
Vokabularium
Osterreiten
Die sächsische Oberlausitz ist auch Sorbenland. Nicht allein im katholisch gebliebenen Gebiet erfreut sich die Pferdeprozession wachsender Beliebtheit und dokumentiert die Sehnsucht der Menschen nach Spiritualität.
Von Bert Wawrzinek. — 10. April 2023
Noch aus der Ferne schält sich die Silhouette der Reiterprozession heraus, tragen Windböen Liedfetzen zu den Wartenden beidseits der Straße. „Christus ist heute auferstanden“ (Dzens Chrystus z mortwych stanyl je), heißt ein sorbischer Osterchoral, der vom Triumph des Lebens über den Tod kündet.
In Paaren reiten sie heran, die Spitze mit Kirchenfahnen, Kruzifix und der Marien-Statue, dann in feierlichem Ernst der Zug: Alte und junge Männer, festlich angetan mit Gehrock und Zylinder, auf herausgeputzten Pferden in kostbarem Geschirr, gestickte Schleifen im Schweif, das Osterlamm auf den Schabracken.
Es ist windig und mancher Reiter hat zu tun, den Hut auf dem Kopf und sein Pferd in der Spur zu halten und doch: Wer an diesem Ostersonntag nach einem Sinnbild für das Heilige sucht, wird nicht unberührt bleiben, hier am Weg der Kreuzreiter von Crostwitz nach St. Marienstern. Was aber hat es mit dem katholischen Brauchtum im doch protestantisch geprägten Sachsen auf sich?
Germanische Flurumritte zu Frühlingsbeginn
Ihren Ursprung findet die Pferdeprozession in vorchristlicher Zeit mit den Flurumritten zu Frühlingsbeginn, wie sie germanische Völker einst praktizierten. Doch nicht nur diese. Vor etwa 1400 Jahren besiedelte der Stamm der westslawischen Milzener das Gebiet der späteren sächsischen Oberlausitz, wo deren sorbische Nachkommen noch heute leben.
Christlichen Inhalt erhielt der profane Brauch im Zuge der Christianisierung im 10. und 11. Jahrhundert; fortan baten sorbische Christen in der Osterzeit ihren Gott um seinen Segen für die heimische Flur.
Mit Einführung der Reformation verschwanden die Osterreiterprozessionen allmählich, von den protestantisch gewordenen Standesherren als „papistische Unsitte“ bekämpft. Galt doch nach dem Augsburger Religionsfrieden der Grundsatz „Cuius regio, eius religio” (Wer die Herrschaft hat, bestimmt den Glauben), wodurch sich immerhin in der katholisch gebliebenen, sorbischen Lausitz zwischen Bautzen, Kamenz und Hoyerswerda das Osterreiten erhalten konnte. Daß dies bis in unsere Zeit gelang, ist einmal dem Beharrungswillen der frommen sorbischen Reiter und ihren Familien zu danken, nicht minder aber der Gunst historischer Weichenstellungen.
Geritten wurde bei Wind und Wetter
Während die Oberlausitz, vordem im Besitz der Böhmischen Krone, erst 1635 zum protestantischen Sachsen kam, regelte ein Traditionsrezess die Übergabe, wonach die konfessionellen Verhältnisse auf dem Stand von 1618 verblieben, geistliche Stifter nicht säkularisiert werden und katholische Pfarreien weiterexistieren durften. Damit aber konnten die Kreuzreiter in der Region um die Zisterzienserklöster Marienthal und Marienstern auch weiter hoch zu Roß die Osterbotschaft verkünden.
Geritten wurde die letzten 230 Jahre nahezu ohne Unterbrechung, bei Wind und Wetter, in Friedens- wie Kriegszeiten. Geritten wurde unter polizeilicher Überwachung im Dritten Reich, beargwöhnt auch in der DDR, wo es nach der Kollektivierung gerade an Pferden mangelte.
Geritten wird erst recht nach der deutschen Wiedervereinigung. Allem materialistischen Zeitgeist zum Trotz, erlebt gerade das Osterreiten mit mehr als 1500 Reitern in mehreren Prozessionen einen ungeahnten Aufschwung, mobilisiert alljährlich tausende begeisterte Zuschauer.
Und vielleicht liegt darin auch ein Ausdruck wachsender Sehnsucht nach Spiritualität, die in dem selbstbewußten christlichen Bekenntnis unserer sorbischen Nachbarn am Ostersonntag einen unwiderstehlichen Ausdruck findet.
© Bert Wawrzinek. Wir danken herzlich dem Autor für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung.
Traditionelle Routen
Oberlausitz
Gegenwärtig gibt es in der katholischen Oberlausitz vier Prozessionspaare und eine Prozession ohne Gegenbesuch. Die traditionellen Routen sind:
▬ Wittichenau–Ralbitz
▬ Crostwitz–Panschwitz-Kuckau
▬ Radibor–Storcha
▬ Nebelschütz–Ostro
▬ Bautzen–Radibor
Die Prozession der Stadt Wittichenau ist die einzige, bei der sich auch viele deutsche (ca. 50 Prozent) Osterreiter beteiligen. Außerhalb des sorbischen Siedlungsgebietes besteht seit 1628 zusätzlich der – ebenfalls katholische – Brauch der Saatreiterprozession zwischen Ostritz und dem Kloster St. Marienthal.
Niederlausitz
Das Osterreiten zwischen Zerkwitz und Klein Radden wird erst seit einigen Jahren (wieder) durchgeführt und erfolgt ohne Gegenbesuch. Anders als bei den Oberlausitzer Veranstaltungen sind hier auch – und sogar überwiegend – weibliche Reiter am Start.
Schlesien und Tschechien
Das Osterreiten (lokal als Osterritt bezeichnet) ist auch in Oberschlesien verbreitet, ferner in Tschechisch-Schlesien und in nordtschechischen Schluckenauer Zipfel. Die Tradition wird noch in den oberschlesischen Orten Racibórz (Ratibor), Pietrowice Wielkie (Groß Peterwitz), Zawada Książęca (Herzoglich Zawada), Sternalitz, Bischdorf, Ostropa (Ostroppa in Gleiwitz), Bieńkowice (Benkowitz) und im tschechischen Lukavec und Mikulášovice gepflegt. In Mähren hat der Ritt der Könige ebenfalls eine lange Tradition.
Bayern
▬ Osterritt in Regen
▬ Osterritt von Nabburg zur Waldkirche Maria Brünnl
▬ Osterritt (auch Georgiritt) in Traunstein
2013 wurde das Osterreiten im Ort Geldersheim wiederbelebt, wo es ebenfalls eine lange Tradition hat. (Wikipedia)