Machtworte – Inspektion der Herrschaftssprache
Kulturelle Aneignung
„Ist Winnetou erledigt?“ Der dumme, ahistorische Wokismus zwingt ehrenwerte und renommierte Institutionen zum erniedrigenden Kniefall:
Ein offener Brief von Karl-May-Gesellschaft und Karl-May-Stiftung
Der Gegenwart. — 30. August 2022
Prinzipiell finde ich es aber richtig, über Themen wie kulturelle Aneignung zu reden. […] Dieses Problem haben wir als Karl-May-Museum auch. Beispielsweise die Frage, ob man noch „Indianer“ sagen darf. Oder wie geht man mit Kindern um, die zum Fasching als Indianer gehen? Man muss Aufklärungsarbeit leisten. Dazu gehört gesundes und kritisches Hinterfragen. Wo kommen Wörter her, was ist mit der Kleidung verbunden? Verletzt man mit der Reproduzierung Menschen?
Robin Leipold, Direktor des Karl-May-Museums in Radebeul, n-tv.de, 25. August 2022
Antirassismus ist zur neuesten Religion geworden. „Dieser universitäre Irrsinn“ (Steven Pinker) greift mit der Kohlenzange auch nach humanistischem Gedankengut. Der Ravensburger-Verlag zieht zwei Kinderbücher zurück, ein Film wird attackiert. Film und Bücher basieren auf den Erzählungen von Karl May. Der Direktor des Karl-May-Museums in Radebeul, Robin Leipold, wird dazu befragt. Er weiß: ein falscher Zungenschlag, und sein Museum wird mit Farbbeuteln beworfen oder gleich ganz dichtgemacht.
Der Furor des Wokismus, die europäische Geschichte zu durchforsten, mit der Zeitgeistbrille zu suchen und überall „zu geringe Sensibilität“ und „rassistische Tendenzen“ zu finden, macht ehrenwerte Institutionen zur Schnecke und renommierte Persönlichkeiten zum Wurm. Und Würmer, das ist so ihre Eigenschaft, winden sich im Staub. So wird es für den Direktor des Karl-May-Museums eng, auch wenn er in epischer Breite verteidigt, dass es Karl May überhaupt gegeben hat und zukünftig „vielleicht“ noch geben dürfte:
Es wäre ja auch problematisch, es kulturell korrekt zu machen, indem man beispielsweise rituelle Tänze der Indigenen einbindet. Dann begeht man erst recht kulturelle Aneignung und maßt sich zeremonielle Riten an. Das wäre fatal. Wenn man heute Karl May auf die Bühne bringt, muss man immer voranstellen, dass das alles der Fantasie dieses sächsischen Autors entsprungen ist. May konnte nicht reisen, er hatte Bücher gelesen und hat sich diese Welten zurechtgeträumt. Das muss man stärker herausstellen und so könnte man vielleicht auch diese Geschichten noch erzählen.
Welcher Autor, laßt uns mal scharf nachdenken, hat sich denn nicht seine „Welten zurechtgeträumt“? Dafür muß man einen Autor entschuldigen und vor Bilderstürmern in Schutz nehmen? Das tat schon Ernst Bloch, der schon 1929 Karl May für „einen der besten deutschen Erzähler“ hielt, in seinem aus dem Zürcher Exil geschriebenen, Aufsehen erregenden Buch gegen den Nationalsozialismus Erbschaft dieser Zeit 1935:
Ein sehnsüchtiger Spießbürger, der selbst ein Junge war, durchstieß den Muff seiner Zeit. Er kolportierte nicht die Ideale des Bürgertums (feine Leute, Salonglanz), auch nicht die Rittergeschichten aus dem Biedermeier. Sondern er kolportierte nochmals den Indianerroman aus der Zeit Coopers, der revolutionären Ideale (als die Wilden noch bessere Menschen waren). Der Flitter des Jahrmarkts kam hinzu, der echte Budenorient, wie er zur Kolportage gehört, damit sich die Freizügigkeit nicht in kruder Natur erschöpfte, sondern färbt und in Traumschichten spiegelt. Fast alles ist nach außen gebrachter Traum der unterdrückten Kreatur, die großes Leben haben will ...
Am 10. Mai 1933 ging man „wider den undeutschen Geist“ vor. Auch wenn die Romane von Karl May nicht verbrannt, sondern von Hitler selbst bevorzugt gelesen wurden, versuchten die Machthaber des Dritten Reichs doch, die Rezeption Karl Mays in ihrem Sinne zu lenken. So waren manche Bände der Gesammelten Werke (Ardistan und Dschinnistan, Lichte Höhen) jahrelang nicht im Verlagsangebot.
Wer den aktuellen Kotau im Ganzen lesen möchte, kann hier zum n-tv-Interview springen:
Quelle: Debatte um Karl-May-Bücher – „Winnetou hat es nie gegeben“, n-tv.de, 25. August 2022
* * *
Schlaglicht auf den Zustand aktueller offizieller Debatten
Unter dem Eindruck der woken Attacken haben die Karl-May-Gesellschaft e. V. und die Karl-May-Stiftung eine Petition verfaßt. Ihre Bittschrift – so die wörtliche Übersetzung des lateinischen petitio – changiert zwischen selbstbewußtem Anerbieten ihrer Kompetenz („lehrreiches Exempel“) und einem selbstzerfleischenden Ton („damals gängige ethnische Stereotypen und eine eurozentrische Perspektive“), den man aus Stalins Schauprozessen wiederzuerkennen meint.
Der ganze Vorgang wirft ein Schlaglicht auf den Zustand aktueller offizieller Debatten. Man fühlt sich davon beschmutzt und weicht am besten dadurch aus, dass man sich den originalen Schriften von Karl May zuwendet. Wir werden zu gegebener Zeit auf dieser Webseite auf ihn zurückkommen.
* * *
Petition
Ist Winnetou erledigt? Ein offener Brief von Karl-May-Gesellschaft und Karl-May-Stiftung
Die Entscheidung des Ravensburger Verlags, aufgrund eines in den sozialen Medien erhobenen Rassismusvorwurfes mehrere Publikationen rund um den Film Der junge Häuptling Winnetou zurückzuziehen, hat eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Als eigentlicher Sündenfall wurde von Seiten dekolonialer Aktivisten der Bezug zu Karl May gekennzeichnet, der angeblich ein überholtes rassistisches Weltbild vertrete und den Genozid an der indigenen Bevölkerung Amerikas romantisiere oder verschweige.
Ohne auf den Inhalt des Films und der zugehörigen Bücher einzugehen – bei denen es sich um völlig freie Neuinterpretationen der von Karl May in den 1890er Jahren geschaffenen Romanwelt handelt –, möchten die Karl-May-Gesellschaft e. V. und die Karl-May-Stiftung zum Umgang mit historischen Darstellungen anderer Kulturen grundsätzlich Folgendes festhalten:
1. Als deutscher Schriftsteller des 19. Jahrhunderts ist Karl May unvermeidlich vom Habitus eines kolonialen Zeitalters geprägt. Beim Verfassen seiner Reiseerzählungen kreierte er aus den Wissensbeständen der zeitgenössischen Ethnographie exotische Fluchtwelten für seine bürgerliche Leserschaft, die gleichzeitig als phantastische Bewährungsräume für ein literarisch überhöhtes Ich fungieren. Insbesondere seinen frühen Texten sind daher damals gängige ethnische Stereotypen und eine eurozentrische Perspektive eingeschrieben. Diese kritisch herauszuarbeiten und auf ihre Quellen zurückzuführen, ist Aufgabe der Literatur- und Kulturwissenschaft.
2. Die zeitbedingte Weltsicht teilt Karl May mit praktisch allen Autorinnen und Autoren der Vergangenheit. Die Besonderheit Karl Mays besteht darin, dass in seiner Darstellung des ›Wilden Westens‹ von Anfang an die Sympathie des Erzählers der leidenden indigenen Bevölkerung gilt. Ihre Würde und ihre menschlichen Qualitäten verkörpern sich in Idealfiguren wie Winnetou, dem Häuptling der Apachen, und die tragische Vernichtung ihrer materiellen und kulturellen Existenz grundiert alle May'schen Nordamerika-Erzählungen:
»Ganz unstreitig gehörte diesen das Land, welches sie bewohnten; es wurde ihnen genommen. Welche Ströme Blutes dabei geflossen und welche Grausamkeiten vorgekommen sind, das weiß ein jeder, der die Geschichte der ›berühmten‹ Conquistadores gelesen hat.« (Karl May: Winnetou, der Rote Gentleman. 1. Band, Freiburg i. B. 1893, S. 3)
Auch an anderen Schauplätzen – in Südamerika und Südafrika, im Mittleren und Fernen Osten – werden Unterdrückung und wirtschaftliche Ausbeutung, Sklaverei und gewaltsame Mission mit ihren Motiven und Folgen immer wieder drastisch vor Augen geführt und unmissverständlich verurteilt. Überhebliche Verachtung außereuropäischer Kulturen, rassistische Sprache und religiöse Intoleranz sind bei Karl May durchgehend Merkmale negativ gezeichneter Antagonisten. Hierdurch hat der Autor bei seiner großenteils jugendlichen Leserschaft zweifellos über mehrere Generationen hinweg als Erzieher zu Toleranz und Weltoffenheit gewirkt.
3. Durch die autodidaktische Beschäftigung mit Geschichte, Religionen und Sprachen außereuropäischer Kulturen erhob sich Karl May im Laufe seines Schriftstellerlebens zunehmend über den chauvinistischen Zeitgeist des späten 19. Jahrhunderts. Unter dem Eindruck einer langen Orientreise stellte er sein literarisch bedeutendes Spätwerk ganz in den Dienst überkonfessioneller Humanität und entwickelte am Vorabend des Ersten Weltkriegs die Utopie einer von gegenseitigem Respekt getragenen Menschheitsverbrüderung. Dieser idealistische Teil seines Schaffens tritt im allgemeinen Bewusstsein bis heute zu Unrecht hinter den populären Abenteuererzählungen zurück.
4. Der Ravensburger Verlag begründet seine Entscheidung mit der Beobachtung, dass eine auf Karl May basierende Darstellung des Apachenhäuptlings Winnetou die Gefühle anderer Menschen verletzt habe. Wenn dies der Fall ist, so werden Wunden nicht dadurch geheilt, dass man den Verursacher – oder stellvertretend für ihn eine historische Künstlerpersönlichkeit – kurzerhand ausradiert. Im Gegenteil bedarf eine wirksame und nachhaltige Therapie der expliziten Auseinandersetzung mit den Ursachen.
In diesem Zusammenhang verdient Karl May, der häufig auf einige Film-Klischees reduziert wird, eine differenzierte Betrachtung. Seine überaus einflussreiche Repräsentation außereuropäischer Kulturen ist selbst längst Teil der europäischen Kulturgeschichte und lehrreiches Exempel einer produktiven und autoreflexiven Begegnung mit Alterität. Gerade weil in seinen Texten Vorurteile vorausgesetzt, verbalisiert, bekämpft und überwunden werden, ist er keineswegs ›überholt‹, sondern auch für das 21. Jahrhundert eine lohnende Lektüre.
Karl-May-Gesellschaft e. V. (vgl. auch diese grundsätzliche Stellungnahme)
Karl-May-Stiftung
* * *
Karl May-Gesellschaft e. V.:
Details
»Kann man heute noch ›Indianerbücher‹ lesen?« (Meldung vom 03.05.2022)
Die Karl-May-Gesellschaft begrüßt die breite Debatte über die Rechte aller ethnischen und gesellschaftlichen Gruppen und beteiligt sich aktiv an der wissenschaftlichen Aufarbeitung diskriminierender Diskurse. Wir glauben, dass dieser noch lange nicht abgeschlossenen Diskussion durch die kritische Auseinandersetzung mit historischen Texten, einschließlich ihrer zeitbedingten Sprache, besser gedient ist als durch das Vermeiden oder gar Verfälschen problematischen Materials.
Aufgrund ihrer Handlung, ihres weltanschaulichen Gehalts und ihres generationenlangen Einflusses sind die Texte Karl Mays besonders gut dafür geeignet, Leserinnen und Leser des 21. Jahrhunderts für die historische Bedingtheit von ethnischen Stereotypen und Geschlechterrollen zu sensibilisieren. Sie zeigen den Autor als einen Menschen, der in den Denk- und Ausdrucksgewohnheiten seines Umfelds befangen und auf die damals verfügbaren Informationen angewiesen, aber zeit seines Lebens bemüht war, zu einem gerechteren Urteil zu gelangen. Die Verbrechen von Kolonialismus und Sklaverei, die pauschale Geringschätzung anderer Kulturen und die Zerstörung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen werden in Mays populären Abenteuererzählungen unmissverständlich verurteilt. Sein Spätwerk ist ein engagiertes Plädoyer für Toleranz und Völkerverständigung.
Quelle: https://www.karl-may-gesellschaft.de/index.php?seite=hotdetails&sprache=de&showdetail=850
* * *
Auch Herbig „würde das nicht mehr so machen“
Anfang September 2022 wurde der Comedian, Schauspieler und Regisseur Michael „Bully“ Herbig in der Radio-Bremen-Talkshow „3 nach 9“ im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo auch „nach der derzeit tobenden Debatte über kulturelle Aneignung und Rassismus“ befragt. Der Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller der Karl-May-Filmparodie „Der Schuh des Manitu“ (2001) gab eine wenig überraschende Antwort: „Heute würde er das nicht mehr so machen, sagte Herbig.“
Der dpa-Text läßt erkennen, dass dem Komiker inzwischen das Eis zu dünn ist: „Herbig sagte auch, es werde sehr kompliziert, wenn eine Gruppe, die man im Film abbilde, in Lager geteilt sei. Dann gebe es Leute die sagen ‚Ich find' das lustig, ich erkenn' mich da wieder, ich fühl' mich ertappt, ich kann darüber lachen' und andere, die sagen ‚Ich fühl' mich diskriminiert oder ich fühl' mich beleidigt, verletzt'. Herbig: ‚Dann bin ich raus, dann weiß ich nicht mehr, auf wen ich hören soll.'“
Sein nachvollziehbares Fazit: „Er glaube, dass es bald weniger Leute geben werde, die Komödien machten, weil viele denken ‚Das ist mir zu heiß'.“
Lebensdaten
Karl Friedrich May (* 25. Februar 1842 in Ernstthal; † 30. März 1912 in Radebeul; eigentlich Carl Friedrich May) war ein deutscher Schriftsteller. Karl May war einer der produktivsten Autoren von Abenteuerromanen. Er ist einer der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache und laut UNESCO einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller. Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland. (Wikipedia)
Petition
Ist Winnetou erledigt? Ein offener Brief von Karl-May-Gesellschaft und Karl-May-Stiftung – Unterschreibe diese Petition – Mit meiner Unterschrift ermächtige ich Karl-May-Gesellschaft e. V. und Karl-May-Stiftung, meine in diesem Formular gemachten Angaben an Personen weiterzugeben, die hinsichtlich des Sachverhalts die Entscheidungsgewalt haben. (petitionen.com)
Woke
Woke (englisch „erwacht“, „wach“) ist ein im afroamerikanischen Englisch in den 1930er Jahren entstandener Ausdruck, der ein „erwachtes“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus beschreibt. Aktivistisches oder militantes Eintreten für den Schutz von Minderheiten kann damit einhergehen. Im Zuge der durch die Erschießung des 18-jährigen Afroamerikaners Michael Brown 2014 ausgelösten Proteste gelangte der Begriff zu weiter Verbreitung, unter anderem in den Reihen der Black-Lives-Matter-Bewegung. Die Bedeutung im Duden lautet „In hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung“, wobei auf einen möglicherweise abwertenden Gebrauch hingewiesen wird. So wird der Ausdruck woke inzwischen von konservativen und rechtsextremen Gruppen als „Anti-Wokeness“ politisch instrumentalisiert und – wie die Ausdrücke politische Korrektheit, Cancel Culture und Social Justice Warrior – mit negativer Konnotation und häufig sarkastisch verwendet, um Linke und ihre Ziele abzuwerten. Auf der linken Seite des politischen Spektrums wird der Ausdruck mitunter ebenfalls abwertend gebraucht, um z. B. ein aggressives, rein performatives Vorgehen zu kritisieren. Die Selbstbeschreibung als woke ist indessen rückläufig. (nach Wikipedia)
Deutsche lieben Indianer
»Im Sommer tobte eine Debatte um angeblichen Rassismus und kulturelle Aneignung in den Winnetou-Büchern. Sogar Nazi-Vorwürfe wurden gegen Karl May erhoben. Den Deutschen ist das offenbar egal. […] Der Karl-May-Verlag hat nach eigenen Angaben von der Winnetou-Debatte profitiert. „Eine Umfrage hat gezeigt, daß mindestens 70 Prozent der Deutschen hinter Karl May und Winnetou stehen.“ Das Thema habe sich zu einer positiven Marketingaktion entwickelt und den Verkauf der Bücher stark angekurbelt, teilte der Verlag auf dpa-Anfrage mit.«
(Der Karl-May-Verlag wurde 1913 in Radebeul gegründet und siedelte 1959 nach Bamberg über, ist aber seit 1996 auch wieder in Radebeul vertreten.)
Zitiert nach: „Deutsche lieben Indianer. Karl-May-Verlag profitierte von Winnetou-Debatte“, Junge Freiheit vom 23. Dezember 2022
„Kulturkampf von rechts“
Das Thema kulturelle Aneignung wird offenbar von immer mehr Personen verspottet. Am Samstag zeigte sich auch Thüringens CDU-Chef Mike Mohring im „Indianer“-Kostüm beim Faschingsumzug in Apolda. Die Grünen warfen ihm sogleich „Kulturkampf von rechts“ vor, der Spiegel sah – Gott bewahre! – eine „Nähe zur AfD“.
Junge Freiheit Nr. 9 / 23 vom 24. Februar 2023, Seite 2