdigkeit den Rücken gestärkt. Ich meine, ihr historischer Beitrag wird zu wenig gewürdigt.