
Machtworte – Inspektion der Herrschaftssprache
Remigration
Das offizielle „Unwort des Jahres 2023“ ist ein sprachpolizeiliches Eigentor (Josef Kraus) und eine Propaganda-Posse (Dushan Wegner).
Der Gegenwart. — 15. Januar 2024 — UPDATE 15. Juni 2024
Alle Sender funken auf Hochtouren zwei Meldungen von zwei weltbewegenden Ereignissen, die – posttausend! – gaaanz zufällig fast zeitgleich bekanntgegeben werden. Zwar war die private Zusammenkunft oppositioneller Strategen und Unternehmer bereits im November 2023, aber jetzt warnt fast jede ÖRR-Nachrichtensendung rund um die Uhr vor „rechten Gedankenspielen“ und „rassistischen Überlegungen“ zur Remigration, „wonach Millionen von Menschen aus Deutschland vertrieben werden könnten.“ Und heute wurde auch das offizielle „Unwort des Jahres 2023“ bekanntgegeben: „Remigration“. Sowas von Zufall!
Wie immer bei Propaganda soll der Bürger nicht genauer hinschauen, sondern über die hochgeheime „Wannseekonferenz 2.0“ erschüttert sein und am besten gleich nach einem Parteienverbot verlangen.
Wenn man genauer hinsieht, dann bleibt von der Behauptung in der Begründung, das Wort sei ein „rechter Kampfbegriff“, nichts übrig. Eine Abfrage beim Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (https://www.dwds.de/wb/Remigration) ergibt eine Wortverlaufskurve für „Remigration“ (siehe Illustration oben), die keineswegs auf eine zunehmende Nutzung hindeuten, sondern ein Auf und Ab im Laufe der Jahre seit 1946 dokumentieren.
Richtig ulkig wird es aber bei den fünf Verwendungsbeispielen – maschinell ausgesucht aus den DWDS-Korpora – nach denen die ZEIT (3mal!), die WELT und der Tagesspiegel immer wieder das rechte Unwort pflegen:
▬ Mit diesem Buch liegt nun erstmals eine kenntnisreiche Gesamtdarstellung der Geschichte der Remigration nach 1945 vor. [Die Zeit, 04.02.2002, Nr. 05]
▬ Die Emigration hat die galicische Seele geprägt, die Remigration prägt nun die galicische Küste. [Die Zeit, 02.07.2003, Nr. 27]
▬ Der wohl bekannteste Fall einer gescheiterten Remigration ist der Alfred Döblins. [Der Tagesspiegel, 05.05.2002]
▬ Die Remigration zu den Wurzeln eigener Herkunft ist eine Erfahrung, die sie vielen Japanern voraushaben dürfte. [Die Welt, 26.08.2000]
▬ Aber was sagt der Begriff der Nation eigentlich noch nach den Kriegen und Vertreibungen, eisernen Vorhängen und Mauern, Emigrationen und Remigrationen? [Die Zeit, 04.07.1986, Nr. 28]
Bei jedem Beispiel ist offensichtlich, dass das Wort ein neutraler Begriff ist und einfach nur das Gegenstück zu „Migration“ benennt.
Sollen wir nun noch die Mitglieder der Jury unter die Lupe nehmen, die als Sprachwissenschaftler über „Verschwörungstheorien“ forschen, die „gefährlich für eine Gesellschaft“ (David Römer) sein sollen, und über „Geschlechterkonstruktion“ und „Genderlinguistik“ (Constanze Spieß) publizieren? Ach, nööö.
Freie Autoren schütten sich jedenfalls aus vor Lachen. Ein paar Beispiele:
Ein Bumerang!
Welch ein professorales, sprachpolizeiliches Eigentor! Ein Bumerang! Die Wahl des Wortes „Remigration“ ist ein PR-Erfolg ohnegleichen für Martin Sellner, der den Ausdruck seit Jahren im Rahmen der von ihm initiierten „Identitären Bewegung Österreich (IBÖ)“ propagiert. Sellner wäre auch nicht Sellner, wenn er den Spieß nicht sofort umdrehte und auf seinem Telegram-Kanal jubelte. Im Februar 2024 wird sein neues Buch erscheinen. Titel: „Remigration – ein Vorschlag.“
Propaganda-Posse
In Deutschland findet jährlich ein lustiges Mini-Theater rund um das »Unwort des Jahres« statt – und ich habe eine steile Theorie dazu, was der wahre Motivator dieser Propaganda-Posse ist! Eine kleine, stramm linke und also weltfremde Akademiker-Clique legt fest, was angeblich das »Unwort des Jahres« zu sein hat. Staatsfunk und regierungsnahe Medien verbreiten dies dann, als sei es eine echte Nachricht, ein Erbebenausbruch etwa, ein Krieg oder die neueste WHO-Planung. Dass irgendein Altlinken-Stammtisch ein »Unwort des Jahres« bestimmt, ist an sich etwa so bedeutsam, wie wenn du und ich und der Nachbar Hans-Peter dies beim Bier in der Kneipe täten. Eine Nachricht wird das »Unwort des Jahres« erst und nur dadurch, dass vor allem der Staatsfunk es eben zur Nachricht aufbläst. Am »Unwort des Jahres« können wir seit mindestens einem Jahrzehnt zuverlässig ablesen, von welchen Wahrheiten die deutsche Propaganda nicht will, dass über sie gesprochen wird.
Dushan Wegner: „Unwort des Jahres, 2013 bis 2023 – verräterisch!“, 15.1.2024
Phänomenaler (Selbst-)Betrug
Da setzen sich ein paar rot-grüne Kultur-Revolutionäre zusammen, entscheiden, was ihrer strammen politischen „Haltung“ am meisten missfiel – und willfährige Medien verkünden das dann hochoffiziell und in einem Duktus und mit einer Wichtigkeit, als habe das Nobelpreis-Komitee getagt. […] Ein Treppenwitz der diesjährigen Entscheidung: „Gastjuror“ war ausgerechnet Merkels erster Generalsekretär Ruprecht Polenz, ein unentwegter Vorkämpfer für Rot-Grün im CDU-Schafspelz. Er schrieb: „Der harmlos daherkommende Begriff Remigration wird von den völkischen Nationalisten der AfD und der Identitären Bewegung benutzt, um ihre wahren Absichten zu verschleiern: die Deportation aller Menschen mit vermeintlich falscher Hautfarbe oder Herkunft, selbst dann, wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Nach der Wahl zum Unwort des Jahres sollte diese Täuschung mit Remigration nicht mehr so leicht gelingen.“ Was für eine Mischung aus Täuschung und Selbsttäuschung. Wenn Polenz seinen politischen Opponenten unterstellt, sie wünschten sich die „Deportation aller Menschen mit vermeintlich falscher Hautfarbe oder Herkunft“, ist das Diffamierung vom Übelsten. Die Lebensgefährtin von Alice Weidel ist aus Sri Lanka. Soll Weidel ihre Deportation fordern? Was für eine üble Propaganda von Polenz! Die Selbsttäuschung wiederum besteht darin, dass der rot-grüne Christdemokrat und seine Mit-Glaubenskrieger aus der Sprachpolizei-Jury ganz offensichtlich in ihrem ideologischen Elfenbeinturm die Stimmung in der Bevölkerung völlig falsch einschätzen. Die Wahl von „Remigration“ zum „Unwort des Jahres“ wird dieses nämlich nicht tabuisieren – sondern es noch bekannter machen und noch mehr Menschen auf die Idee bringen, dass dies gar keine schlechte Idee sei. Zur Erinnerung: Selbst im Koalitionsvertrag steht der Satz, „wir starten eine Rückführungsoffensive“. […] Die breite Berichterstattung der großen Medien über die private „Aktion“ und ihr Unwort hat mit Journalismus nur noch wenig zu tun. Es ist Propaganda pur. Der Duden definiert diese wie folgt: „Systematische Verbreitung politischer, weltanschaulicher oder ähnlicher Ideen und Meinungen mit dem Ziel, das allgemeine Bewusstsein in bestimmter Weise zu beeinflussen.“
Boris Reitschuster: „Phänomenaler (Selbst-)Betrug: Remigration „Unwort des Jahres““, 15.1.2024
Etablierte Parteien sind vollkommen unfähig
Ich habe mehrfach begründet, warum ich persönlich die AfD derzeit nicht wählen würde. Aber ich habe im Freundeskreis auch Menschen, die noch vor zwei Jahren gesagt haben, nie im Leben würden sie die „Höcke-Partei“ wählen, und die es jetzt vorhaben. Einfach, weil die etablierten Parteien vollkommen unfähig sind, der Bevölkerung überzeugende Lösungen für die Probleme unserer Zeit zu präsentieren. Insbesondere bei der Massenmigration. Zum Jahreswechsel sagt Bundeskanzler Olaf Scholz, man müsse jetzt aber mal so richtig Illegale und abgelehnte Asylbewerber abschieben. Gut so, sollte ganz normal sein. Und gestern demonstriert er in seiner Wahlheimat Potsdam gegen die AfD, weil sie Illegale und abgelehnte Asylbewerber abschieben will? Erscheint mir seltsam, eher als Symbolhandlung gegen einen starken politischen Mitbewerber. Ich weiß, ganz so einfach ist es nicht, ich lese auch Zeitung. Zwei Millionen Menschen, selbst mit deutschen Pass, nach Afrika verschieben zu wollen, dass ist nicht nur unvereinbar mit unserem Grundgesetz, das ist logistisch unmöglich, im Grunde ist es einfach blöde. Aber dass Deutschland Hunderttausende Menschen aus unserem Land schaffen muss, wenn wir unsere Probleme lösen wollen, das dürfte doch nicht zu bestreiten sein.
Das ist doch Absicht!
Dushan Wegner: Unworte des Jahres 2013 bis 2023 (verräterisch!) (15.1.2024; 14:37 min.)
Das »Unwort des Jahres« ist eine jener Institutionen im Propagandastaat, für die »Poes Gesetz« gilt, wonach besonders im Internet das Extreme und dessen Parodie (ohne weitere Kennzeichnung) nicht zu unterscheiden sind.
Dushan Wegner: „Unwort des Jahres, 2013 bis 2023 – verräterisch!“, 15.1.2024
Wenn man die Leserdebatte in der FAZ und in der Welt überfliegt, hat man nicht den Eindruck, als fänden dort viele Leser Remigrationspläne anstößig. Wir haben also – wieder einmal – eine gut geölte Empörungsmaschine, während die Bürger vor allem den Zustrom von Fremden mit zweifelhaftem Aufenthaltsgrund beendet haben wollen.
Wortverlaufskurve ab 1946
Unwort des Jahres
Das Unwort des Jahres ist eine zivilgesellschaftliche, sprachkritische Aktion, die in Deutschland 1991 von dem Frankfurter Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser ins Leben gerufen wurde. Bis 1994 wurde das „Unwort des Jahres“ von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) gewählt. Nach einem Konflikt mit dem Vorstand der GfdS machte sich die Jury als „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“ selbständig.
Die Aktion „möchte auf öffentliche Formen des Sprachgebrauchs aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern. Sie lenkt daher den sprachkritischen Blick auf Wörter und Formulierungen in allen Feldern der öffentlichen Kommunikation, die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität verstoßen.“ Die Benennung der Unwörter des Jahres soll „in erster Linie als Anregung zu mehr sprachkritischer Reflexion“ dienen.
Kritik und Rezeption
Viele Entscheidungen für „Unwörter“ wurden kritisiert. Entlassungsproduktivität (insgesamt tauchte das Wort 2005 nur fünfmal in der überregionalen Presse auf) und sozialverträgliches Frühableben oder Opfer-Abo wurde nach Aussage der Kritiker nahezu nicht benutzt, Humankapital und Ich-AG seien bewusst falsch verstanden worden.
Juli Zeh kritisierte die Wahl von „Klimahysterie“ zum Unwort 2019, weil man sich durch „Bewertung einer Haltung in einer kontroversen und sehr, sehr aktuellen politischen Diskussion“ auf eine Seite stelle. Wenn es darum ginge, von beiden Seiten eine sachliche Diskussionsebene einzufordern, hätte man z. B. sowohl „Klimahysterie“ als auch „Klimaleugner“ als Unwörter klassifizieren können. Gerrit Kloss warf 2013 in der FAZ der Jury vor, dass diese entgegen ihrem eigenen Anspruch Unwörter „kreiere“, indem sie bei der Begründung zum Unwort des Jahres 2012 eine Bedeutung angegeben habe, die nicht derjenigen entspreche, die das Wort im Originalkontext habe. Peter Hahne bezeichnete in seinem Buch Seid ihr noch ganz bei Trost! Schluss mit Sprachpolizei und Bürokraten-Terror von 2020 die jährliche Unwort-Kür als angebliches Paradebeispiel für Sprachpolizei.
Der Comic Überraschung (2020) von Katz & Goldt handelt von einer fiktiven Gala „Unwort des Jahres“ mit Anke Engelke. Max Goldt veröffentlichte das Comic-Skript in seinem Hörbuch Genieß deinen Starrsinn an der Biegung des Flusses (2021).
Jury
Bis 1994 wurde das „Unwort des Jahres“ im Rahmen der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) gewählt. Nach einem Konflikt mit dem Vorstand der GfdS machte sich die Jury als „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“ institutionell unabhängig. Horst Dieter Schlosser war von 1991 bis 2011 Sprecher der Jury.
Sie besteht seit 2011 aus fünf ständigen Mitgliedern, davon vier Sprachwissenschaftler und ein Journalist, sowie einem in jährlichem Wechsel kooptierten Mitglied. Nach der Kür des 30. Unworts im Jahr 2020 verabschiedete sich die Jury, die zuvor zehn Jahre in unveränderter Besetzung gearbeitet hatte. Sprecherin Nina Janich (TU Darmstadt) und die anderen Juroren hatten sich entschieden, das Projekt „in andere, jüngere Hände zu legen“, wie es in der Pressemitteilung hieß.
Die aktuell fünf festen Mitglieder sind seit 2021 Constanze Spieß (Sprecherin, Universität Marburg), Kristin Kuck, Martin Reisigl, David Römer (alle Sprachwissenschaftler) und Alexandra-Katharina Kütemeyer (Journalistin).
Kooptierte Mitglieder waren 2011 Heiner Geißler, 2012 Ralph Caspers, 2013 Ingo Schulze, 2014 Christine Westermann, 2015 Georg Schramm, 2016 Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, 2017 Barbara (Streetart-Künstlerin), 2018 Jess Jochimsen (Kabarettist), 2019 Urban Priol (Kabarettist), 2020 Kübra Gümüşay (Autorin), 2021 Harald Schumann (Journalist), 2022 Peter Wittkamp (Autor, Gagschreiber, Werbetexter), 2023 Ruprecht Polenz (CDU). (Wikipedia)
Wie sich Künstliche Dummheit die „Remigration“ vorstellt:
„Eine Denkhilfe.“
„Oma, was war nochmal dieses Deutschland?“ (Ponywurst Productions vom 11.4.2024; 3:27 min.)
»Wir haben es zu Ende gedacht ... Als sie einander auf dem Parkplatz vom Adlon Fünftausend-Euro Couverts zusteckten und sagten, sie wollen in zehn bis fünfzehn Jahren Millionen nach Nordafrika abschieben, mussten wir schon ein wenig schmunzeln. Wer soll das machen? Ihr und welche Bevölkerung? Nun ja … Manche können rechnen, andere brauchen bunte Bilder. Die können wir anbieten. Eine Denkhilfe. Ein Film von Andreas O. Loff, Behzad Karim Khani & Christian Suhr«
Das Wort nicht benutzt
Entschuldigung, Sie benutzen das Wort ,Deportation‘ – niemand hat in Potsdam dieses Wort benutzt.
Markus Lanz zu Saskia Esken (SPD-Co-Vorsitzende) in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“, 13.6.2024 ⋙ Link
Kommentar Boris Reitschuster ⋙ Link