Punkte auf der Landkarte
Gräfenroda
Der Ort im Landkreis Arnstadt (Thüringen) ist die Geburtsstätte der beliebten und berüchtigten Gartenzwerge.
Der Gegenwart. — 30. März 2023
Das in der Landschaft Thüringen gelegene, an Hessen grenzende ernestinische Sachsen ist zwar reich an kleinen und kleinsten Städten, Gräfenroda aber war im 18. Jahrhundert ein Dorf und ist es bis heute geblieben.
Rolf Dietrich Claus in: „Johann Peter Kellner. Studien zu Leben und Werk“ (1999)
Gräfenroda wurde erstmals 1290 urkundlich erwähnt. Der Ortsname kennzeichnet den Ort als Rodungssiedlung. Der Besitz am Ort lag ursprünglich bei den Grafen von Kevernburg bzw. Schwarzburg, von 1446 bis 1819 war der Besitz in eine schwarzburgische und eine witzlebische, später gothaische Hälfte geteilt. Traditionelle Erwerbsmöglichkeiten der Einwohner lagen in Forstwirtschaft und Fuhrwesen, außerdem im bergmännischen Abbau von Kupfer, Silber und Blei sowie ab dem 16. Jahrhundert in der Glasherstellung. Im 17. Jahrhundert entstanden die Ortsteile Anspiel und Dörrberg als Ausbausiedlungen in Verbindung mit der Errichtung von Schmelzhütten und Hammerwerken.
Die vorindustriellen Betriebe boten jedoch nur geringe Arbeitsplätze, so dass in der Mitte des 19. Jahrhunderts viele Einwohner wegen mangelnder Erwerbsmöglichkeit nach Amerika auswanderten. Erst nach 1850 siedelten sich im Zuge der Industrialisierung größere Betriebe im Ort an: 1855 eine Holzwarenfabrik, 1860 eine Terrakottafabrik, 1869 eine Glashütte und später weitere Porzellanfabriken. 1884 erfolgte der Anschluss an die Bahnstrecke Neudietendorf–Ritschenhausen.
Ende des 19. Jahrhunderts lag in Gräfenroda die Geburtsstätte der Gartenzwerge, die heute in einem Museum zu besichtigen ist. Von 1858 bis 1922 gehörte Gräfenroda zum Landratsamt Ohrdruf im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha bzw. Freistaat Sachsen-Gotha. Dann kam es zum Landkreis Arnstadt im Land Thüringen.
In den Jahren des Zweiten Weltkrieges mussten 104 „Ostarbeiter“ bei der Firma Hugo Funk Söhne und in der Glasfabrik Wilhelmshütte Zwangsarbeit leisten. Auf dem Kirchhof erinnern Gräber und eine Gedenktafel an zwei KZ-Häftlinge, die während eines Todesmarsches bei Gräfenroda von SS-Mitgliedern erschossen wurden. In der Zeit des Nationalsozialismus wirkte und lebte der für seine antisemitische Propaganda berüchtigte Schriftsteller Artur Dinter in Gräfenroda. 1945 floh er nach Zell am Harmersbach, um einer Bestrafung zu entgehen.
Zu DDR-Zeiten errichtete und unterhielt im Ort der VEB Matratzenfabrik Wittekind in Halle ein Ferienlager für die Kinder seiner Betriebsangehörigen.
Seit 1994 gehört Gräfenroda zum Ilm-Kreis und ab 1993 war es Sitz der Verwaltungsgemeinschaft Oberes Geratal. Mit der Auflösung der Verwaltungsgemeinschaft wurde Gräfenroda am 1. Januar 2019 Ortsteil der Landgemeinde Geratal.
Textgrundlage: https://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%A4fenroda
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Hofzwerge, Bergleute und Gartenwichtel
Ein Gartenzwerg ist eine ursprünglich aus Marmor, Sandstein, gebranntem Ton, heute aber auch aus Kunststoff gefertigte Figur eines Zwerges, die zur Ausstattung von Gärten und zur Wohnraumdekoration verwendet wird. Nach Schätzungen stehen heute alleine in deutschen Gärten etwa 25 Millionen Gartenzwerge. Klassische Gartenzwerge sind ab der Mitte des 19. Jahrhunderts oft Gärtnern oder mittelalterlichen Bergleuten nachempfunden. Sie haben eine Lederschürze und eine Schaufel, Spitzhacke, Laterne oder Schubkarre und tragen in der Regel eine rote Zipfelmütze, die an die antike Phrygische Mütze erinnert und der Kopfbedeckung des Weihnachtsmannes ähnelt.
Massen- und Serienproduktion
Zwerge sind in der germanischen und der griechischen Mythologie sowie in Sagen zu finden und ebenso in etlichen Märchen der Brüder Grimm. Schon im Altertum umgaben sich Herrscher zur Unterhaltung gerne mit kleinwüchsigen oder Menschen mit Fehlbildungen, sogenannten Hofzwergen. Literarisch belegt sind Gartenzwerge in Johann Wolfgang von Goethes Versepos Hermann und Dorothea (1797). 1872 wurden in Gräfenroda in Thüringen zwei Unternehmen gegründet, August Heissner und Philipp Griebel, die später Gartenzwerge in Massen- und Serienproduktion herstellten. 1898 wurden Thüringer Zwerge erstmals auf der Leipziger Messe angeboten. Nachdem sich in der Folgezeit immer mehr Manufakturen mit der Herstellung von Gartenzwergen befasst hatten, stockte der Exportabsatz der angeblich typisch deutschen Gartendekoration im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Nach 1990 erlebte der Gartenzwerg eine „Wiedergeburt“ durch die Schaffung neuer, provokativer Modelle. Dieser Kult hält bis heute an, da die verbliebene „Zwergenindustrie“ in Deutschland immer wieder aktuelle Themen aus Politik und Tagesgeschehen aufgreift und durch neue Zwerge thematisiert, dies häufig unter dem Gesichtspunkt „Humor ist, wenn viele darüber lachen müssen“.
Zipfelmütze, Bart und männlich
Im Jahr 1984 wurde eine Internationale Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge mit Sitz in Basel gegründet, deren Anliegen die Verbreitung der „Zwergenkunde“ (scherzhaft „Nanologie“) und die Produktion historisch „korrekter“ Gartenwichtel ist. Sie hat definiert, was ein „artiger“ – also echter – Gartenzwerg ist: Er ist maximal 69 Zentimeter groß, trägt eine Zipfelmütze, einen Bart und ist männlich. Wohl gegen Ende der 1990er Jahre entstand die Front zur Befreiung der Gartenzwerge (in Frankreich Front de Liberation des Nains de Jardins, in Italien MALAG), deren Anhänger die Figuren aus Vorgärten „befreiten“ und oft in Wäldern, ihrem „natürlichen Lebensraum“, aussetzten.
Inbegriff des Spießbürgertums
Gartenzwerge wurden, teils mit ironisch-kritischem Unterton, als Inbegriff des Spießbürgertums, als Zeichen des schlechten Geschmacks und gutes Beispiel für Kitsch angesehen, mit einem Tiefpunkt des Ansehens Ende der 1960er Jahre. Auch werden Gartenzwerge als ironische Darstellung des Deutschen Michels verstanden. Einerseits wegen modernerer Gestaltung der Zwerge, andererseits wegen eines Wandels in der Einstellung zu Kitsch und Camp, so durch die Kritikerin Susan Sontag und den Künstler Jeff Koons, hat sich dieses Bild teilweise geändert. (Wikipedia)
Zwerge auf Weltreise
»Das Wort „Gnomads“ ist zusammengesetzt aus den englischen Wörtern „Gnome“ und „Nomad“. Die kleinen, gartenzwergähnlichen Figuren finden sich überall dort, wo es für Touristen etwas zu fotografieren gibt, denn sie sind ausgesprochen kameraverliebt. […] Jean-Pierre Jeunet hat in seinem Film „Die fabelhafte Welt der Amelie“ einen Gartenzwerg rings um den Globus geschickt, inklusive Beweisfotos. Während in dem Film die Hauptdarstellerin den Zwerg einer befreundeten Stewardess mitgibt, um durch die Reisefotos den lethargischen Vater zu motivieren, sind die Gnomads die gut gelaunten Begleiter ihrer von vornherein reiselustigen Besitzer.« (germanblogs.de)
Fakten und Zahlen
Gräfenroda ist ein Ortsteil der Landgemeinde Geratal im Ilm-Kreis (Thüringen) und liegt in etwa 400 Metern Höhe im Tal der Wilden Gera, ist der größte Ort ohne Stadtrechte im Ilm-Kreis und nach Einwohnern (3.158 zum 31. Dez. 2017) der viertgrößte Ort des Kreises. Der Ort ist mit fünf Kilometer Länge auch das längste Dorf im Kreis. Nördlich von Gräfenroda erhebt sich der 490 Meter hohe Läusebühl, südlich liegt der 508 Meter hohe Gräfenrodaer Berg. Südwestlich des Ortes beginnt der Thüringer Wald. Westlich von Gräfenroda befindet sich die Lütschetalsperre. Die Lütsche mündet in Gräfenroda in die Wilde Gera. Talaufwärts befindet sich in 3 km Entfernung mit der Talbrücke Wilde Gera die imposanteste Brücke der A 71. Nachbarorte sind (im Uhrzeigersinn, beginnend im Norden): Liebenstein, Geschwenda, Geraberg, Gehlberg, Oberhof, Frankenhain. (Wikipedia)
Orgellandschaft
Johann-Peter-Kellner-Gesellschaft: »Johann Peter Kellner lebte und wirkte in Gräfenroda als Lehrer und Kantor. Er ist aber weit über Gräfenroda hinaus bekannt geworden als Orgelvirtuose, Orgelexperte und Komponist. […] Der Zweck des Vereins ist die Vertiefung und Verbreitung des Werkes von Johann Peter Kellner und seines Sohnes Johann Christoph Kellner sowie die Pflege der Orgellandschaft in Gräfenroda und den umliegenden Orten.«
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Tonwarenfabrikation
Tradition seit 1874.
Manufaktur und Museum Zwergstatt
Philipp Griebel
Gräfenroda
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Imagefilm Zwergen-Griebel
Peter Hollek: Imagefilm Gartenzwerge Gräfenroda HD. Imagefilm für die Gartenzwergmanufaktur Philipp Griebel in Gräfenroda. zwergen-griebel.de (23.5.2011; 7:19 min.)
Hochwertige Keramik
DW Deutsch: Heimat der Gartenzwerge | Euromaxx: Eine deutsche Manufaktur erweckt ihre Gartenzwerge noch mit hochwertiger Keramik zum Leben. Ein Besuch bei der Manufaktur Griebel in dem thüringischen Ort Gräfenroda. Hier werden Original Gartenzwerge produziert. (10.8.2019; 4:20 min.)
Besuch in Gräfenroda
Gräfenroda: Der Gartenzwerg-Riese Deutschlands | Einfach genial | MDR: Henriette besucht in Gräfenroda die einzige Gartenzwerkmanufaktur Deutschlands. Nach der Fast-Schließung im vergangenen Jahr hat sich eine ehemalige Mitarbeiterin erbarmt und will das Traditionsunternehmen weiterführen. (16.3.2021; 9:28 min.)