Widerspruch+Widerstand
Der Karlatan
Karl Lauterbach ist Arzt, Professor und Wissenschaftler. Oder? Der Autor Thomas Kubo ist einigen biografischen Verdachtsmomenten nachgegangen. Ist der amtierende Bundesminister für Gesundheit nur ein Blender?
Der Gegenwart. — 25. Februar 2023
»Prof. Dr. med. Dr. sc. (Harvard) Karl Lauterbach ist zwar de iure Arzt, hat aber de facto als ein solcher nie gearbeitet. Karl Lauterbach nennt sich zwar Wissenschaftler, jedoch verflüchtigen sich die Nachweise für seine wissenschaftliche Tätigkeit bei genauerer Betrachtung. Karl Lauterbach ist auf dem Papier zwar Professor, hat aber die sonst allgemein üblichen Voraussetzungen für eine Professur nicht erfüllt. Diesen Thesen ist unser Autor Thomas Kubo nachgegangen. In teilweise kleinteiligen Beweisführungen konnte er sie erhärten. Eine Übersicht und Kurzzusammenfassung unserer fünf Teile „Der Karlatan“ nebst Verweisen zu den einzelnen Folgen finden Sie auf dieser Seite („Der Karlatan. Eine Hintergrund-Serie“).
Der Arzt (Folge 1)
Medizin hat er studiert. Soviel steht fest. Karl Lauterbach ist auch Arzt. Seit 2010 besitzt er die Approbation. Viele Jahre nach dem Studium, als er schon längst im Bundestag saß. Möglich wurde das für Lauterbach, der nie offiziell als Arzt im Praktikum gearbeitet hat, weil diese Voraussetzung für die Approbation im Jahr 2004 weggefallen ist. In verschiedenen Interviews hat Lauterbach angegeben, als Arzt in Krankenhäusern praktiziert zu haben. Was er genau getan hat, lässt sich heute nicht mehr unabhängig rekonstruieren. Es bleiben die Aussagen von ihm selbst. Aber die haben es in sich: Als Medizinstudent in Texas habe er wochenlang nur operiert, erzählte er später. Durfte er das aber machen, wovon er spricht? Er war noch Student. Also blieb die Assistenz. Wenn überhaupt. Davon aber ist in den Aussagen nicht die Rede. Zudem variieren sie. Mal war er in der Herz-, mal in der Unfallchirurgie tätig. An anderer Stelle war die Rede davon, dass er im Studium als eine Art Intensivpfleger gejobbt habe. Dazu kommt ein „praktisches Jahr“ als Arzt in den USA. Mehr Arbeit am Patienten hat Lauterbach nicht vorzuweisen. Und eine Facharztausbildung hat er (natürlich) auch nicht absolviert.
Der Wissenschaftler (Folge 2)
Karl Lauterbach gilt als erfahrener Wissenschaftler. Seit 1997 ist er Professor in Köln. Aber wie kam es dazu? Schaut man in seine Publikationsliste, so ist dort wenig zu finden, was vor seiner Berufung erschienen ist. Neben seinen beiden Dissertationen sind es nur wenige Veröffentlichungen, in denen er Erst- oder Alleinautor war. Die normale und wesentliche Voraussetzung für eine Professur, die Habilitation, hat er auch nicht vorzuweisen.
Der Professor (Folge 3)
Seit 1997 ist Karl Lauterbach also Professor an der Uni Köln. Er leitet das Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft, dessen Gründung er als Geschäftsführer der „Gesellschaft zur Förderung der Gesundheitsökonomik e.V.“ maßgeblich mit vorangetrieben hat. Später wurde daraus das Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie. Er selbst hat darüber mehrfach in anekdotischer Weise berichtet, auch andere Berichte legen dies nahe. Was aber qualifizierte ihn überhaupt zu dieser Position? Die Harvard-Dissertation wurde als „habilitationsäquivalente Leistung“ anerkannt, zudem habe es weitere „Qualifikationsschriften“ gegeben, schreibt die Uni Köln. Diese aber sind, wie die Teile zwei und fünf unserer Serie nachweisen können, zumindest bis zum Jahr 1996 kaum vorhanden. Und die Harvard-Dissertation? Lag sie den Mitgliedern der Berufungskommission überhaupt vor? Zu diesem Zeitpunkt gab es ein einziges öffentlich zugängliches Exemplar: In Harvard selbst. Ein Blick in die heute offen im Netz zugängliche Schrift zeigt: Es handelt sich um einen „normativen Essay“, so ein professoraler Kollege Lauterbachs, mit eklatanten Fehlern inhaltlicher wie formeller Natur.
Die Lehre (Folge 4)
Ein deutscher Professor lehrt und forscht. Aber Lehrveranstaltungen von Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach lassen sich in der Rückschau nur sehr wenige nachweisen. An der Uni Köln erst ab 1998 im dortigen Vorlesungsverzeichnis. Vier Jahre später beschwerte sich dann die Fachschaft, dass er seine Lehrtätigkeit vernachlässigt. Er habe seit Beginn des Sommersemesters 2000 keine einzige Lehrveranstaltung persönlich gehalten. Und im Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1998/99 finden sich gerade einmal 4,5 Wochenstunden, an denen Lauterbach teilgenommen haben sollte.
Der Professor, der mit 35 Jahren bereits drei C4-Rufe gehabt hat, wie er stolz berichtet, hatte bis dato also wenig geforscht und kaum gelehrt. Lauterbach war zunächst C3-Professor in Köln und hatte sich dann in Greifswald und Tübingen beworben. Nachdem er von beiden Universitäten einen Ruf erhalten hatte, führten Bleibeverhandlungen ihn in Köln zur C4-Professur.
Die Berufungsakte aus Tübingen konnte unser Autor einsehen (weswegen nach dem vierten auch noch ein fünfter Teil der Serie nötig wurde). Dadurch konnte er auch einen Blick auf Lauterbachs Bewerbung und dessen eigene Angaben zur Lehre werfen. Das Fazit: Vor seiner Berufung kann lediglich eine einzige Veranstaltung zweifelsfrei nachgewiesen werden, die Lauterbach aber nicht einmal alleine gehalten hat. Weitere Lehrveranstaltungen, die er in der Bewerbung angegeben hatte, sind derzeit nicht nachweisbar. Dazu passt die Aussage von Zeitzeugen, Lauterbach sei nur selten am Institut in Köln aufgetaucht.
Die Bewerbungen (Folge 5)
Es ist unerheblich, ob Lauterbach wirklich nach Tübingen wollte. Die Bewerbungsunterlagen, die zum Ruf auf die C4-Professur führten, sind gleichwohl eine heute nicht mehr zu ändernde Selbstdarstellung. Sie geben Auskunft über die Person und seinen Werdegang. Bei Lauterbach allerdings vor allem darüber, wie er offenbar gesehen werden wollte. Denn viele Angaben lassen sich nicht verifizieren. Und was erschienen ist, das wird teilweise aufgebläht. Von der geringen Anzahl an Publikationen war bereits die Rede, sie waren teilweise noch nicht einmal in Fachzeitschriften erschienen. Es gab keine einzige mit Peer Review.
Bei genauerem Blick auf Lauterbachs eingereichte Publikationsliste fallen zum einen kleinere Fehler auf. Aber es sind auch Texte enthalten, die nie erschienen sind. Und was Lauterbach veröffentlicht hat, ist von fragwürdiger Qualität. „Literatur beim Autor“ heißt es an einer Stelle. Bedeutet das, dass man heute beim Gesundheitsministerium nachfragen muss, um die Literaturangaben für die kleine Schrift zu erhalten? Wenn er dann Nachweise angibt, belegt die Quelle regelmäßig nicht das, was der Autor behauptet.
Schließlich noch ein Blick auf die Drittmittel, die Lauterbach angeworben haben will und die er bei seiner Bewerbung ebenfalls angibt: Bei näherem Hinsehen bleibt wenig bis nichts übrig. Das gilt auch für das Berufungsverfahren nach Greifswald. Hier liegt im Berufungsbericht nur ein Kurzgutachten über Lauterbachs Harvard-Dissertation vor, das deren Qualität zu beurteilen vorgibt. Nach Lektüre dieses Gutachtens bleibt unklar, ob überhaupt ein Exemplar der Dissertation vorgelegen hat.
Am Ende der Serie stehen 17 Punkte mit vielen Fragen. Unter anderem der folgenden: „Hat diese Serie hinreichende Belege dafür geliefert, dass man von wissenschaftlichem Fehlverhalten sprechen kann?“ Ob jemand tätig wird und (mehr) Licht ins Dunkel bringen kann, wird die Zukunft zeigen.«
* * *
„Wie Karl Lauterbach 1995 seinen Lebenslauf fälschte“
Archiv-Dokumente belegen, wie Karl Lauterbach 1995 seinen Lebenslauf fälschte. Damals ging es um eine Professur in Tübingen und ein Projekt, von dem sich heute nichts mehr finden lässt. […] Die Akten des Berufungsverfahrens sind bis heute im Universitätsarchiv einsehbar – und könnten für den Bundesgesundheitsminister nun zum Problem werden. Denn auch seine Bewerbung lagert hier, und die lässt sich mit seiner tatsächlichen Laufbahn nicht in Einklang bringen.
„Lauterbach fälschte offenbar seinen Lebenslauf“
Erinnern Sie sich noch an Karl-Theodor zu Guttenberg? Der Verteidigungsminister aus den Reihen der CSU musste 2011 sein Amt niederlegen, weil er bei seiner Doktorarbeit abgeschrieben hatte. In Zeiten, in denen Politiker noch nicht an ihren Amtssesseln klebten wie heute die Klima-Extremisten an den Straßen. Jetzt kommt heraus: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat 1995 seinen Lebenslauf gefälscht. „Damals ging es um eine Professur in Tübingen und ein Projekt, von dem sich heute nichts mehr finden lässt“, wie die „Welt“ berichtet. In einem Artikel, der – für Lauterbach praktischerweise – hinter einer Bezahlschranke steht. Wetten, dass Lauterbach anders als Guttenberg deswegen nicht wird zurücktreten müssen? Und dass die großen Medien, die damals aus allen Rohren gegen Guttenberg feuerten, diesmal mit angezogener Handbremse berichten werden? […] Die „Welt“ schickte jetzt noch einmal detaillierte Fragen an Lauterbachs Sprecher Hanno Kautz. Unter anderem wollte das Blatt wissen: „Um welche Studie geht es? Wer waren die Co-Autoren? Von wem und wann wurde ein Antrag auf Förderung gestellt? Wann wurde der Förderung stattgegeben? Wann floss das Geld?“ Die Antwort des Lauterbach-Sprechers und früheren Bild-Journalisten, mit dem ich oft in der Bundespressekonferenz aneinandergeraten bin: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass nach mehr als einem viertel Jahrhundert die Details zu den von Ihnen erwähnten Studien nicht rekonstruiert werden können.“ […] Die Bitte um ein Gespräch mit dem Minister wies sein Sprecher zurück. Auch direkt an ihn gerichtete Fragen wollte Lauterbach nicht beantworten, wie das Blatt schreibt. […] Vergleiche mit früheren Verfehlungen von Ministern und Rücktritten zieht die „Welt“ leider nicht. Allein das, was bekannt ist, wäre früher ein riesiger Skandal gewesen und hätte mit Sicherheit dazu geführt, dass ein Minister massiv im Rampenlicht der Medien und in der Kritik steht, und mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre auch ein Rücktritt im Gespräch gewesen. Googelt man im Deutschland des Jahres 2022 „Lauterbach“ und „Universität“ Tübingen, kommt außer dem „Welt“-Bericht nur eine andere Fundstelle: Ein Bericht des Focus mit dem beschönigenden Titel: „Tübingen: Nach 28 Jahren kommt Wirrwarr in Lauterbachs Lebenslauf ans Licht“. Dieses Schweigen der großen Medien, wenn es um Verfehlungen von rot-grünen Regierungsmitgliedern gilt, hat schon etwas von Omerta. Es zeigt, wie weit ein Großteil der Medien seine Aufgabe als Kontrollinstanz der Mächtigen und vierte Macht verraten hat. Statt im Auftrag der Bürger die Regierung zu kontrollieren, versuchen sie, im Auftrag der Regierung die Bürger zu kontrollieren, zu erziehen und zu steuern.
Thomas Kubo
Foto: Akademie für Gemeinwohl
Der Autor
Thomas Kubo (*1992) ist Verleger aus Münster und beschäftigt sich mit Geld-, Boden- und Ressourcenreform. Als langjähriger Mitarbeiter des Wirtschaftspublizisten und Geldreformers Helmut Creutz (1923–2017) ist er Herausgeber dessen Buches „Das Geldsyndrom: Wege zu einer krisenfreien Wirtschaftsordnung“. (Gemeinwohlakademie)
Das Buch
Thomas Kubo: ApoKarlypse. Kernschmelze im Panik-Reaktor. Mit einem Beitrag von Werner Rügemer. Verlag Thomas Kubo, Münster 2022
Volltext: Thomas Kubo: ApoKarlypse PDF
»Karl Lauterbach befindet sich seit seinem Einzug ins Bundesgesundheitsministerium am 8. Dezember 2021 auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere. Das vorliegende Buch bietet eine durchweg kritische Perspektive auf »Deutschlands beliebtesten Poltiker« (INSA-Meinungsumfrage vom Januar 2022). Im ersten Teil portraitiert Werner Rügemer den Gesundheitsminister der Herzen als bestens vernetzten Lobbyisten, der knallharter neoliberaler Privatisierung des Gesundheitssektors auf Kosten der Beschäftigten und Patienten die wissenschaftliche Legitimation verleiht und auch eigens antreibt. »Corona« als gesellschaftliches Phänomen erlaubte es Karl Lauterbach, vom parlamentarischen Hinterbänkler in die Bundesregierung aufzusteigen. Die verzeichneten Beispiele für seine Krisenkommunikation in den weiteren Kapiteln reichen von dumm bis gemeingefährlich. Lauterbach, der über sein Twitterprofil und vom Talkshow-Sessel regiert, wäre nicht denkbar ohne die kritiklose Multiplikation durch die Medien, die ihn wie Hofschranzen goutieren. Das Buch dokumentiert somit ein doppeltes Versagen.« (Verlagstext)
Verlag Thomas Kubo
Sachbücher zu folgenden Themen: Wirtschaft, Gesellschaft und Ökologie, Sprachwissenschaft mit Schwerpunkt auf Klassischer Philologie und Indogermanischer Sprachwissenschaft, sowie Schach.
Verlag Thomas Kubo UG (haftungsbeschränkt)
Inhaber: Thomas Kubo
Kanalstraße 58
48147 Münster
E-Mail: verlag[at]thomaskubo.de
Webseite: thomaskubo.de
Verlag Thomas Kubo auf Twitter: »Verleger. Nutzt Twitter für: Ideen, Werbung, Anregungen, Streit, Lob, Tadel, Kontakt, Klamauk. Verlinke Themen, die meine Autoren und Bücher betreffen.«
Der Karlatan (1–5)
Der Karlatan – Folge 1
Karl Lauterbach bringt eine Palette akademischer Grade mit ins Amt. Doch was steckt dahinter? Angesichts des Jahrestages seiner Vereidigung zum Bundesminister bringen wir Licht ins Dunkel.
Der Karlatan – Folge 2
Erfahrener Arzt, international renommierter Wissenschaftler – so stellt sich Karl Lauterbach gerne vor einem Laienpublikum dar. Innerhalb der Fachwelt kann er mit dieser Inszenierungsstrategie nicht punkten. Zu fadenscheinig ist seine tatsächliche Qualifikation.
Der Karlatan – Folge 3
Anstelle einer Harvard-Dissertation ein schlichtes Essay, das Mängel und Fehler aufweist. Eine selbstgezimmerte Professorenstelle in Köln. Ist Karl Lauterbachs gesamte Vita die eines Blenders und Emporkömmlings?
Der Karlatan – Folge 4
Wo war Karl Lauterbach während seiner Zeit als bestallter Hochschullehrer? Hielt er Lehrveranstaltungen ab? Ja! Sogar zwei zur gleichen Zeit. „Karlchen überall“ nannte man ihn spöttisch. Er galt als der „faulste Professor“.
Der Karlatan – Folge 5
Hat der Bundesgesundheitsminister jemals die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen mitgebracht, eine Professorenstelle zu bekleiden? Zu viele „Fehler“ sind unserem Autor aufgefallen. Oder war es eine absichtliche Täuschung?
Übersichtstext von Thomas Kubo: „Der Karlatan. Eine Hintergrund-Serie“
Gesicherte Fakten
Karl Wilhelm Lauterbach (* 21. Februar 1963 in Birkesdorf) ist ein deutscher Gesundheitsökonom und Politiker (SPD). Der Mediziner ist seit Beginn der 16. Legislaturperiode im Jahr 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit dem 8. Dezember 2021 Bundesminister für Gesundheit im Kabinett Scholz. (Wikipedia)