Widerspruch+Widerstand
Hans Corbat
Zehn Jahre seines Lebens mußte er in Lagern und Gefängnissen der sowjetischen Geheimpolizei und der DDR-Volkspolizei verbringen. Den erschütternden Bericht „Unserer Entwicklung steht er feindselig gegenüber.“ kann man frei lesen.
Der Gegenwart. — 14. September 2022
Man weiß kaum noch, wie es draußen war. Alles wird vom Hunger überlagert. Dagegen helfen weder Intelligenz noch Weinen. Die ersten sterben. Der„Sani“, auch ein Gefangener, der ab und zu kommt, um das milchartige Mittel aufzufüllen, schaut sich jetzt auch den Allgemeinzustand der Kellerinsassen an. Sobald er bemerkt, dass es bei dem einen oder anderen „nichts mehr wird“, lässt er den Betreffenden herausholen und ins Lazarett bringen, wie das Haftkrankenhaus innerhalb des Gefängnisbereichs genannt wird. Dort lässt man ihn dann sterben. Die Sowjets hatten Angst, dass das Massensterben in den Sälen und Zellen die Häftlinge dazu bringen könnte, zu allem entschlossen vielleicht einen Aufstand oder Massenausbruch zu wagen. Nicht nur der körperliche Zustand führt zum Tode. Der Hunger und die Angst, bald auch auf der Trage herausgeschleppt zu werden, wühlen bei manchen im Gehirn, so dass sie nicht mehr klar sehen. Aber das kann der „Sani“ nicht erkennen. Er ist bei der Essenausgabe nicht dabei. Er kann die unterschiedlichen Essgewohnheiten Einzelner nicht beobachten. Ob er daraus die richtigen Schlüsse ziehen könnte? Mit großem inneren Abstand sehen wir, wie einige sich systematisch zugrunde richten. Der Tod als Flucht über die undurchdringliche Mauer.
Hans Corbat
Ein Exemplar des Buches von Hans Corbat habe ich zufällig in der nahegelegenen Bücher-Tausch-Zelle gefunden, mitgenommen und gelesen. Es sollte jeder lesen, der noch herumdruckst und dem klaren Befund ausweicht, daß die DDR ein Unrechtsregime gewesen ist.
Mich selbst kann ich nicht als Opfer dieser Zeit betrachten, auch in meinem persönlichen Umfeld habe ich während meiner Jugendjahre in Cottbus keine Drangsalierungen erlebt, von dem reglementierten Alltag abgesehen.
Später in Berlin hatte ich einige Erlebnisse, die mir eine Ahnung von der dunklen Allgewalt der Stasi vermittelt haben. Mehrere enge persönliche Freunde haben die Unerbittlichkeit des DDR-Regimes kosten müssen. Ich werde nicht vergessen, was Sozialismus bedeutet und welches Zerstörungspotenzial fanatischer sozialistischer Kader sich gegen einzelne harmlose Menschen richten kann.
Die Verachtung trifft dabei nicht nur diejenigen, die sich im Namen einer „guten Sache“ übler Untaten an Tausenden und Abertausenden schuldig gemacht haben, sondern auch unbelehrbare Ignoranten, die ihre Augen vor den Abgründen der DDR verschließen. Die alten DDR-Verklärer und die jungen Kommunismus-Romantisierer können es wissen. Das Wissen ist da und offen und kostenlos zugänglich, wie z. B. das Buch von Hans Corbat, das anschaulich Auskunft gibt über die Grausamkeit des realen Sozialismus.
* * *
„Unserer Entwicklung
steht er feindselig gegenüber.“
Hans Corbat: Erlebnisse in kommunistischen Lagern und Gefängnissen in Berlin, Torgau und Bautzen 1946–1956
EINFÜHRUNG von Wolfgang Oleschinski und Bert Pampel — Dresden, im April 2004
Zehn Jahre seines Lebens hat Hans Corbat in Lagern und Gefängnissen der sowjetischen Geheimpolizei und der DDR-Volkspolizei verbracht. Nachdem er aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) wegen der bevorstehenden Zwangsvereinigung mit der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) ausgetreten war, wurde er am 3. April 1946 verhaftet. Ein sowjetisches Militärgericht verurteilte ihn nach fast fünfmonatiger Untersuchungshaft zu 20 Jahren Lagerhaft. Der Weg durch Gefängnisse und Speziallager in Berlin, Torgau und Bautzen endete erst am 31. März 1956 mit seiner Entlassung aus der Strafvollzugsanstalt Bautzen. Von diesen zehn Jahren seines Lebens, von einer Jugend in politischer Haft, handelt der vorliegende Erlebnisbericht.
Hans Corbat wurde am 29. Juli 1926 in Berlin-Lichtenberg als Sohn eines Schulhausmeisters und einer Hausfrau geboren. Er besuchte die 11. Volksschule in Berlin-Kaulsdorf und später die Immanuel-Kant-Schule in Berlin-Karlshorst. Das Ende des Zweiten Weltkrieges erlebte Hans Corbat im April 1945 als Soldat der Wehrmacht im Kessel von Halbe südöstlich von Berlin. Er entging der Kriegsgefangenschaft und kehrte in seinen Heimatort Berlin-Kaulsdorf zurück, wo er sich umgehend in einem antifaschistischen Jugendausschuss engagierte. Die ursprüngliche Überparteilichkeit und Offenheit für alle weltanschaulichen und politischen Richtungen wurde jedoch schon bald von kommunistischen Funktionären in Frage gestellt. Nach der Vereinigung von SPD und KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) am 21. April 1946 orientierte sich die aus den antifaschistischen Jugendausschüssen hervorgegangene Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) zunehmend an der von den Kommunisten dominierten SED. Doch zu diesem Zeitpunkt saß Hans Corbat schon in Haft.
Bereits seit Januar 1946 hatte die sowjetische Besatzungsmacht auf örtlicher und regionaler Ebene die Vereinigung durch Versprechungen, aber auch durch Drohungen, Vorladungen und Verhaftungen von Kritikern des Zusammenschlusses vorangetrieben. Zu ihnen gehörte auch Hans Corbat, der am 1. April 1946 seine Austrittserklärung aus der SPD an das Schwarze Brett im Jugendheim von Berlin-Kaulsdorf geheftet hatte. Darin begründete er den Austritt mit seiner Unzufriedenheit über die Art und Weise der Vereinigung der beiden Parteien. Am 3. April wurde er von sowjetischen Uniformierten unter einem Vorwand abgeholt. Ein Offizier bat ihn um die Übersetzung eines englischen Textes ins Deutsche. Doch einen solchen Text bekam er nie zu sehen.
Erst allmählich erkannte Hans Corbat, dass er von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet worden war. Er wurde in den Keller einer Villa am Kupfergraben Nr. 7 im Berliner Stadtzentrum, direkt gegenüber dem weltberühmten Pergamon-Museum, gesperrt. Es handelte sich dabei um einen so genannten GPU-Keller. Diese Bezeichnung ging auf den antisowjetischen Propagandafilm „G.P.U.“ zurück, der am 14. August 1942 in den Berliner Kinos angelaufen war. Die „GPU“ (später OGPU) war die Nachfolgebehörde der Tscheka, der sowjetischen Geheimpolizei. Bis zur Unterstellung unter das Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten (NKWD) im Jahre 1934 fungierte sie als selbstständige Behörde. Als die sowjetischen Sicherheitsorgane nach Kriegsende 1945 in ihrer Besatzungszone auf Villengrundstücken, in Militärobjekten und in öffentlichen Gebäuden Räumlichkeiten, vorzugsweise in Kellern, für die Inhaftierung von Gefangenen herrichteten, prägte der Volksmund dafür den Begriff „GPU-Keller“. Hier wurden die Verhafteten in oft nächtelangen Verhören, unter psychischem Druck und zum Teil unter Anwendung von körperlicher Gewalt zu Geständnissen erpresst, die anschließend als Grundlage für ihre Verurteilung dienten. So erging es auch Hans Corbat, der nach mehrmonatiger Untersuchungshaft gestand, er sei vom englischen Geheimdienst beauftragt worden, Freiwillige für die englische Fremdenlegion zu werben. Dieses absurde Geständnis führte zu seiner Verurteilung durch ein Sowjetisches Militärtribunal (SMT) am 23. August 1946. Es sprach ihn der „Spionage“ und „antisowjetischen Propaganda“ schuldig und bestrafte ihn dafür mit 20 Jahren „Besserungsarbeitslager“.
Die Sowjetischen Militärtribunale waren seit den Stalinschen Säuberungen ein bewährtes Instrument der kommunistischen Strafjustiz in der Sowjetunion. Nach dem Sieg über das nationalsozialistische Deutschland wirkten sie bei einzelnen Truppenteilen sowie in Städten und Provinzen der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ). Auf der Grundlage des Strafgesetzbuches der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR), insbesondere des Artikels 58 „Konterrevolutionäre Verbrechen“, verurteilten sie Tausende Deutsche, aber auch sowjetische und ausländische Staatsbürger, zu größtenteils langjähriger Lagerhaft. Zu den SMT-Verurteilten gehörten Gegner der sowjetischen Besatzungspolitik aus der Sozialdemokratie, den bürgerlichen Parteien und der SED, der Spionage verdächtigte ehemalige Soldaten, die aus westlicher Kriegsgefangenschaft heimkehrten sowie wegen illegalen Waffenbesitzes oder krimineller Delikte verurteilte Zivilisten. Viele Jugendliche wurden wegen des Verdachts verurteilt, die Besatzungsmacht aus dem Untergrund bekämpfen zu wollen. Oftmals gingen all diese Verurteilungen auf Denunziationen durch ortsansässige Deutsche zurück. Auch Personen, die in dem Verdacht standen, während der nationalsozialistischen Diktatur Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, fielen unter die sowjetische Militärgerichtspraxis. Unabhängig von den Vorwürfen entbehrten die Verfahren jeder rechtsstaatlichen Grundlage. Sie basierten auf erpressten Geständnissen, und es gab für die Angeklagten keine Möglichkeit, sich zu verteidigen. Verurteilung und Strafmaß standen fast immer von vornherein fest. Die „Verhandlungen“ dauerten bei Einzelverfahren selten länger als eine Stunde. Zwischen 1945 und September 1955 wurden etwa 40.000 Deutsche von Sowjetischen Militärtribunalen verurteilt, 1.600 von ihnen nachweislich zum Tode.
Nur wenige Tage nach seiner Verurteilung wurde Hans Corbat aus dem Gefängnis Nr. 6 in der Magdalenenstraße in Berlin-Lichtenberg in das Speziallager Nr. 10 überführt. Es befand sich im ehemaligen Wehrmachtgefängnis Torgau-Fort Zinna. Dort hatte die sowjetische Geheimpolizei Ende August 1945 zunächst das Speziallager Nr. 8 eingerichtet. In dem völlig überfüllten Gefängnis wurden mehr als 8 000 Deutsche gefangen gehalten. Sie wurden gemäß dem NKWD-Befehl Nr. 00315 vom 18. April 1945 vor allem wegen der tatsächlichen oder angeblichen Mitgliedschaft bzw. Funktion in nationalsozialistischen Organisationen (NSDAP, Hitlerjugend, Bund Deutscher Mädel/BDM) oder ihrer Zugehörigkeit zu Wehrmacht, Volkssturm und SA vollkommen von der Außenwelt isoliert. Konkrete Vergehen wurden ihnen nicht angelastet, ihre strafrechtliche Verurteilung war nie beabsichtigt. Bis Mitte Mai 1946 wurde das Lager Nr. 8 in die benachbarte Seydlitz-Kaserne verlegt und Ende Dezember 1946 durch die Verlegung der Gefangenen in die Speziallager Buchenwald und Mühlberg aufgelöst.
Im frei gewordenen Fort Zinna richtete das NKWD das „Gefängnis Nr. 7“, das bis dahin in Frankfurt/Oder gelegen hatte, ein. Im Juni 1946 erhielt es die Bezeichnung „Spezlager Nr. 10“. In den kommenden Wochen kamen Tausende SMT-Verurteilte wie Hans Corbat aus allen Provinzen der SBZ in dieses Lager. Anders als die im Lager Nr. 8 im Gewahrsam gehaltenen „feindlichen Elemente“, so der Sprachgebrauch der sowjetischen Geheimpolizei, waren die Neuankömmlinge kaum durch Aktivitäten während der Zeit des Nationalsozialismus belastet und auch wesentlich jünger. Schon bald war das Gefängnis erneut überfüllt. Die Lage entspannte sich erst, nachdem der Chef der sowjetischen Geheimpolizei in der SBZ, Generaloberst Iwan Serow, am 12. September 1946 angeordnet hatte, deutsche SMT-Verurteilte künftig in die Lager Sachsenhausen und Bautzen einzuliefern. Nach Torgau kamen nun mehrheitlich verurteilte sowjetische Staatsbürger. Sie waren vor allem für Vergehen gegen die militärische Disziplin, wegen „Landesverrats“ oder wegen krimineller Delikte bestraft worden. Für sie wurde das Lager Nr. 10 im Fort Zinna zum Durchgangsgefängnis auf dem Weg in die Lager des „Archipel GULAG“ in der Sowjetunion. Im Mai 1948 wurde das Lager Nr. 10 in Torgau aufgelöst. In den beiden Torgauer Lagern Nr. 8 und Nr. 10 starben nach unvollständigen Berichten der Sanitätsabteilung etwa 800 Menschen, 130 von ihnen wurden hingerichtet.
Am 25. November 1946 wurde Hans Corbat mit 2.000 anderen deutschen SMT-Verurteilten im Zuge der Anordnung Serows aus Torgau in das Speziallager Nr. 4 nach Bautzen verlegt. Dieses Lager bestand seit Mai 1945 in der 1904 am Stadtrand eröffneten Strafanstalt, die wegen ihrer gelben Klinkersteine im Volksmund „Gelbes Elend“ genannt wurde. Zwischen 1933 und 1945 war diese Anstalt Teil des nationalsozialistischen Unterdrückungssystems. In dem Gefängnis, das 1.350 Häftlingen Platz bot, wurden bis Ende September 1945 mehr als 6.500 Menschen untergebracht, die von sowjetischen Sicherheitsorganen auf der Grundlage des Befehls Nr. 00315 verhaftet worden waren. Insgesamt durchliefen nach Angaben der Lagerverwaltung etwa 27.000 Menschen das Lager in der Zeit seines Bestehens, von denen etwa 3.000 ihr Leben verloren. Sie starben mehrheitlich aufgrund der katastrophalen hygienischen Zustände und der völlig unzureichenden Ernährung.
Wie die anderen Speziallager in der SBZ diente das Speziallager Bautzen zunächst dazu, Mitglieder und Funktionäre der NSDAP und nationalsozialistischer Organisationen in Gewahrsam zu halten. Die sowjetische Besatzungsmacht war sich mit den Westalliierten einig, all diejenigen vorbeugend zu internieren, von denen eine Gefahr für die Besatzung ausgehen konnte, insbesondere die Stützen des besiegten nationalsozialistischen Regimes. Mit Serows Anweisung von September 1946 veränderte sich jedoch die Funktion des Bautzner Speziallagers, denn von nun an sollten alle in der SBZ von SMT mit Strafen über 15 Jahren Verurteilten nach Bautzen eingeliefert werden. Zwischen Dezember 1946 und Januar 1950 wurden 6.300 SMT-Verurteilte in Bautzen aufgenommen. Von ihnen war etwa ein Drittel wegen des Vorwurfs von Kriegsverbrechen verurteilt worden. Die übrigen SMT-Verurteilten waren wegen „Spionage“, „antisowjetischer Propaganda“ oder „terroristischen Handlungen“ bestraft worden. Aufgrund der inzwischen vorliegenden Aussagen von Betroffenen wie Hans Corbat, zahlreicher Rehabilitierungen durch die russische Hauptmilitärstaatsanwaltschaft sowie den teilweise vorliegenden detaillierten Untersuchungsakten kann der Zweck des Speziallagers Bautzen bestimmt werden. Es diente zunächst vor allem der unmittelbaren militärischen Sicherung der Besatzung. Später verlagerte sich der Schwerpunkt Schritt für Schritt auf die Ausschaltung und Unterdrückung von Gegnern der gesellschaftlichen Umgestaltung in der SBZ. Die Ahndung konkreten nationalsozialistischen Unrechts war dagegen von untergeordneter Bedeutung.
Anfang 1950 wurden die letzten drei bestehenden Speziallager in der DDR aufgelöst. Hans Corbat und die anderen in Bautzen inhaftierten SMT-Verurteilten wurden bis auf wenige an die Deutsche Volkspolizei übergeben, die das Gefängnis im Februar 1950 übernahm. Ihre Hoffnungen auf eine Überprüfung ihrer Urteile oder zumindest eine Verbesserung der Lebensbedingungen erfüllten sich jedoch nicht. Die Volkspolizisten begegneten den Gefangenen mehrheitlich mit äußerster Härte und großer Feindseligkeit. Ihnen war eingeredet worden, es handele sich bei den SMT-Häftlingen um „Nazi- und Kriegsverbrecher“. Einen Aufstand der verzweifelten Gefangenen schlug die Volkspolizei im März 1950 brutal nieder. Mehr als 200 Gefangene, die durch die bereits jahrelange Haft in den Speziallagern geschwächt waren, starben in der Folge an Tuberkulose und anderen Krankheiten. Erst nach Stalins Tod im März 1953 keimte bei ihnen wieder Hoffnung auf, aber bis Dezember 1954 wurden immer noch neue SMT-Verurteilte eingewiesen. In mehreren Wellen kamen die SMT-Verurteilten bis 1956 zur Entlassung.
Der 31. März 1956 brachte für Hans Corbat die Freiheit. Nach seiner Haftentlassung verbrachte er wenige Tage bei seinen Eltern in Berlin-Lichtenberg und verließ dann die DDR. In der Bundesrepublik absolvierte er zunächst eine Ausbildung zum Zollinspektor und arbeitete dann bis zur Pensionierung in der Oberfinanzdirektion Hannover. Nach der Wiedervereinigung 1990 gehörte Hans Corbat zu den Gründern des Bautzen-Komitees, des Verbandes der ehemaligen Gefangenen der Bautzner Haftanstalten während der Zeit der sowjetischen Besatzung und der DDR, dessen Vorsitzender er vom 21. Oktober 1995 bis zum 19. September 2000 war. Am 30. November 1993 wurde Hans Corbat durch die russische Hauptmilitärstaatsanwaltschaft rehabilitiert. Er lebt als Pensionär in Hannover.
An zwei Stationen seiner Gefangenschaft – in Torgau und Bautzen – befinden sich heute Gedenkstätten, die von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft betreut werden. Schon Mitte der 90er Jahre kam es zu ersten Kontakten zwischen Hans Corbat und dem Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Torgau sowie der Gedenkstätte Bautzen. So lieferte Hans Corbat wertvolle Hinweise für die im September 1996 eröffnete Ausstellung „‚Feindliche Elemente sind in Gewahrsam zu halten.‘ Die sowjetischen Speziallager Nr. 8 und Nr. 10 in Torgau 1945–1948“. Seine schriftlich festgehaltenen Erinnerungen an die Haftzeit im Torgauer Speziallager Nr. 10 ermöglichten einen Einblick in die Situation der deutschen Gefangenen im Sommer und Herbst 1946. Bereits im Jahre 1992 waren in dem vom Bautzen-Komitee herausgegebenen Band „Das Gelbe Elend. Bautzen-Häftlinge berichten. 1945–1956“ Erinnerungen Corbats an seine Haftzeit in der Strafvollzugsanstalt Bautzen I erschienen. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Bautzen-Komitees gab er immer wieder Hinweise und Anregungen für die Umgestaltung der ehemaligen Haftanstalt Bautzen II in eine Gedenkstätte für die Opfer politischer Verfolgung in den Bautzner Haftanstalten. Die ersten in der Gedenkstätte Bautzen vom Bautzen-Komitee gestalteten Räumlichkeiten zur Dokumentation der Geschichte der Haftanstalt Bautzen I zwischen 1945 und 1956 hat er wesentlich geprägt. Als Vorstandsmitglied und Vorsitzender des Bautzen-Komitees war er in den 90er Jahren an der Vorbereitung und Durchführung des alljährlichen Treffens der ehemaligen Gefangenen sowie an der Einrichtung und Gestaltung der Gräberstätte Karnickelberg maßgeblich beteiligt. Vom 20. November 1995 bis zum 23. März 1999 war Hans Corbat Vorsitzender des Stiftungsbeirates der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, in dem Vertreter der Opferverbände, Gedenkstätteninitiativen, Religionsgemeinschaften und Kommunen über die Probleme und Perspektiven der Gedenkstättenarbeit innerhalb der Stiftung beraten. Auch nach seinem Rücktritt von dieser Funktion blieb Hans Corbat der Stiftung und ihren genannten Gedenkstätten freundschaftlich verbunden. So trat er nicht nur in verschiedenen öffentlichen Veranstaltungen auf, sondern regte auch die Erstellung eines namentlichen Verzeichnisses für die zwischen 1945 und 1956 in Bautzen ums Leben gekommenen Gefangenen an. Im Rahmen des X. Bautzen-Forums am 7. und 8. Mai 1999 wurde dieses Verzeichnis vom Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes an das Bautzen-Komitee übergeben. Um den Angehörigen der Opfer bessere Recherchemöglichkeiten zu bieten, hat die Gedenkstätte Bautzen, auch auf Anregung Corbats, im Jahre 2004 ein an die deutsche Namensschreibung angepasstes Totenbuch vorgelegt.
Über all diesen Aktivitäten waren Corbats Bemühungen, seine Erinnerungen an die erlittene Haft in eine druckfertige Vorlage zu bringen, zum Erliegen gekommen. Außerdem ließen ihn die erheblichen Kosten, die er als Privatperson für eine Drucklegung hätte aufbringen müssen, davor zurückschrecken. Im Frühjahr 2002 bot er der Stiftung Sächsische Gedenkstätten ein Manuskript dieser Erinnerungen an.
Über die Haft in den Gefängnissen und Speziallagern der sowjetischen Geheimpolizei in der SBZ gibt es nur wenige Berichte, die sich in ihrer Eindringlichkeit mit Corbats Schilderung messen können. Dies gilt vor allem für das Torgauer Speziallager Nr. 10 im Fort Zinna, zu dem nur sehr wenige und dazu eher knappe Berichte von ehemaligen Insassen vorliegen. Dies gilt aber auch für Corbats Schilderung seiner Untersuchungshaft im so genannten GPU-Keller am Kupfergraben in Berlin-Mitte, die in ihrer Dichte einzigartig ist. Auch über das sowjetische Speziallager in Bautzen und die von der Volkspolizei geführte Strafvollzugsanstalt gibt es bis heute eher zu wenige als zu viele Berichte ehemaliger Gefangener.
Zudem kommt mit Hans Corbat ein Mensch zu Wort, der nicht wegen einer aus der Zeit des Nationalsozialismus herrührenden Belastung oder vollkommen willkürlich, sondern aus eindeutig politischen Gründen verhaftet und verurteilt worden ist. Nicht nur über die sowjetischen Speziallager insgesamt, sondern gerade auch über diejenigen Insassen, die wegen ihrer Kritik, ihrer Opposition oder ihres Widerstandes gegen die allmähliche Durchsetzung der kommunistischen Diktatur in der SBZ inhaftiert waren, ist immer noch relativ wenig bekannt. Mit der Veröffentlichung in einer bereits eingeführten und positiv aufgenommenen Heftreihe wie „Lebenszeugnisse – Leidenswege“, die sich an ein breites Publikum richtet, verbindet sich daher auch die Hoffnung, zum Abbau solcher Wissensdefizite beizutragen. Schließlich zeigt auch die kontinuierlich wachsende Nachfrage nach den bislang erschienenen Heften dieser Reihe, insbesondere nach Schilderungen von Haftschicksalen in Bautzen, wie groß das Bedürfnis nach biographischen Schilderungen ist.
Einzigartig ist der Stil des Autors, mit dem er das Nebeneinander von Normalität und schreiendem Unrecht, von Komik und Tragik, von Alltag und absurden, alles andere als normalen Verhältnissen beschreibt. Dieser Stil ruht auf drei Säulen, die zugleich Wesenszüge des Menschen Hans Corbat sind: dem Glauben an Gott, einem unvergleichlichen Humor und dem festen Willen zur Selbstbehauptung. Wie Corbat in seinem Bericht selbst schreibt, bildeten diese drei Elemente zugleich die Grundbestandteile der Strategie des Überlebenskampfes in der Haft: „Wohl dem, der hier seinen Glauben behielt oder fand, wohl dem ebenfalls, der hier nicht den Humor verlor. Wer gar beides besaß, war besser dran als einer, dem dies fehlte.“ Der vom Autor angeschlagene lockere Plauderton täuscht dabei freilich nicht über das Grauen hinweg.
Von besonderer Eindringlichkeit sind die einfühlsamen Beschreibungen von Mithäftlingen, Peinigern und anderen Menschen, die den Lebensweg Corbats in jener Zeit kreuzen. Sein beißender Spott trifft Mitgefangene und Wachpersonal gleichermaßen. Die Grenze verläuft für ihn nicht zwischen Opfern und Tätern, sondern zwischen den Wegbegleitern mit menschlicher Gesinnung und jenen, die die Menschenwürde mit Füßen traten.
Das Ursprungsmanuskript hat für diese Veröffentlichung mancherlei Bearbeitung erfahren. Es wurde um ein Schlusskapitel ergänzt, das die durch den Bericht hoffentlich geweckte Neugier des Lesers auf den weiteren Lebensweg des Menschen Hans Corbat wenigstens ansatzweise befriedigen kann. Außerdem galt es, den ursprünglichen fragmentarischen Charakter des Manuskripts – es bestand hauptsächlich aus Anekdoten, Beobachtungen und kleinen Erzählungen, die von der chronologischen Schilderung des eigenen Haftschicksals durchbrochen wurden – zu einem Ganzen zusammenzuführen. Verschiedene Begriffe und Wendungen, die heutzutage nicht mehr zum allgemein gebräuchlichen deutschen Wortschatz gehören, sowie die Herkunft von Zitaten wurden durch Fußnoten erklärt. Aussagekräftige Dokumente und Abbildungen, die den Text illustrieren und die Veröffentlichung damit attraktiver und abwechslungsreicher machen konnten, mussten ausgewählt werden. Wir denken, dass sich diese Redaktion, die gemeinsam mit Hans Corbat erfolgte, gelohnt hat.
Wir danken Hans Corbat für die vertrauensvolle Zusammenarbeit, an deren herzliche Atmosphäre wir uns immer wieder gern erinnern. Des Weiteren gilt unser Dank den Kolleginnen des Dokumentations- und Informationszentrums (DIZ) Torgau und der Gedenkstätte Bautzen für die Unterstützung bei dieser Veröffentlichung.
Volltext des Buches im PDF: https://www.stsg.de/cms/sites/default/files/upload/dokumente/pdf/ll_heft_15.pdf
Lebensdaten
Hans Corbat wurde am 29. Juli 1926 in Berlin-Lichtenberg als Sohn eines Schulhausmeisters und einer Hausfrau geboren. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, das er als Soldat der Wehrmacht im Kessel von Halbe erlebte, kehrte er zurück in seinen Heimatort Berlin-Kaulsdorf. Er trat der sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) bei und arbeitete als Kultur- und Pressereferent in einem antifaschistischen Jugendausschuss. Nachdem er aus der SPD wegen der bevorstehenden Zwangsvereinigung mit der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) ausgetreten war – seine Austrittserklärung mit der Begründung hatte er im Jugendheim von Berlin-Kaulsdorf an das Schwarze Brett geheftet – wurde er am 3. April 1946 von sowjetischen Uniformierten abgeholt. Unter dem Vorwand, er solle englische Texte übersetzen, wurde er in einen so genannten GPU-Keller, dem als sowjetisches Untersuchungsgefängnis genutzten Keller einer Villa am Kupfergraben Nr. 7 in Berlin-Mitte, gebracht. Als er auf die Vorlage von Texten zur Übersetzung dort vergeblich wartete musste er begreifen, dass er verhaftet worden war. Fast fünf Monate blieb Hans Corbat in der Untersuchungshaft. Nach zahlreichen nächtlichen Verhören und Misshandlungen unterschrieb er schließlich ein erfundenes Geständnis.
Am 23. August 1946 wurde Hans Corbat vom sowjetischen Militärtribunal (SMT) Berlin wegen »Spionage« und »antisowjetischer Propaganda« zu 20 Jahren Arbeitslager verurteilt und wenige Tage später von der Berliner Untersuchungshaftanstalt Magdalenenstraße in das Speziallager Nr. 10 nach Torgau (Fort Zinna) überführt. Dort wurde er ca. drei Monate bei erzwungener Untätigkeit, äußerst mangelhafter Ernährung und ohne Außenkontakte inhaftiert. Am 25. November 1946 wurde er in das Speziallager Nr. 4 nach Bautzen (»Gelbes Elend«) verlegt und blieb auch nach der Übernahme des Gefängnisses durch die Deutsche Volkspolizei Anfang 1950 weiter dort in Haft. Im Juni 1955 wurde seine Strafe auf zehn Jahre herabgesetzt. Am 31. März 1956 folgte schließlich die Entlassung.
Hans Corbat verbrachte einige Tage bei seinen Eltern in Berlin-Lichtenberg und verließ dann die DDR. Er lebte in Hannover, wo er bis zu seiner Pensionierung 1991 in der Oberfinanzdirektion arbeitete. Am 30. November 1993 wurde Hans Corbat durch die russische Hauptmilitärstaatsanwaltschaft rehabilitiert. Von 1995 bis 2000 war er Vorsitzender des Bautzen-Komitees, der von ihm mitgegründeten Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge der Bautzener Gefängnisse, und von 1995 bis 1999 Vorsitzender des Beirates der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Für sein Engagement für Demokratie und die Erinnerung an das DDR-Unrecht wurde Hans Corbat 2009 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Am 10. Juni 2010 ist er in Hannover gestorben.
Text: Stiftung Sächsische Gedenkstätten
Das Buch
Hans Corbat: „Unserer Entwicklung steht er feindselig gegenüber.“ Erlebnisse in kommunistischen Lagern und Gefängnissen in Berlin, Torgau und Bautzen 1946 – 1956 Lebenszeugnisse – Leidenswege. Eine Heftreihe herausgegeben von Norbert Haase und Clemens Vollnhals im Auftrag der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft in Zusammenarbeit mit dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden. Heft 15 © Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft (2004)