Hinweise auf Menschen
Thomas Habedank
Der mit Farben tüftelnde Eremit
Der Gegenwart. — 22. August 2022
Ich habe mich schon immer geweigert, Malerei und Zeichnung zu trennen. Am Ende interessiert, was da ist. Ich stelle immer wieder fest, dass ich das Material sehr liebe. Es sind unterschiedliche Materialien, mit denen ich frei umgehen kann, etwa Bretter, Holz, Teppiche oder Blei. Darin liegt eine wichtige Anregung. […] Ich möchte nicht vorwegnehmen, ob die Arbeit rot oder blau ist. Es entstehen Mischungen, die ich nicht voraussehen kann. Darin liegt gerade der Reiz. […] Jedes Bild ist ein Neubeginn. Aber das Wort Experiment gefällt mir nicht. Es ist ein Weg, man bleibt stehen, dann entsteht etwas. Das Bild ist nicht vorher im Kopf, das man dann abmalt. Erst während des Malens, im Gespräch mit dem Bild, kommen Impulse.
Thomas Habedank: »Das Geschönte will ich nicht«, Interview mit Christine Weckwerth, 2003
Habedank wählt eindeutige, kräftige Farben, experimentiert mit Material und Rahmung. Oftmals arbeitet er mehrschichtig, wobei frühere Bildfindungen wieder verdeckt werden. Kein Material scheint ihm zu gering, um nicht bemalt zu werden – Pappmaschee, Flyer-Postkarten, Glasscheiben, Restholz, Fensterrahmen, Badtüren oder Spiegel. Alles kann bei Habedank zum Kunstwerk werden. […] Neben den größeren Bildern gibt es … eine Reihe kleinformatiger, skizzenhafter Zeichnungen. Es handelt sich nach Aussage des Künstlers um Darstellungen von Zuständen und Zustandsänderungen. Sie entstehen spontan, sind sogenannte „Kritzelzeichnungen“. Ein Boot, Schraffuren, Vernetzungen, Fenster, Tiere, Bäume, Figurinen, Reiter. In Blöcke vertikal und horizontal zusammengefasst, bilden die Zeichnungen wiederum neue, komplexere Zustandbeschreibungen. Diese Kompositionen zeugen von der spielerischen und experimentierenden Arbeitsweise von Thomas Habedank. Ebenfalls hier zeigt sich eine nachdrückliche Suche nach Stimmigkeit und Balance oder auch Harmonie, die Hindernisse und Ungleichgewichte kompensieren bzw. intergieren will.
Christine Weckwerth: Einblicke in die Malerei. Zu Thomas Habedanks Ausstellung „orgonium“ [2006]
Zwischen Malerei und Zeichnung bewegt Thomas Habedank sich in einem freien Raum ungegenständlicher Erfindungen. Dieser Freiraum war möglich dadurch, dass Habedanks künstlerischer Werdegang zwischen Dresden und Berlin hin- und herwechselte und seit Mitte der achtziger Jahre innerhalb der Ostberliner Kunst eine unabhängige Position fand, die beachtet wurde. Einige aus Dresden kommende Maler dieser Generation (Joachim Böttcher, Harald Toppel u. a.) gaben der Berliner Malerei damals unübersehbare Impulse in Richtung einer ungegenständlichen Poetik, die jeweils einzelgängerisch erarbeitet wurde. […] Der Arbeitsprozess nimmt eigentlich nur auf sich selbst Bezug und entwickelt eine Logik zwischen den Spannungspolen einer Verfeinerung und Störung ästhetischen Ideenmaterials. […] Der malerische Vorgang strebt keine Zusammenhänge im Sinne der Kultivierung an, der Willkür von Stimmungen folgend verdichtet und strukturiert sich die ungebunden lose Farbsubstanz, wie der zeichnerische Prozess nur auf eigene Setzungen beruht. Die Resultate zeugen von poetischer Kraft und Eigenwilligkeit.
Jens Semrau über den Maler Thomas Habedank
Thomas Habedank ist gestorben und wir werden von ihm deutliche Konturen in Erinnerung bewahren. Thomas gehörte zum langjährigen Freundeskreis, der sich seit einiger Zeit lockert und nun auch zu lichten beginnt.
Thomas war als Mensch, zumal als Familienmensch, den man in heiteren, entspannten Runden erleben konnte, in jeder Hinsicht angenehm und wohltuend. Kaum jemals trug er persönliche oder gesundheitliche Probleme vor, selten sprach er über Künstlerisches. In Gesellschaft war er immer eine in sich ruhende, bisweilen um Kinder und Hund besorgte Randerscheinung. Er nahm mit Freude und Aufmerksamkeit an den Gesprächen teil, es kam aber nie vor, dass er sich in den Mittelpunkt gestellt hätte, um eine flammende Ansprache zu halten, wie es das Temperament anderer Anwesender bisweilen herausforderte. Thomas, saß meist wortkarg dabei, lächelte, hörte zu, warf gelegentlich ein paar Worte ein, ging dann für eine Weile zum Rauchen oder zur Hunderunde nach draußen.
Tagelang in seiner Friedrichshagener Kunstremise
Er war bei den Gesprächen vollkommen unaufdringlich anwesend, gab auch kaum ein Zeichen, dass er dann und wann in eigene Gedanken abirrte. Thomas genoß diese Freundesrunden, weil er wohl tagelang in seiner Friedrichshagener Kunstremise hauste, wohin er sich als Eremit zurückzog, um mit Farben zu tüfteln.
Im direkten Gedankenaustausch war man immer wieder überrascht, wie belesen aus unterschiedlichen Quellen und wie gebildet aus seiner Lebenserfahrung Thomas war, worüber er alles Bescheid wußte. Er sprach sachkundig zu vielerlei Gegenständen, denn er hatte sich darüber seine eigenen Gedanken gemacht.
Mit grundsolidem Herangehen vom selbständigen Durchdenken und Planen bis zum unermüdlichen, methodischen Umsetzen brachte er auch den Ausbau seines Atelierquartiers in der Uckermark voran. In dieser selbstgeschaffenen Rückzugsstätte konnte er beim handwerklichen Arbeiten, in der Naturschlichtheit von Wiese, Gestrüpp, alten Obstbäumen und mit dem weiten Blick über Getreidefelder ganz bei sich sein.
Über seine Bilder machte er nicht viele Worte
Zu Geburtstagen und Atelierfesten war Thomas ein aufmerksamer Gastgeber, ließ dann bereitwillig ganze Trauben von Friedrichshagener Freunden und Bekannten in seine Farb- und Materialburg. Er hatte dann aufgeräumt, einiges Gerümpel abgedeckt, eine Vielzahl von unterschiedlichsten Sitzgelegenheiten und mehrere Tische und Türblätter zu einer großen, weiß gedeckten Tafel zusammengestellt. Man konnte mit ihm auch über seine Bilder sprechen, zu denen er aber nicht viele Worte machte oder sich nicht wortreich in blumigen Erklärungen verlor. Doch er freute sich merkbar über das Erstaunen und das Gefallen der Betrachter seiner Bilder.
Wenn man ihn dann mit vorsichtigen Worten behutsam zu fragen versuchte, ob er sich von einem Bild trennen würde – man würde es kaufen wollen oder man würde jemanden gewinnen können, der ein Bild erwerben mochte, dann blieb seine Miene ungetrübt. Er freute sich vielleicht über das Begehren. Er stieg aber nie in solche Verhandlungen ein. Irgendwie hatte man dann die Unzulässigkeit der kecken Frage empfunden, wenn das Gespräch schnell auf andere Themen gelenkt wurde. Man spürte noch in sich – nie bei ihm – eine Scham über das zertrampelte Fettnäpfchen und schwor sich, nicht noch einmal ihm so direkt zu nahe zu treten.
Für hartnäckige Erwerber kopierte er sein eigenes Bild
Behutsame Erkundigungen führten zur Erkenntnis, dass Thomas Habedank selten Bilder verkaufte, um sich nicht von ihnen trennen zu müssen. Als einige seiner Bilder in einer Friedrichshagener Galerie ausgestellt wurden, hatte er an ein großformatiges Gemälde ein Preisschild von „10.000 Euro“ anbringen lassen. Auf die erstaunte Frage, wer das für diesen Preis kaufen könne, schmunzelte er und gestand, dass die stolze Summe etwaige Kaufwillige abschrecken sollte.
Es geht sogar das Gerücht, das mit einiger Sicherheit bestätigt werden kann, dass Thomas für einen hartnäckigen Erwerber eine Kopie seines eigenen Bildes angefertigt hat. Es wäre sehr interessant zu erfahren, ob der Käufer dann das Erst-Original oder das Zweit-Original bekommen hat.
Thomas Habedank hat – wenn man nun die Summe ziehen soll und angesichts seines frischen Todes sich zu diesem Gedanken zwingen muß – Thomas hat wohl ein glückliches Leben geführt. Als freier Künstler war er nicht frei von persönlichen Sorgen, finanziellem Druck zumal, aber seine langjährige Beziehung hat ihm Sicherheit und Geborgenheit und wohl auch Erfüllung im Privaten gegeben.
Er konnte sein Leben seiner Kunst widmen
Thomas konnte sein Leben, weitgehend geschützt auch durch die übliche Existenzsicherung, seiner Kunst widmen. Er hat sich bescheiden und unspektakulär mit bewundernswerter Konsequenz und Ausdauer um die Ausarbeitung seiner künstlerischen Vorstellungen bemüht. Er hat sich einen Weg gebahnt, der inmitten der gesellschaftlichen Umbrüche ihn nie in die Verzweiflung oder die Resignation geführt haben.
Seine Kunst steckt zwar in jedem seiner Bilder, auch in handgemalt-gezeichnet-kolorierten Grußkarten, seine Lebenskunstwerk steckt aber in einem riesigen Konvolut von fertigen, halbfertigen, unfertigen und angelegten Bildern. Selbst in den unscheinbarsten und flüchtigsten Interaktionen auf Leinwand oder Papier wird nun aber dauerhaft der künstlerische Wille von Thomas Habedank abzulesen sein.
Auch die Skizzen sind nun fertig, sie werden nicht mehr von Thomas geprüft, verändert, verworfen oder auch verbessert werden können. Es ist endgültig. Das ist schrecklich, aber dieser Punkt ist der unvermeidbare Zielpunkt: die Unveränderlichkeit des künstlerischen Zustandes an einem zeitlichen Datum.
Dieses Lebenswerk als Gesamtwerk würdigen
Dieses Lebenswerk – diese Überzeugung gewinnt man leicht schon angesichts einiger Bilder von Thomas – und es sind Bilder über Bilder da – dieses Lebenswerk könnte als Komplex, als Gesamtwerk erhalten und würdig gezeigt werden. Es ist keine neue Erkenntnis, dass die Präsentation von moderner Kunst, die in erster Linie ein Ausdruck von Freiheit ist, eines adäquaten Rahmens bedarf. Der Künstler hat sein Werk getan, es wäre an den Bewahrern der Werke und des Werkes, die Begegnung mit den Bildern dauerhaft zu ermöglichen. Ein Traum – gewiß.
Denn die durch den Tod erzwungene Unveränderlichkeit des künstlerischen Zustandes des Werkes bedeutet ja zum Glück nicht, dass dem Erleben und Empfinden dieser Bilder der Zugang auf ewig verschlossen ist. Das ist er gerade nicht. Die Bilder von Thomas Habedank sind da, solange sie da sind. Er hat sein ganzes Leben drangegeben, um dieses Werk zu schaffen. Die Traurigkeit über seinen Tod muß sich nun aufschwingen in den Willen, sein Werk gegenwärtig zu behalten.
Wenn man an einem Bild arbeitet, interessiert das Geheimnis, nicht das Endziel Schönheit. Ich versuche in Kontrasten zu arbeiten: Ruhe – Unruhe, Hell – Dunkel, Konzentration – Auflösung. Das sind die Grundelemente.
Thomas Habedank
Seit Jahren kämpfte Thomas gegen seine Krankheit. Während dieser Jahre gelang es ihm, sein künstlerisches Empfinden in einigen Bildern weiter voranzutreiben.
Motive der letzten Jahre: Schaukel und Libelle
Die Galerie gräfe art.concept zeigt Werke aus den letzten Jahren, in denen sich seine Auffassung und Idee, Malen und Zeichnen zu verknüpfen, in immer zarteren Ergebnissen niedergeschlagen hat: „Schaukel 2. 2021. Mischtechnik auf Leinwand. 30 x 40 cm“ und „Libelle. 2020. Mischtechnik auf Leinwand. 50 x 70 cm“ (siehe gräfe art.concept).
Man gewinnt im Rückblick eine Ahnung, weshalb sich Thomas Habedank bereits etwas von den kraftstrotzenden Farbschichtungen früherer Bilder löste, dass er nun im Malerischen die Erdenschwere loszulassen bereit war, mit Motiven, die Schwung, Aufschwingen und Flug assoziieren. Seine letzten Werke sind feinpoetische Bilder, in denen etwas vom Geist von Paul Klee, Cy Twombly und Anton Paul Kammerer anzuklingen scheint, deren unsterblicher Garde sich nun auch Thomas Habedank zugesellt hat.
Der doppelte Verlust wiegt schwer und ist kaum zu begreifen: mit dem Menschen Thomas haben wir auch den Künstler Habedank auf Erden verloren. ■
Thomas Habedank (1955–2022)
Foto: Privat
Thomas Habedank
1955 in Eisenhüttenstadt geboren
1972 Lehre als Agrotechniker
1974–1976 Mosaiksetzer
1978–1980 Studium an der Fachhochschule für Werbung und Gestaltung in Berlin-Schöneweide
1980–1985 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Diplom für Malerei und Grafik bei Prof. Horlbeck
1985–1992 freischaffend als Maler und Grafiker in Berlin-Friedrichshagen, Mitglied im Verband Bildender Künstler Berlin, Kursleiter für Malerei und Grafik im Klub F. C. Weißkopf in Rahnsdorf
1992–2002 Kunstfabrik Köpenick; bildhauerische Tätigkeit im Flussbad Gartenstraße und Kursleiter in der Jugendkunstschule Köpenick; Stipendium der Stiftung Kulturfond; Studienaufenthalte in Irland, Litauen, Georgien und Spanien; Projekt „Neue Kultur“, Kulturring e. V.; Stipendium im Künstlerhaus Lukas; Tätigkeit in einer Kinder-Kunst-Werkstatt
seit 2003 wieder freischaffend
seit 2008 Atelier und Arbeit in der Uckermark
2022 in Berlin gestorben
Im Atelier — Foto: offene-ateliers-friedrichshagen.de
Galerie
gräfe art.concept
Dr. Hildegard Gräfe
Kollwitzstraße 72
10435 Berlin
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