Artefakte und Produkte
Hungersteine
Niedrigwasserphänomene wurden seit dem 15. Jahrhundert markiert.
Damit wird an die einschneidenden historischen Geschehnisse in Dürrejahren erinnert und eine urige meteorologische Chronik bewahrt.
Der Gegenwart. — 21. August 2022
Die zum Teil Jahrhunderte alten Hungersteine zeigen, dass extreme Niedrigwasser auch in der Vergangenheit vorkamen.
ntv.de-Meldung vom 17. August 2022
Die Geschichte der Hungersteine reicht zurück bis ins 15. Jahrhundert. Überliefert sind frühe Jahresinschriften von 1417, 1473, 1616, 1654, 1666 u. a. Ins allgemeine Bewusstsein traten sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Darstellungen in Zeitungen und Reiseberichten. So schrieb die Teplitzer Zeitung am 30. August 1876:
Die Elbe bietet in Folge der anhaltenden Dürre einen traurigen Anblick, wie er seit 1842 nicht mehr vorgekommen ist: überall ragen die Hungersteine hervor und der Meterpegel an der Dresdner Elbbrücke wird vom Wasser gar nicht mehr berührt. Auf der böhmischen Strecke ist die Dampfschifffahrt bereits wegen der Dürre eingestellt, zwischen Dresden und Tetschen wird dieselbe in einigen Tagen aufhören, wenn kein Regen kommt.
Aus dem Jahr 1857 wird berichtet, dass es auch in der Nähe von Zwingenberg im Neckar einen Hungerstein gibt, in dem die Jahreszahlen 1590, 1766, 1814, 1822, 1832, 1834, 1842 und damals aktuell auch das Jahr 1857 eingehauen wurde.
Diese Steine markieren zu Zeiten „als es noch keine meteorologischen Stationen gab“ die Jahre der Dürre, wie besonders 1842 oder 1893, so berichtete 1893 die Linzer Tages-Post. Sie nannte sie „die Marken der niedrigsten Wasserstände in dürrsten Jahren, eine eigenartige meteorologische Chronik“, und stellte fest, dass es nicht nur die Elbe betrifft, sondern auch Flüsse wie Fulda und Weser.
Orakelhafte Inschrift bei Tichlowitz
Auch über Hungersteine im Rhein wurde frühzeitig berichtet, so 1898 über solche Steine im Rheinbett bei Schaffhausen. Später beschrieb Alfons Paquet während seiner Rheinreise 1923 diese „Hungersteine, die jahrzehntelang im Wasser verborgen sind und bei ihrem Auftauchen Zeichen von Menschenhand verraten.“
1892 wurde berichtet, dass nach Erzählungen von Schiffern bei Tichlowitz ein großer Hungerstein liegen würde, der die orakelhafte Inschrift trägt: „Wir haben geweint – Wir weinen – Und ihr werdet weinen“. Diese Schiffersage wurde 1904 durch ein Foto bestätigt. Es weist die Jahresangaben 1842, 1874, 1892 und 1904 aus und zeigt den deutschen Spruch „Wer einst mich sah, der hat geweint. Wer jetzt mich sieht, wird weinen“, dem die Jahreszahl 1874 zugeordnet werden könnte.
Wallfahrten pilgerten zum Stein in Tetschen
Besondere Aufmerksamkeit wurde nach 1900 dem Hungerstein in Tetschen geschenkt, über den mit Zeichnungen 1904 und 1906 und Fotos 1911 in Wiener Zeitungen berichtet wurde. Dieser Stein wurde nicht nur durch seine enorme Größe, sondern vor allem durch die Inschrift „Wenn du mich siehst, dann weine“ berühmt. 1904 war in Zeitungen zu lesen, dass tagtäglich ganze Wallfahrten zu diesem Stein pilgerten. Ferner soll der Schiffseigner Franz Mayer durch die Schiffersage zum Tichowitzer Stein angeregt worden sein, einen ähnlichen Spruch einmeißeln zu lassen, versehen mit Datum und seinem Namen. Zum Schutz des Steines ließ das Wasserbauamt diesen Stein ummauern. Tausende von Ansichtskarten mit einem Bild von diesem Stein wurden in alle Welt verschickt.
1938 fügte der Pumpenfabrikant Frantisek Sigmund einen ähnlichen Spruch in tschechischer Sprache hinzu: „Mädchen, weine und klage nicht, wenn es trocken ist, spritze das Feld“. Beide Sprüche sind großteils noch heute lesbar, während der überlieferte Spruch auf dem Tichowitzer Stein abgeschabt und überschrieben wurde. Die Anlage wurde von 1904 bis 1926 schrittweise zu einer Denkmalstätte umgestaltet.
Auch im Spreewald-Dorf Trebatsch und bei Jessern
1904 wurde auch über einen im Spreewald-Dorf Trebatsch bei Berlin gefundenen Hungerstein mit der Inschrift „Wenn Ihr diesen Stein wiedersehen werdet, so werdet Ihr weinen, so flach war das Wasser im Jahre 1417“ berichtet. Der Cottbuser Anzeiger soll 1904 über einen weiteren Hungerstein im Spreewald berichtet haben, der sich im Schwielochsee bei Jessern befindet und die Inschrift „Wenn du mich siehst, wirst Du weinen“ aufweist.
1925 wurde auch von 3 Hungersteinen in der Mur im Stadtgebiet von Graz mit Inschriften aus dem 16. und 17. Jahrhundert berichtet.
Textgrundlage: https://de.wikipedia.org/wiki/Hungerstein_(Wasserstandsmarkierung)
Fakten
Hungersteine sind bei Niedrigwasser im Flussbett oder auf Gewässergründen sichtbar werdende große Steine. Benannt sind sie nach der mit Dürrezeiten in Verbindung stehenden Gefahr einer Hungersnot. Auch in der Schifffahrt können niedrige Wasserstände für die Binnenschiffer hinderlich sein und Notzeiten bedeuten. Hungersteine sind oft mit Jahreszahlen oder Inschriften versehen, um an Niedrigwässer zu erinnern, im Gegensatz zu Hochwassermarken, mit denen Höchstwerte von Hochwassern festgehalten werden. Für eine Markierung von Tiefständen können auch Schotterflächen, wie an der Augustusbrücke in Dresden oder am Grenzübergang Schmilka, oder auch Felsen (Hungerfelsen), wie in Magdeburg und Torgau, genutzt werden. (Wikipedia)
Kartierungen
Die Schwankungen der Flusswasserspiegel sind sowohl Folge der Variabilität von Witterung und Klima als auch von menschlich bewirkten Durchflusssteuerungen. Der Einfluss des Menschen auf die Extreme des Durchflusses in Form von Hochwasser und Niedrigwasser ist dabei im Allgemeinen begrenzt. Seit 2015 werden in einer institutionell übergreifenden Zusammenarbeit mit Senckenberg Naturhistorische Sammlungen Dresden und der Archäologischen Gesellschaft in Sachsen e.V. umfassende Kartierungen der wieder aufgetauchten Hungersteine und Untiefen an der Elbe vorgenommen. (wasser.sachsen.de)
Relikte aufgetaucht
Junge Freiheit vom 9. September 2022:
Trockenheit läßt Relikte der Vergangenheit auftauchen
HEIDELBERG. In diesem Sommer sind die Pegel vieler Flüsse und Stauseen auf Tiefststände gesunken, wodurch zahlreiche Zeugnisse aus der Vergangenheit auftauchten. Eine entsprechende Aufstellung findet sich in Spektrum der Wissenschaften (Online-Ausgabe vom 24. August [2022]). So kamen in der Donau zwei Dutzend Schiffswracks aus dem Zweiten Weltkrieg zum Vorschein. Viele davon gehörten zur deutschen Schwarzmeerflotte, die am 6. und 7. September 1944 auf Befehl von Konteradmiral Paul Wilhelm Zieb nahe der serbischen Ortschaft Prahovo auf Grund gesetzt wurde. In der galizischen Provinz Ourense wiederum ragte plötzlich die römische Festung Aquis Querquennis, die zum Ende des 1. Jahrhunderts Soldaten der Legio VII Gemina beherbergt hatte, aus den Fluten des 1949 angelegten Stausees As Conchas auf. Ebenso ging der Wasserstand des Tiber in Rom derart zurück, daß unter der 1911 eingeweihten Brücke Ponte Vittorio Emanuele II. nahe der Engelsburg die Reste einer Brücke sichtbar wurden, deren Bau angeblich zur Regierungszeit des Kaisers Nero (54–68 n. Chr.) erfolgte und die vermutlich schon im 4. Jahrhundert als Ruine dalag. (ts) www.reportage.spektrum.de