
Machtworte – Inspektion der Herrschaftssprache
Staatsfeindliche Hetze
Was sich gegen die Interessen der herrschenden Staatspartei SED richtete, konnte als Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches der DDR hart bestraft werden. Manche Begrifflichkeiten tauchen aktuell wieder auf.
Der Gegenwart. — 13. April 2023
In der DDR galt zunächst – wie in ganz Deutschland – das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 ohne die vom Alliierten Kontrollrat außer Kraft gesetzten Staatsschutzparagraphen. Politische Straftaten subsumierten die Staatsanwaltschaften in den 1950er Jahren im Wesentlichen unter Art. 6 Abs. 2 der Verfassung. Dort hieß es:
Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhaß, militärischer Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches. Ausübung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze.
Die Bestimmung war im Sinne einer Generalklausel so formuliert, dass sich alles darunter als Straftatbestand subsumieren ließ, was sich im politischen Tagesgeschehen gegen die Interessen der SED richtete. Nach einer Entscheidung des Obersten Gerichts der DDR (OG) von 1950 war sie trotz fehlender Strafdrohung „ein unmittelbar anzuwendendes Strafgesetz“.
Mit dem Fallbeil hingerichtet
Ein Beispiel für die Anwendung von Artikel 6 war der Prozess gegen Johann Burianek, der entsprechend dieser Auslegung vom OG als Erster zum Tode verurteilt und am 2. August 1952 in Dresden mit dem Fallbeil hingerichtet wurde.
Als das Strafrechtsergänzungsgesetz vom 11. Dezember 1957 umfangreiche Staatsschutzbestimmungen geschaffen hatte, verschwand aus der Rechtspraxis mit der Auslegung des Artikels 6 auch der Begriff Boykotthetze. Im Strafgesetzbuch der DDR vom 12. Januar 1968 und in der „sozialistischen“ Verfassung der DDR aus dem Jahr 1968 war er nicht mehr enthalten. Gleichwohl übernahm das Strafgesetzbuch von 1968 die entsprechenden Straftatbestände. „Staatsfeindliche Hetze“ (§ 106) wurde darin mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren, in schweren Fällen von zwei bis zu zehn Jahren, bestraft. Das Kapitel „Straftaten gegen die staatliche Ordnung“ enthielt neben dem Tatbestand der „Staatsverleumdung“ (§ 220) unter anderem den der „Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit“ (§ 214), des Rowdytums (§ 215), der „Vereinsbildung zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele“ (§ 218) und der „ungesetzlichen Verbindungsaufnahme“ (§ 219). Das 2. und das 3. Strafrechtsänderungsgesetz erhöhten sukzessive den Strafrahmen dieser Tatbestände.
Auch die Liedermacherin Bettina Wegner bekam während des Prager Frühlings juristische Schwierigkeiten. Ähnlich verhielt es sich u. a. mit dem Bürgerrechtler Roland Jahn.
Nach der Wiedervereinigung
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann die sehr weite Auslegung des Tatbestandes der Kriegs- und Boykotthetze durch die Staatsanwaltschaft der DDR unter Umständen keine vorsätzliche Rechtsbeugung darstellen. Nach der Rechtsprechung des BGH handelte es sich hierbei zwar um eine nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten untragbare Interpretation, welche auch objektiv den Tatbestand der Rechtsbeugung erfülle. Andererseits handele es sich aber auf der inneren Tatseite um eine vom Standpunkt der DDR-Justiz zulässige, vom Obersten Gericht der DDR gebilligte Rechtsauffassung, an die die Staatsanwaltschaft in der DDR durch die enge Weisungsgebundenheit auch gebunden war.
Anders kann es sich bei Richtern verhalten, wenn diese den Tatbestand der Kriegs- und Boykotthetze unangemessen überdehnten oder aber die verhängte Strafe in einem unerträglichen Missverhältnis zu der abgeurteilten Handlung stand, etwa die Todesstrafe wegen Kriegs- und Boykotthetze ausgesprochen wurde.
Textgrundlage: https://de.wikipedia.org/wiki/Kriegs-_und_Boykotthetze
* * *
Die Wiedergeburt der DDR-Justiz
Nun hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) eine Idee. Ein „Gesetz gegen digitale Gewalt“ soll laut FAZ her, das „staatsfeindliche Hetze“, heute üblicherweise „Hass und Hetze“ genannt, wieder unter Strafe stellt. So wie in der „guten, alten DDR“. Da durfte man auch nicht „Honecker ist doof“ an Hauswände kritzeln. Wer erwischt wurde, landete günstigstensfalls im Stasi-Gefängnis Normannenstraße. Accountsperren als Strafe für „staatsfeindliche Hetze“ war damals noch nicht vorgesehen. Im Zeitalter von Facebook und Twitter, von Instagram, Telegram und tik-tok ist allerdings vieles anders. Andere Zeiten – andere Maßnahmen, dachte sich Buschmann, angefeuert von der Chebli/Lindh-Fraktion und will alle Accounts, die linke Politiker beschimpfen, gleich per Gesetz abschalten lassen. Beschimpfungen von AfD-Politikern, Pegida, Maßnahmenkritikern und Islamaufklärern werden aber selbstverständlich weiterhin straffrei bleiben. Schließlich sind das die Bösen, die die Regierung bekämpfen.
Staatsschutzparagraph
Kriegs- und Boykotthetze hatte die erste Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik aus dem Jahr 1949 in Artikel 6 zu einem Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches erklärt. Bis 1957 benutzte die DDR-Justiz den Artikel 6 durch Auslegung als Ersatz für die fehlenden Staatsschutzparagraphen auch zur Verhängung der Todesstrafe. (Wikipedia)
Vollstreckungsorgan
Die DDR-Justiz war die Justiz der Deutschen Demokratischen Republik und wurde im Geiste der marxistisch-leninistischen Rechtstheorie weniger als Kontrollorgan staatlichen und privaten Handelns, sondern vielmehr als Vollstreckungsorgan des Willens der herrschenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) gesehen. Das Idealbild des DDR-Rechtes war eher das geregelte und friedliche Zusammenleben aller Bürger. Im Bereich der unpolitischen Streitentscheidungen entwickelte die DDR-Justiz dabei eine erhebliche Funktionstüchtigkeit und durch die große Bereitschaft der Richter, sich auch mit Einzelfällen zu befassen, sogar eine gewisse Bürgernähe in der Entscheidungsfindung. In politisch wichtigen Prozessen wurde allerdings weitgehend ein strikter Gehorsam gegenüber den Vorgaben der Partei geübt. Rechte von Oppositionellen wurden nicht nur in Strafverfahren erheblich beschnitten. Bei besonders wichtigen Strafverfahren griff die SED dahingehend in die Rechtsprechung ein, dass die Staatsanwaltschaft ihre Urteilsanträge zur Genehmigung vorzulegen hatte. Die SED konnte auf verschiedenen Kanälen direkt oder indirekt in die Rechtsprechung eingreifen. In der späten DDR orientierten sich die Richter und Staatsanwälte aber meist an den Rechtsnormen und vor allem den Orientierungen zur Rechtsprechung. Diese wurden von einem geheimen Gremium, den Leiter- und Stellvertreterberatungen der obersten Justiz- und Ermittlungsorgane unter Beteiligung des ZK der SED vorgegeben. Jede Institution sorgte im Wesentlichen selbst dafür, dass diese Vorgaben eingehalten wurden. Die Steuerung der politischen Justiz verlief also indirekter als z. B. in den Waldheimer Prozessen von 1950, wo die SED Einzelurteile vorgegeben hatte. In Einzelfällen beriet jedoch der Minister für Staatssicherheit mit dem Generalsekretär der SED persönlich die Prozesslinie. Auch andere Interventionen z. B. bei den Skinheadprozessen sind bekannt. Nach der sozialistischen Staats- und Rechtstheorie (Lehrfach in der juristischen universitären Ausbildung der DDR) ist der Staat(sapparat), bestehend aus Verwaltung, Polizei, Justiz und Armee, ein Machtinstrument der jeweils herrschenden Klasse. Die in deren Sinne angepasste Gesetzgebung dient der Aufrechterhaltung der errungenen Macht. In konsequenter Durchsetzung dieser Lehre wurde die DDR-Justiz personell gestaltet und für deren Handeln entsprechende Normen (Gesetze und Verordnungen) geschaffen. Die Justizorgane der DDR waren Bestandteil der „Diktatur des Proletariats“. Diese sah sich durch die „sozialistische Demokratie“ legitimiert, deren wesentlicher Bestandteil das Wahl- und Eingabenrecht war. Nach der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED nahm diese Partei für sich in Anspruch, praktisch die alleinige Interessenvertreterin der „Werktätigen“ zu sein und beeinflusste sowohl die Gesetzgebung als auch die personelle Gestaltung der gesamten Justizorgane. (Wikipedia)