
Formen der Idee
Stierkampf
Die Corrida ist eine mächtige Metapher für das Leben selbst.
Der Gegenwart. — 26. September 2022
Es ist mir egal, wenn ich in meinem Leben kein Konzert oder Theaterstück mehr besuchen darf. Es ist mir egal, wenn ich kein Restaurant und kein Fußballspiel mehr besuchen darf. Aber es schmerzt mich die Vorstellung, niemals mehr einem Stierkampf beiwohnen zu können.
Dimitrios Kisoudis
»Im spanischen Stierkampf, der corrida („Rennen“), wird der Stierkämpfer Torero (von toro = „Stier“) genannt. Der Stierkampf findet in einer Stierkampfarena (Plaza de Toros) statt, die meist ausschließlich diesem Zweck dient. Das wesentliche Element des Stierkampfes ist die Form der Durchführung, das Ritual, das mit ihm einhergeht. Meist treten bei einer Corrida drei Matadore und sechs Stiere auf. Ein Kampf dauert etwa 20 Minuten.« Das alles und noch viel mehr lesen wir bei Wikipedia, den ganzen tierschützerischen Jargon lassen wir hier aber weg.
Denn aus eigenem Erleben habe ich eine Ahnung bekommen, was der Stierkampf für eine mannhafte Nation bedeutet. Ich habe im tiefsten Spanien, in Sevilla im Jahre 1995, eine solche Veranstaltung besucht.
Ein Kampfabend ist zunächst eine absolut ernste Angelegenheit. Es ist die gemeinschaftliche Begegnung mit dem Tod. Es wird eine metaphysische Erfahrung in einem Ritual durchgespielt. Der Sieg des Toreros ist keineswegs gewiß, deshalb gehen alle hinkenden Vergleiche, die in erster Linie oder nur den Tod des Kampfstiers betrachten, fehl. Der Torero steht einem ebenbürtigen Gegner und seinem möglichen eigenen Versagen gegenüber. Denn der Sieg darf nur nach festen Regeln und mit Stil errungen werden. Das erfahrene Publikum hat feine Antennen dafür und äußert Beifall oder Mißfallen ebenfalls nach althergebrachter Form.
Für das Publikum, durchaus auch Familien, Frauen, Jugendliche, ist der Abend feierlich und entspricht darin einem Opernabend in einem Theater, durchaus auch mit Manegen-Geruch eines Zirkus und mit der Ungewißheit des Ausgangs sportlicher Kämpfe. Sicherlich gerät auch ein Anteil Unterhaltung mit hinein, aber die Atmosphäre ist gespannter, feierlicher und ergriffener.
Solange wilde Tiere andere wilde Tiere fressen, solange sollte auch der Tierschutz seine Pfoten von der Institution Stierkampf lassen. Der Ernst des Lebens läßt sich nicht ausschalten, deshalb sollte auch das Symbol dieses Ernstes erhalten bleiben.
Der Geruch von Staub und Blut dieses Abends in Sevilla wird immer in mir sein. ■
Stierkampf bietet eine mächtige Metapher für das Leben selbst: Jeden kann es erwischen, doch Stil kann dabei nicht schaden.
Paul Ingendaay
in: Ein Kult aus Blut und Empfindsamkeit,
FAZ vom 9. Juni 2004
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Fakten
Der älteste Beleg stammt aus dem Jahr 1215, als eine Bischofssynode unter der Leitung des Bischofs von Segovia Priestern in den Städten Cuéllar, Coca, Sepúlveda und Pedraza die Teilnahme an „Bullenspielen“ (juegos de toros) untersagte. Ein literarischer Beleg des Stierkampfes findet sich in dem nur noch als Prosatext überlieferten Epos der Siete Infantes de Lara (um 1280). Reste der mittelalterlichen Corrida haben sich noch im Rejoneo erhalten. Die heutige Art des Stierkampfes (etwa Kampf auf Augenhöhe und nicht mehr vom Pferd aus, Verwendung der Muleta, Tötung mit einem einzigen Stich) wurde im frühen 18. Jahrhundert durch Francisco Romero (1700–1763), dem ersten professionellen Stierkämpfer, entwickelt. Die erste steinerne Stierkampfarena Spaniens befindet sich bei der Stadt Béjar und wurde in den Jahren 1711 bis 1714 gebaut. Per Gesetz hatte Philipp V. im Jahr 1700 den (damals noch ausschließlich von Adeligen betriebenen) Stierkampf untersagt. Aufgehoben wurde Philipps Erlass 1725. Auch unter König Karl IV. (regierte von 1788 bis 1808) war der Stierkampf verboten, sein Nachfolger Ferdinand VII. erlaubte ihn jedoch wieder. Im Jahr 1796 wurden in der Schrift Tauromaquia des Matadors José Delgado erstmals die Regeln beschrieben, nach denen der spanische Stierkampf im Wesentlichen bis heute durchgeführt wird. Im Jahr 1830 gründete Pedro Romero, ein 1754 geborener Enkel Francisco Romeros, in Sevilla die erste Stierkampfschule. (Wikipedia)