Hinweise auf Menschen
Thor Heyerdahl
Seine spektakulären Expeditionen bestätigten, dass mit Balsaflößen und Schilfbooten bereits vor Kolumbus’ Zeiten interkontinentale Kontakte möglich waren.
Der Gegenwart. — 15. August 2022
Die philosophische Antwort war: Der Mensch kann nicht zum Naturzustand zurückkehren, seinen Kurs auch nicht gefahrlos weitergehen, ohne den Kurs der Zivilisation zu planen. Die wissenschaftliche Antwort lautete: Wind und Meeresströme sind der Schlüssel zum Rätsel allen Lebens auf den Polynesischen Inseln.
Thor Heyerdahl zum Ergebnis seines Experiments Fatu Hiva
Thor Heyerdahl war der Held meiner Jugendzeit. Der subtile Leser wird in diesem Satz unschwer die feine Differenz zum folgenden erkennen: Thor Heyerdahl war nicht der Held meiner Jugend. Zu fern und zu unerreichbar und zu aufwendig erschienen mir seine Abenteuer. Unvergessen bleibt aber die in Presse und Fernsehen verfolgte Expedition mit der Ra. Heyerdahl versuchte 1969 mit dem nach dem Vorbild ägyptischer Reliefs und Wandmalereien und als Grabbeigabe gefundener Tonmodelle entworfenen Papyrusboot Ra von Safi in Marokko aus im Äquatorialstrom und im Nordostpassat Amerika zu erreichen.
Thor Heyerdahl wurde in Larvik geboren, wo sein aus Christiania (heute: Oslo) stammender Vater eine Brauerei betrieb. Als einziger Nachkomme ältlicher Eltern wuchs er sehr behütet und verhätschelt auf, hatte aber auch große Freiheiten: Für Thors Sammlung von Kleintieren, Käfern, Insekten und Vogeleiern stellte der Vater auf dem Brauereigelände einen renovierten Raum zur Verfügung, den der Junge stolz „Zoologisches Museum“ nannte. Als Kind hatte er Angst vor dem Wasser, nachdem er zweimal beinahe ertrunken wäre. Sogar als Jugendlicher weigerte er sich, Schwimmen zu lernen, bis er 1937 auf Tahiti in einen reißenden Fluss stürzte und um sein Leben kämpfen musste.
Mit Zelt und Schlafsack im nahen Gebirge unterwegs
Für Sport, ausgenommen Laufen und Klettern, interessierte er sich im Gegensatz zu seinen Schulkameraden nicht, war aber gern mit Zelt und Schlafsack im nahen Gebirge unterwegs. Ola Bjørneby, ein erwachsener Einzelgänger, der auf der verlassenen Alm Hynna im Åstadal in einem Schafstall hauste und sich mit einem Mobiliar aus Baumstümpfen, Steinen und Tannenzweigen zu begnügen verstand, brachte den Jungen auf den Geschmack für ein Leben unter primitivsten Bedingungen. Bereits zu dieser Zeit entstand der ernsthafte Wunsch, einige Zeit in einer von der Zivilisation möglichst unberührten Gegend zu verbringen.
Im Jahr 1933 begann Heyerdahl das Studium der Zoologie und der Geografie an der Universität Oslo. Seine Zoologieprofessorin Kristine Bonnevie befasste ihre Schüler aber auch mit physischer Anthropologie. Auch stand Heyerdahl die damals größte Bibliothek über Polynesien von Bjarne Kroepelien zur Verfügung. Der Student Heyerdahl war bereits vor seiner Abreise so belesen, dass er Vorträge über die Marquesas halten konnte.
Am Weihnachtsabend 1936 heiratete Thor Liv Coucheron Torp, mit der er am nächsten Tag nach Tahiti aufbrach – zugleich Hochzeitsreise und Vorbereitung für das Staatsexamen über die Herkunft der dortigen Fauna. Die Reise ging zunächst über Marseille nach Tahiti, wo die gut vierwöchige Wartezeit auf einen Kopra-Schoner zur Weiterreise bei Häuptling Teriieroo, Kroepeliens Schwiegervater, verbracht wurde: Das junge Ehepaar wurde von Teriieroos Familie in die Lebensweise der Polynesier eingeführt.
Ein Reeder interessierte sich für Heyerdahls revolutionäre Idee
Ziel dieser ersten Reise war die Insel Fatu Hiva, auf deren Nachbarinsel Hiva Oa um die Jahrhundertwende Paul Gauguin einige Zeit verbracht hatte. Während des Aufenthalts wandte Heyerdahl sich zusehends der Ethnologie zu und begann die Herkunft der Insulaner „aus einem großen Land im Osten“ ernsthaft in Erwägung zu ziehen.
Im Frühjahr 1938 kehrte das Paar nach Norwegen zurück, wo im September Sohn Thor jun. geboren wurde. Heyerdahls Forschung zur Herkunft der Polynesier führte ihn 1939 nach Amerika. Aus Kroepeliens Bibliothek hatte er ein erstmals fächerübergreifendes Puzzle zusammengestellt, das als englischsprachiges Manuskript nahezu publikationsreif war: Polynesia and America. Der Reeder Thomas Olsen interessierte sich für Heyerdahls revolutionäre Idee und ermöglichte der Familie die Überfahrt nach Vancouver „für einen symbolischen Beitrag“.
Nachdem Norwegen 1940 von deutschen Truppen besetzt worden war, saß die Familie zunächst ohne Geld in Kanada fest. Heyerdahl konnte nicht heimreisen, bekam aber auch keine Arbeitserlaubnis, weil er mit einem Studentenvisum eingereist war. Die Norweger waren auch „bestenfalls unwillkommen“, da in den USA und in der Folge auch in Kanada kolportiert worden war, Norwegen habe sich den Nazis freiwillig angeschlossen. Wieder griff der Reeder ein, indem er die Adresse seines Freunds in Erfahrung brachte und ihm von sich aus überlebensnotwendige Geldbeträge vorstreckte, bis dieser wieder selbst für seine Familie sorgen konnte.
Mit zahlreichen Medaillen und Preisen ausgezeichnet
Um am Kampf für die Befreiung Norwegens teilzunehmen, meldete Heyerdahl sich freiwillig im norwegischen Rekrutierungsbüro, wofür er allerdings in die USA reisen musste: Der deutschstämmige norwegische Konsul in Kanada, von Stahlschmidt, half nicht. Nach einer Ausbildung zum Funker und im Fallschirmabsprung war der Rekrut letztlich knapp vor Kriegsende kurzzeitig in der Finnmark eingesetzt, ohne einen Schuss abzugeben, lernte aber Knut Haugland kennen, der sich wenig später auf der Kon-Tiki einfand.
Im Jahr 1947 wies Heyerdahl mit der Kon-Tiki-Expedition nach, dass Balsaflöße und Schilfboote interkontinentale Kontakte bereits vor Kolumbus’ Zeiten ermöglicht haben konnten. Er initiierte eine Vielzahl weiterer Expeditionen und archäologische Projekte und wurde mit zahlreichen Medaillen und Preisen ausgezeichnet: Universitäten in Europa, Nord- und Südamerika verliehen ihm insgesamt elf Ehrendoktorate.
Die Fahrzeuge Kon-Tiki und Ra II sind im Kon-Tiki-Museum zu besichtigen, das Teil des Norwegischen Seefahrtsmuseums in Oslo ist. Im Park Piramides de Güimar (Teneriffa) befindet sich ein weiteres, kleines Museum mit dem Nachbau eines Schiffes.
Thor Heyerdahl starb am 18. April 2002 in seinem 88. Lebensjahr an einem Gehirntumor. Er weilte in Colla Micheri, Andora, Italien, wo er Ostern mit einigen seiner engsten Familienangehörigen verbrachte. Ein offizielles Staatsbegräbnis durch die norwegische Regierung fand am 26. April 2002 in der Kathedrale von Oslo statt. Sein Grab befindet sich im Garten des Familiengrundstücks in Colla Micheri. Thor Heyerdahl war dreimal verheiratet und zeugte fünf Nachkommen.
Die erste Expedition: Fatu Hiva (1937)
Seit seiner Kindheit hatte Heyerdahl vom „natürlichen“ Leben geträumt. Mit seiner ersten Frau Liv verwirklichte er diesen Traum 1937 auf der Insel Fatu Hiva im südlichen Teil der Marquesas-Gruppe. Dort und auf der 100 km NNW gelegenen „Nachbarinsel“ Hiva Oa verbrachten sie mehr als acht Monate, wobei sie auf technische Hilfsmittel weitgehend verzichteten. Der Versuch, auch auf Medikamente zu verzichten, hätte allerdings fast im Fiasko geendet. Auf Fatu Hiva ohne jede medizinische Betreuung, mussten sie unter abenteuerlichen Bedingungen in einem altersschwachen Rettungsboot nach Hiva Oa segeln, kehrten aber nach einigen Wochen nach Fatu Hiva zurück.
Neben dem Versuch, den Kindheitstraum zu verwirklichen, standen für Heyerdahl anfangs zoologische Untersuchungen im Mittelpunkt. Nachdem er auf den beiden besuchten Inseln steinerne Artefakte (Statuen und Flachreliefs) gefunden hatte, die Ähnlichkeiten mit Statuen in Südamerika aufwiesen, und ihm außerdem ein alter Einheimischer von der mythischen Herkunft seines Volkes aus dem Osten erzählte, begann Heyerdahl die zwar bekannte aber als unglaubwürdig bezeichnete These einer Besiedelung Polynesiens aus dem Osten zu vertreten, was sein Leben grundsätzlich veränderte: Ab jetzt widmete er sich der Ethnologie und der Archäologie.
Zur sechswöchigen Rückreise schiffte sich das Paar am 27. Dezember 1937 in Tahiti ein – am Jahrestag der Abreise aus Oslo.
Das Buch „Fatu Hiva. Zurück zur Natur“
1974 berichtet Heyerdahl in dem Buch Fatu Hiva über seine erste Expedition (siehe rechte Spalte). Im damals gewissen Aufwallungen von Fortschrittsmüdigkeit gegenüber noch kritischen SPIEGEL rezensiert Albrecht Kunkel den Reisebericht und spottet über die „Tatenlust aus Zivilisationsekel“:
Der weltbekannte Globetrotter, von »Ra« und »Kon-Tiki« erschöpft, erzählt eine alte Geschichte. […] Die Robinsonade des Norweger-Pärchens, das zoologische Studien zum Vorwand nahm, um Europa bis auf einen bunten Lendenschurz abzustreifen, taugte nicht einmal als Kulturflucht-Experiment. Thor und die damals 21 jährige Liv hausten eher wie auf Selbstbedienung abonnierte Erlebnis-Touristen in der aufgelassenen Obstplantage des letzten Inselkönigs zwischen verwilderten Pferden, Ziegen und Schweinen. Selbst dort, Heyerdahl gesteht es, konnten sie auf Kochtopf, Moskitonetz. Medikamente und Traveller-Schecks nicht verzichten. Und schließlich fehlten ganz einfach Streichhölzer, wurde die Sehnsucht nach dem Kopra-Schoner übermächtig, der sie aus dem mißlichen Eden zurückholte.
„Hochzeitsreise barfuß“, DER SPIEGEL 24/1974
Die schwedische Gesellschaft für Anthropologie und Geographie verlieh Heyerdahl mit einstimmigem Beschluss die Retzius-Medaille 1950 für die Organisation und Durchführung der wissenschaftlichen Zwecken dienenden Kon-Tiki Expedition. Das war die erste und vielleicht wichtigste Auszeichnung in Heyerdahls wissenschaftlicher Laufbahn, da seine Gegner nun nicht mehr behaupten konnten, dass die Floßfahrt eine rein sportliche Leistung gewesen sei.
Weitere Expeditionen und Projekte
Weitere Expeditionen und Projekte von Thor Heyerdahl – über die Wikipedia noch ausführliche Beschreibungen enthält – waren: Bella Coola (1939–1940); Galápagosinseln (1952–1953); Peru, Bolivien, Kolumbien (1954); Osterinsel (1955–1956; 1986–1988); Pitcairn, Raivavae, Hiva Oa, Nuku Hiva (1956); Tigris (1977); Malediven (1982, 1983, 1984); Tucumé, Peru (1988–1993); Güímar, Teneriffa (1990–1998); Pietraperzia, Sizilien (2000–2002); Asow, Russland (2001–2002); Gobustan, Aserbaidschan (~1981).
In seiner Heyerdahl-„Biografie“ wirft der norwegische Schriftsteller, Historiker und Abenteurer Ragnar Kvam jr. Heyerdahl Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten vor: Er habe 1938 mit dem deutschen Nationalsozialisten Hans F. K. Günther, einem der führenden Rasseforscher, korrespondiert und sich begeistert über die „charakterfeste deutsche Rasse“ geäußert.
Textgrundlage: https://de.wikipedia.org/wiki/Thor_Heyerdahl