Punkte auf der Landkarte
Kadettenanstalt Naumburg
Der Große Kurfürst gründete Schulen zur Vorbereitung auf eine militärische Karriere. Auch die DDR probierte nach sowjetischem Vorbild das preußische Bildungskonzept.
Der Gegenwart. — 25. April 2024
11. DEZEMBER 1983 […] HEUTE NACHT EIN TRAUM: ICH STEHE ALS KADETT AUF DEM EXERZIERPLATZ UND VERWEIGERE JEDEN WEITEREN BEFEHL. ALLE DROHEN, REDEN AUF MICH EIN, MICH ZUR VERNUNFT ZU BRINGEN, ABER ICH WEISS: WENN ICH JETZT DARAUF WARTE, DASS ANDERE MEINE ARBEIT ERLEDIGEN + DIE SCHULE SCHLIESSEN, WIRD MIR MEINE ENTSCHEIDUNG ABGENOMMEN + ICH WERDE LANGE DAFÜR ZU BÜSSEN HABEN.
Thomas Brasch in „Tage- und Nächtebuch“ (2021)
Die Kadettenschule der NVA in Naumburg (Saale) bestand von 1956 bis 1961. Im ersten Ausbildungsjahr 1956/57 wurden 211 Kadetten ab dem 11. Lebensjahr der Klassen 6 bis 9 in zwei Kompanien mit je vier Zügen aufgenommen. Der erste Abiturjahrgang fand 1960 mit knapp 50 Absolventen statt. Im Laufe ihres kurzen Bestehens durchliefen insgesamt etwa 400 Schüler die Einrichtung. Dem Anspruch, dass überwiegend Söhne von verdienten Kämpfern der Arbeiterklasse Kadetten werden sollten, wurde die Schule nicht gerecht. Arbeiterkinder waren deutlich unterrepräsentiert. Stattdessen wurden überwiegend Söhne von Partei- und Staatsfunktionären, Angestellten und Offizieren in die Kadettenschule geschickt.
Lehre
Der Lehrplan glich allgemeinen zivilen Mittel- und Oberschulen, war jedoch um (vor-)militärische Ausbildung (vier Wochenstunden) und zusätzlichen Sportunterricht ergänzt, um auf die Offizierslaufbahn der NVA oder in anderen bewaffneten Organen der DDR vorzubereiten. Parallel zum Unterricht wurden militärische Arbeitsgemeinschaften angeboten. Der militärische Teil der Ausbildung wurde in einem jährlichen Sommer- und Winterlager vertieft.
Geschichte
Die Eröffnung der kostenfreien Schule fand feierlich am 1. September 1956 im Beisein des damaligen DDR-Verteidigungsministers Generaloberst Willi Stoph statt. Vorbild waren die sowjetischen Kadettenschulen, wohingegen man sich von preußischen Kadettenanstalten distanzierte. Das Schulareal war für eine königlich-preußische Kadettenanstalt errichtet und ab 1934 als Nationalpolitische Erziehungsanstalt genutzt worden.
Nach einem mehrjährigen Prozess erkannte die SED-Führung, dass das Kadettenwesen für die NVA untauglich war. Dazu trugen die spezifische soziale Zusammensetzung der Kadetten, der überfrachtete Schulalltag, pädagogisches Unvermögen eines Teils des Stammpersonals, der hohe materielle Aufwand und zunehmende Fragen über Sinn und Aufgaben der Kadettenschule bei. Auch verantwortliche SED-Funktionäre, Eltern und ältere Kadetten übten zunehmend Kritik. Nur eine Minderheit der Kadetten wollten Offiziere werden. Ihre an der Kadettenschule erworbenen militärischen Kenntnisse blieben hinter den Erwartungen zurück. Mit Ablauf des Schuljahres 1960/61 setzte die SED-Führung der Schule ein abruptes Ende. Die Beschäftigung mit der Kadettenschule wurde für DDR-Militärhistoriker zum Tabu.
Die NVA nutzte das Gelände als Vorstudienfakultät zur Vorbereitung auf ein Hochschulstudium an der Militärakademie „Friedrich Engels“ und als Institut für Fremdsprachenausbildung der NVA zur vorbereitenden Sprachausbildung auf ein Studium an einer sowjetischen Militärhochschule.
Das Gelände der Schule wird seit 1990 von der Bundeswehr genutzt. Heute befinden sich dort die III. Inspektion des Bundessprachenamts, die Bundeswehrfachschule Naumburg sowie die Bundeswehrfachschulbetreuungsstelle Naumburg.
Textgrundlage: https://de.wikipedia.org/wiki/Kadettenschule_der_NVA
Fakten und Daten
Die Kadettenschule der NVA (die Kadette) war eine Kadettenanstalt der Nationalen Volksarmee (NVA) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in Naumburg (Saale), die von 1956 bis 1961 bestand. Mit ihrer Schließung endete die letzte deutsche Kadettenausbildung. Bekannte Schüler waren Thomas Brasch (1945–2001), Sohn des SED-Funktionärs Horst Brasch, später Schriftsteller und Filmemacher, sowie Lothar Engelhardt (1939–2010), später Generalmajor und letzter Chef der NVA. (Wikipedia)
Kaiserliche Kadettenanstalt
Als Kadettenanstalt oder Kadettenschule werden weiterführende Schulen bis zum Abitur bezeichnet, die in der Regel der Vorbereitung auf eine militärische Karriere dienen oder für eine zukünftige militärische Karriere förderlich sind. Erste Kadettenschulen entstanden gegen Ende des 17. Jahrhunderts unter anderem in Frankreich, wo zu Offizieren bestimmte junge Edelleute als Cadets in Kompanien zusammengeführt wurden, um eine ihrem künftigen Beruf entsprechende Bildung und Erziehung zu erhalten.
Preußen
Der Große Kurfürst gründete das sogenannte Kadettenkorps mit den Anstalten in Kolberg, Berlin und Magdeburg. Der erste Stamm des Kadettenkorps war in Kolberg und bestand aus 60 bis 70 Kadetten, die im Jahr 1716 in das neu gebildete „Königlich Preußische Kadettenkorps“ in Berlin verlegt und auf 110 vermehrt wurden. Die Berliner Anstalt wurde von König Friedrich Wilhelm I. als „Pflanzschule“ des Preußischen Offizierskorps gegründet. 1902 bestand das Preußische Kadettenkorps insgesamt aus acht Kadettenhäusern und der Hauptkadettenanstalt.
Kadettenhäuser
Das Korps gliederte sich zuletzt in acht Vorkorps (Kadettenvoranstalten, später Kadettenhäuser genannt) zu je zwei Kompanien in Plön (seit 1868), Köslin (1890), Potsdam (seit 1801), Bensberg (seit 1840), Naumburg (Saale) (seit 1900), Wahlstatt (seit 1838), Oranienstein (seit 1867), Karlsruhe (seit 1892) und die Preußische Hauptkadettenanstalt (HKA) in Groß-Lichterfelde (seit 1878) zu zehn Kompanien. Die Kadettenhäuser umfassten 1902 die Klassen von Sexta bis Untertertia (5. bis 8. Klasse) und hatten etwa 150 bis 240 Kadetten, die Hauptkadettenanstalt hatte die Klassenstufen von Untersekunda bis Oberprima sowie der »Selekta« (Oberstufe). Der Bildungsgang entsprach in etwa dem des Realgymnasiums, mit Lateinisch ab Sexta, Französisch ab Quarta und Englisch ab Obertertia.
Kadettenkorps
Das Kadettenkorps war seit dem Reformwerk des Generals Ernst von Rüchel (1754–1823) dem Inspekteur des militärischen Erziehungs- und Bildungswesens unterstellt. Aktive Offiziere taten in ihm als »Erzieher« Dienst. Schon vor den durch Gerhard von Scharnhorst, August Neidhardt von Gneisenau und Hermann von Boyen ins Werk gesetzten preußischen Militärreformen hatte Generalinspekteur von Rüchel wichtige Reorganisationsmaßnahmen angeregt, die jedoch erst nach den Befreiungskriegen durch den Kadettenkommandeur Johann Georg Emil von Brause umgesetzt wurden. Brause formte die von der Schließung bedrohte Drill-, Verwahr- und Versorgungsanstalt zu einem dem Gedanken des Humanismus verpflichteten Bildungs- und Erziehungsinstitut. Diese Reorganisation befestigte den Charakter der militärischen Bildungsanstalten als Hochburg adeligen Standesgeistes. (Wikipedia)
Naumburg (Saale)
Naumburg (Saale) ist eine Mittelstadt im Süden von Sachsen-Anhalt. Naumburg ist Verwaltungssitz des Burgenlandkreises und Mittelpunkt des nördlichsten deutschen Qualitätswein-Anbaugebietes Saale-Unstrut. Die Stadt ist ein Knotenpunkt im deutschen Schienennetz. Sie ist geprägt durch eine reichhaltige, fast 1000-jährige Geschichte, insbesondere als historischer Sitz des Bistums Naumburg. Wahrzeichen ist der Naumburger Dom in der mittelalterlichen Altstadt, der seit dem 1. Juli 2018 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Naumburg ist ein staatlich anerkannter Erholungsort. Ein Baudenkmal der jüngeren Vergangenheit ist die ehemaligen kaiserlichen Kadettenanstalt an der Kösener Straße. Der weitläufige Backsteinkomplex besteht aus dem zentralen Hauptgebäude und zwei Seitenflügeln im Stil der Neogotik. Heute ist ihn ihm eine Außenstelle des Bundessprachenamts der Bundeswehr und eine Bundeswehrfachschule untergebracht. Von 1956 bis 1961 wurde er von der Kadettenschule der NVA genutzt, später vom Institut für Fremdsprachenausbildung der NVA. (Wikipedia)
Literatur
▬ Olaf Rönnau: Eine totale Institution als Zwischenspiel: die Kadettenschule der NVA von ihrer Gründung 1956 bis zu ihrer Auflösung 1961. Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin (2022; zugleich Dissertation an der Technischen Hochschule Dresden 2021).
▬ Peter Joachim Lapp: Schüler in Uniform – Die Kadetten der Nationalen Volksarmee. Helios (2009).