Bahnbrechende Bücher
Transatlantische Wechselwirkungen
Dr. Stefan Scheil schrieb über den Elitenwechsel in Deutschland nach 1945.
Der Gegenwart. — 22. September 2022
Lange bevor die Wehrmacht kapitulierte, wußte man in Washington schon, was am folgenden Tag zu tun sein würde. Die Fehler, die man nach dem Ersten Weltkrieg gemacht hatte, sollten sich nicht wiederholen. Dieses Mal würde Deutschland vollständig niedergeworfen, vollständig besetzt und dann der Gesellschaftskörper vollständig durchdrungen. Das eindrucksvolle Spektrum der Maßnahmen reichte von den »Lageruniversitäten« für Kriegsgefangene über die Rekrutierung des Exils, von der Einziehung der deutschen Lehrbücher nach der Okkupation des Reichsgebiets bis zur Säuberung der Kollegien an Schulen und Hochschulen, von der Bereitschaft zur taktischen Zusammenarbeit mit bürgerlichen und vor allem christlichen Kräften bis zur strategischen Absicht, eine totale Neuausrichtung der nationalen Kultur an democracy zu erreichen und eine »liberale« Politische Klasse zu kreieren, deren erste Loyalität immer dem »Westen« gehört. Scheil ist nüchterner Historiker genug, um als Ursache ein Ineinander von Ideologie und Interesse auszumachen, aber auch mutig genug, deutlich hervorzuheben, daß die Geschichte Nachkriegsdeutschland – also der Bundesrepublik, der DDR und Österreichs – deshalb terra incognita ist, weil die Herrschenden das so wollen, jedenfalls kein Interesse daran haben, die tatsächlichen Vorgänge, die tatsächlichen Verbrechen und die tatsächlichen Absichten der Alliierten und ihrer Verbündeten im Land erkennbar zu machen.
Karlheinz Weißmann in der Rezension vom 19. April 2012
Stefan Scheil geht in »Transatlantische Wechselwirkungen« der Frage nach, inwieweit die nach 1945 und noch einmal nach 1960 eingetretenen Veränderungen der deutschen Schul- und Hochschullandschaft auf die Kontakte zurückzuführen sind, die im Rahmen von transatlantischen Personen-, Wissens- und Methodentransfers entstanden. Zugleich behält er die stete außenpolitische Spannung mit im Blickfeld, unter der sich das deutsche Bildungssystem entwickeln mußte. Die vor allem von den Vereinigten Staaten ausgehenden Maßnahmen zur Bildung einer neuen, auf die intellektuelle wie wirtschaftliche Westbindung Deutschlands ausgerichteten Elite, setzten die deutschen Hochschulen als wesentliches Instrument zur Prägung dieser neuen Elite ein.
Eine entscheidende Rolle wiesen die Besatzungsbehörden dabei der Etablierung neuer ideologischer Leitwissenschaften an den deutschen Universitäten zu. Dazu gehörte die neu definierte Soziologie und besonders die neugeschaffene Politikwissenschaft inklusive der Zeitgeschichte. Beide Fachkomplexe sollten einen Einfluß auf alle Studiengänge entwickeln, ganz besonders aber auf die Ausbildung von Schul- und Hochschullehrern. Ergänzt und überlagert wurden diese Absichten von den neugeschaffenen Reise- und Austauschprogrammen, die einer größeren Anzahl von vielversprechenden Personen aus wichtigen Berufen und Fachrichtungen im Rahmen von Studienaufenthalten in den Vereinigten Staaten ein westlich geprägtes, gemeinsames Elitenbewußtsein vermitteln sollten.
Scheil vertritt die These, daß der bundesdeutsche Demokratiebegriff unter dem Einfluß dieser Vorgänge eine Doppelbedeutung erhielt. Der Respekt vor formalen Kriterien demokratischer Entscheidungsfindung sei durch den politischen Willen ergänzt worden, unter Demokratiebewußtsein die prinzipielle Akzeptanz politischer Maßnahmen der alliierten Nachkriegsordnung zu verstehen. Dazu zählten auch Maßnahmen, die im Widerspruch zum formalen Demokratiebegriff und seiner Anbindung an Menschen- und Völkerrecht standen.
Verlagstext: https://www.duncker-humblot.de/buch/transatlantische-wechselwirkungen-9783428135721/
Man muß eine Elite schaffen, die ganz auf Amerika eingestellt ist. Diese Elite darf andererseits nicht so beschaffen sein, daß sie im deutschen Volk selber kein Vertrauen mehr genießt und als bestochen gilt.
Max Horkheimer (Zitat aus dem Buch)
Dr. Stefan Scheil
Lebensdaten
»1963 in Mannheim geboren, habe ich Kindheit und Jugend in Ludwigshafen am Rhein verbracht und 1982 dort Abitur gemacht. Danach leistete ich den Wehrdienst ab und studierte ab 1984 in Mannheim, später in Karlsruhe die Fächer Philosophie, Geschichte und Soziologie. 1991 verließ ich als Magister Artium (M.A.) die Universität und arbeitete danach als Angestellter und als freier Journalist. Mit einer Arbeit über die Aktivitäten des politischen Antisemitismus in den Reichstagswahlen von 1881 bis 1912 1997 in Karlsruhe zum Dr. phil. promoviert. Seit 1992 als Journalist und Wissenschaftler freiberuflich tätig. Seit Beginn der 1990er Jahre lebe ich wieder hauptsächlich in der Pfalz.« (stefan-scheil.de)
Das Buch
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