
In eigener Sache
Rozha One
by Shiva Nallaperumal
Die Type für Eigennamen in Überschriften auf dieser Webseite schuf der Designer der Indian Type Foundry. Seine lateinischen Buchstaben erweitern die 1.095 Glyphen der Devanagari-Schrift.
Der Gegenwart. — 19. August 2022
Diese Innovationsfreudigkeit ist in der indischen Schriftengemeinschaft nicht ungewöhnlich. Shiva Nallaperumal aus Chennai wurde in diesem Jahr in die Forbes-Liste der 30 unter 30 aufgenommen, weil er mit 24 Jahren der jüngste indische Preisträger des SOTA (Society of Typographic Aficionados) Catalyst Award ist. Der Absolvent des Maryland Institute College of Art in den USA hat kürzlich in Zusammenarbeit mit der niederländischen Schriftgießerei Typotheque seine neueste experimentelle Schrift Calcula herausgebracht. „Dazu gehörte auch die Programmierung (durch einen Partner), da sich die Schrift während des Tippens selbst entwickelt, um in die Buchstaben auf beiden Seiten zu passen. Es war nur ein Projekt, um die Grenzen zu erweitern; jetzt muss der Markt eine Verwendung für sie finden“, erklärt er.
Wie man leicht sehen kann, wird das typografische Material für diese nette kleine Webseite aus aller Welt beschafft. Es erscheint auf den ersten Blick vielleicht etwas exotisch, hier Textzeilen im lateinischen Alphabet zu lesen, dessen Buchstaben in Indien gezeichnet wurden. Die Schrift Rozha One ist aber perfekt geeignet, in großen Schriftgraden der Überschrift die Eigennamen der von uns vorgestellten Persönlichkeiten abzubilden. In der kräftigen und markanten Rozha One sind die Größenunterschiede der Groß- und Kleinbuchstaben, die ja ursprünglich aus verschiedenen Alphabeten zusammengeschmiedet wurden, in idealer Weise harmonisiert.
Schriftgeschichte: Minuskeln und Majuskeln
In der griechisch-römische Antike gab es zwei Typen – die Minuskelschriften und die Majuskelschriften.
Majuskelschriften waren die Capitalis (auch: Kapitalis) und die Unziale. Die Capitalis monumentalis, die sich im Römischen Reich bis etwa 100 v. Chr. ausbildete, diente als Grundlage für die Entwicklung der heutigen Großbuchstaben.
Minuskelschriften (von lat. minusculus „etwas kleiner“) waren die jüngere römische Kursive (4. Jh.) und die Halbunziale (5. Jh.).
Eine Minuskelschrift besteht im Unterschied zur Majuskelschrift nicht aus gleich hohen Buchstaben (Zweilinienschema), sondern weist bei einer Reihe von Buchstaben Ober- und Unterlängen auf (Vierlinienschema).
Mutterschrift der abendländischen Schriftenfamilie
Geschichtlich relevant wurde die um 780 als Hofschrift des fränkischen Reiches entstandene Karolingische Minuskel. Sie wurde Mutterschrift der gesamten abendländischen Schriftenfamilie (Antiqua, gotische Schrift).
Seit der Renaissance – etwa dem 15. (Quattrocento) und 16. Jahrhundert (Cinquecento) – gibt es Schriften, die ein Großbuchstaben- und ein Kleinbuchstabenalphabet in sich vereinen (Majuskeln und Minuskeln).
Die kombinierte Verwendung von Klein- und Großbuchstaben hat weitreichende praktische und ästhetische Aspekte (pro und contra). Sie ermöglicht das Schreiben von Texten, die schnell gelesen und leicht verstanden werden können.
Schon jeher in einer Schrift gefremdelt
Man könnte nun einen Gedanken aufnehmen, der im geflügelten Wort von Willy Brandt („Es wächst zusammen, was zusammen gehört.“) – freilich in einem ganz anderen Zusammenhang – enthalten ist. Man kann diesen Satz in abgewandelter Form aufnehmen und feststellen, dass mit der Kombination der Minuskeln und Majuskeln keineswegs etwas „zusammengewachsen ist, was zusammen gehört“. Im Gegenteil: wir behaupten, dass die Buchstaben der beiden konträren Alphabete schon jeher in einer Schrift gefremdelt haben. Die große Leistung der Typografen bestand schon immer darin, den prinzipiellen Unterschied und die ästhetischen Ungleichgewichte abzumildern und beim breiten Publikum vergessen zu machen.
Wir sind froh, die prahlerischen 1980er Schulterpolster hinter uns gelassen zu haben. So protzig sahen in dieser Epoche auch die Versalbuchstaben aus: in der American Typewriter (1974) und in der schrecklichen Arial (1982), die noch heute einige Mailschreiber verwenden. Die Majuskeln knallten aus der Textfläche heraus, zumal bei Abkürzungen („DDR“ oder „EBM“), ein Trend, der bis zur Computer Modern 1986 nicht gebrochen wurde. Im Deutschen verstärkte sich dieser Eindruck noch durch die zahlreicheren Großbuchstaben. Das wurde bisweilen sogar noch mit „falschen Kapitälchen“ gesteigert – quasi den pinken Haaren im Schriftsatz.
Gerard Unger konnte mit der Swift helfen
Erst Gerard Unger konnte 1987 mit der Swift vielen gepeinigten Nutzern helfen. Bei der Swift überragen die Minuskeln die Majuskeln in den Oberlängen deutlich und stutzen deren optische Dominanz zurecht. Die Majuskeln können nicht mehr den Lesefluß sabotieren. Das Auge kann nun in konzentrierter Ruhe die Textzeilen verfolgen, ohne ständig zu Majuskelklumpen einige Zeilen höher oder tiefer abzuirren.
Shiva Nallaperumal hat nun diese von Gerard Unger aufgenommene Entwicklung und Verbesserung auf ein neues ästhetisches Niveau gehoben. Wir stellen fest, dass Shiva Nallaperumal mit seiner wohlproportionierten und markanten Rozha One die über qualvolle Jahrhunderte divergenten Schriftklassen wirklich zusammengeführt hat. Man kann davon sprechen, dass er ein Fünflinienschema konstruiert hat, das sich an Notenlinien in natürlich proportionierten Abständen orientieren mag. Gleichwohl – als Nutzer der Typen von Shiva Nallaperumal dürfen wir an seinem Triumph teilhaben und können die Leser mit dieser ästhetischen Erfahrung beschenken.
Rozha One wurde 2014 veröffentlicht
Rozha One ist eine sehr kontrastreiche Open-Source-Schrift, die derzeit die Devanagari- und die lateinische Schrift unterstützt. Sie wurde in erster Linie für den Display-Einsatz entwickelt und eignet sich aufgrund des extremen Unterschieds zwischen den dicken und dünnen Strichen ihrer Buchstaben hervorragend für große Überschriften und Grafiken in Postergröße. Die Indian Type Foundry veröffentlichte Rozha One im Jahr 2014; ihr Devanagari-Zeichensatz wurde von Tim Donaldson und Jyotish Sonowal entworfen. Shiva Nallaperumal entwarf die lateinischen Buchstaben.
Die lateinischen Zeichen der Schrift sind in einem „modernen“ oder „Didone“-Stil gezeichnet, der den Buchstaben ähnelt, die in westlichen Werbeplakaten des 19. Jahrhunderts gebräuchlich waren.
Buchstaben gehen in der Textzeile ineinander über
Die lateinischen Buchstaben der Rozha One unterscheiden kaum zwischen Groß- und Kleinbuchstaben; die x-Höhe der Kleinbuchstaben ist so hoch – und die Größe der Großbuchstaben so klein –, dass sie in einer Textzeile praktisch ineinander übergehen. Dennoch sind die Devanagari-Buchstaben so gezeichnet, dass sie in Umgebungen, in denen Texte in mehreren Sprachen nebeneinander stehen, sehr gut mit dem Latein der Schrift harmonieren. Die Kopfzeile der Devanagari-Basiszeichen ist genauso dick wie die Serifen der lateinischen Buchstaben. Bestimmte Devanagari-Buchstabenstriche und Vokalzeichen weisen visuelle Ähnlichkeit mit den lateinischen Buchstaben der Schrift auf. Rozha One wirkt jedoch weder latinisiert noch un-devanagari.
Die Schrift enthält 1.095 Glyphen und bietet volle Unterstützung für die Konjunktionen und Ligaturen, die für Sprachen mit der Devanagari-Schrift erforderlich sind. Bei der Verwendung in Bildschirmdesign-Umgebungen sollte Rozha One in sehr großen Pixelgrößen verwendet werden. Im Druck kann das Design jedoch in einem breiteren Größenbereich verwendet werden, vielleicht sogar so klein wie 16 oder 18 Punkt.
Das Rozha-Projekt wird von Indian Type Foundry (ITF) geleitet, einer Schriftgießerei mit Sitz in Ahmedabad, Indien. Indian Type Foundry entwirft mehrsprachige Schriften für den Einzelhandel und für digitale Medien. ITF wurde 2009 von Satya Rajpurohit und Peter Bil'ak gegründet und arbeitet mit Designern aus der ganzen Welt zusammen. ITF-Schriften werden von Kunden verwendet, die von Tech-Giganten wie Apple, Google und Sony bis hin zu verschiedenen internationalen Marken reichen. (fonts.google.com)
Webseite: indiantypefoundry.com