Das literarische Dreigestirn von Czernowitz – Stadtansicht von 2014 – lebte hier: Rose Ausländer, Paul Celan, Selma Merbaum. — Foto: Вишневська Антоніна/Wikimedia

Selma Merbaum (1924–1942)
Selma Merbaum (1924–1942)

Foto: Wikimedia

Welke Blätter

Selma Merbaum • 24. September 1939

Plötzlich hallt mein Schritt nicht mehr,
sondern rauschet leise, leise,
wie die tränenvolle Weise,
die ich sing’, von Sehnsucht schwer.
Unter meinen müden Beinen,
die ich hebe wie im Traum,
liegen tot und voll von Weinen
Blätter von dem großen Baum.

 

Lebensdaten

Selma Merbaum (geboren 5. Februar 1924 in Czernowitz, Königreich Rumänien; gestorben 16. Dezember 1942 im Zwangsarbeitslager Michailowka, Königreich Rumänien; heute Ukraine) war eine rumänische deutschsprachige Dichterin. Selma Merbaum war der Name im jüdischen Geburtsregister und in allen Schulunterlagen und Zeugnissen; posthum wird sie überwiegend Selma Meerbaum-Eisinger genannt. Als verfolgte Jüdin starb sie achtzehnjährig entkräftet am Fleckfieber. Ihr Werk wird mittlerweile zur Weltliteratur gezählt. (Wikipedia)

 

Es ist eine Lyrik, die man weinend vor Aufregung liest: so rein, so schön, so hell und so bedroht.

Hilde Domin

 

Blütenlese

Selma – In Sehnsucht eingehüllt. Top-Stars vertonen Gedichte von Selma Meerbaum-Eisinger. (David Klein; 31.7.2007; 9:58 min.)

»Vor über 60 Jahren schrieb das damals 15-jährige jüdische Mädchen Selma Meerbaum-Eisinger Gedichte über ihre erste Liebe, die mehr Traum als Wirklichkeit war. Gedichte von sehnsüchtig-melodischer Musikalität und großer poetischer Kraft. Selma Meerbaum-Eisinger hinterließ mit ihrem Gedichtband "Blütenlese" ein Stück Weltliteratur, als sie 1942 mit nur 18 Jahren in einem Konzentrationslager starb. Geschrieben in einer dunklen Epoche, klingen ihre Gedichte heute noch immer frisch und lebendig. Die Gefühle eines jungen Mädchens, festgehalten 1941, werden Jahrzehnte später in gleichem Maße gelebt. Selma Meerbaum-Eisinger – eine Cousine des Dichters Paul Celan – nahm die fragilen Kunstwerke mit in ihren frühen Tod, doch 57 ihrer zeitlosen Gedichte sind auf abenteuerliche Weise gerettet worden.

Der schweizer Musiker David Klein hat Selmas Gedichte vertont und zwölf der renommiertesten deutschen Sängerinnen und Sänger aus allen Generationen haben Selma ihre Stimme gegeben, um sie mehr als sechzig Jahre nach ihrem Tod wieder lebendig werden zu lassen. Sie interpretieren die subtilen Wortgefüge so behutsam und respektvoll, als wollten sie dem Glanz dieser jugendlichen Poesie nicht die Leuchtkraft nehmen. Zusammen mit dem David Klein Quintet, vielen Gastmusikern und Symphonieorchester haben sie unvergessliche Lieder geschaffen, die tief ins Herz gehen.

Mit: Sarah Connor (erstmals auf Deutsch), Xavier Naidoo, Yvonne Catterfeld, Reinhard Mey, Hartmut Engler (Pur), Thomas D (Die Fantastischen Vier), Joy Denalane, Jasmin Tabatabai, Volkan Baydar (Orange Blue), Inga Humpe (2raumwohnung), Stefanie Kloß (Silbermond) und Ute Lemper.

Selma Meerbaum-Eisinger gehört zusammen mit Rose Ausländer und Paul Celan zum literarischen Dreigestirn von Czernowitz. Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Verfolgung schrieb die junge Lyrikerin Gedichte, die in ihrer künstlerischen Reife und zeitlosen Ästhetik weit mehr sind, als nur ein Zeugnis der drohenden Vernichtung des osteuropäischen Judentums und seines blühenden kulturellen Lebens.

Die Poesie Selma Meerbaum-Eisingers drückt Sehnsucht, Hoffnung und Lebenswillen aus, was ihrem Werk eine immerwährende Gültigkeit und zeitübergreifende Aktualität verleiht. In reiner, klarer, eindringlicher Sprache erzählen die Gedichte von den Gefühlen und Träumen eines jungen Mädchens an der Schwelle des Erwachsenwerdens und über das zarte Glück der ersten Liebe. Die Ehrfurcht vor der Schönheit und lebendigen Kraft der Natur sind genauso Thema wie die Allgegenwärtigkeit von Tod und Trauer.

Trotz ihres sehnsuchtsvollen Grundtenors sind die Gedichte mehr als die schwärmerische Liebeslyrik eines jungen, lebensfrohen Mädchens, mehr als Nachahmungen der Naturdichtung ihrer romantischen Vorbilder Rilke, Heine und Tagore und mehr als eine Dokumentation der Vernichtung jüdischen Lebens in der Bukowina.

Das Werk Meerbaum-Eisingers verdankt seine Faszination der Spannung zwischen mädchenhaft-jugendlicher und gesellschaftlich-historischer Thematik, seiner Bandbreite von Motiven und Bildern sowie der Eigenständigkeit in seiner formalen Umsetzung und Ästhetik. So spricht Rose Ausländer selbst über die Lyrik ihrer Dichterkollegin von „Weltliteratur, die die Welt nicht kennt“.«

 

Mehr über Selma Merbaum

Märkischer Sonntag: „Mit Sprache malen / Zu ihrem 100. Geburtstag wurde in Buckow ein ganzes Gedenkjahr an Selma Merbaum gestartet“, 10. Februar 2024 ⋙ Link

Buckowina.wordpress.com: 100 Jahre Selma Merbaum – Veranstaltungen zur künstlerischen Auseinandersetzung mit Selma Merbaums Leben und Werk ⋙ Link

Webseite zum Gedenken an Selma Merbaum ⋙ Link

Fembio e.V.: Biographie von Selma Merbaum und viele weitere Literatur- und Quellen-Hinweise ⋙ Link