Punkte auf der Landkarte
Waltershausen
Die Kleinstadt im Landkreis Gotha ist bekannt für Spielzeug- und Puppenfabriken und für die „Kowalit“-Fahrradreifen. Hier wirkten der Philanthrop Salzmann und der Leibeserzieher GutsMuths.
Der Gegenwart. — 28. August 2024
Der Somalier, der in Waltershausen im Landkreis Gotha (Thüringen) am Montag einen 46-Jährigen mit einem Messer angriff, war seit acht Jahren ausreisepflichtig. Das teilte die Polizei Gotha auf Anfrage gegenüber Apollo News mit. Der 27-Jährige kam demnach im Juni 2015 nach Deutschland – 2016 erhielt er eine Duldung. Der Mann lebte „bis dato“ in einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge. Er ist wegen Gewaltdelikten vorbestraft und den Behörden bekannt. Warum die Duldung aufrechterhalten blieb, ist unklar. Der Somalier soll laut MDR gezielt mit einem Messer in Richtung des Halses seines Opfers gestochen haben. […] Anwohner hatten zuvor einen lautstarken Streit vor einer Netto-Filiale gemeldet. Der Bild-Zeitung teilte die Staatsanwaltschaft mit: „Der Beschuldigte soll zu dem Geschädigten und weiteren Personen geäußert haben: ‚Ich töte euch und eure Familien‘.“
Der Ort Waltershausen entwickelte sich an der Kreuzung der alten Salzstraße von Salzungen nach Erfurt und von Eisenach nach Saalfeld. Zusätzlich bot die 1176 erstmals erwähnte Burg Tenneberg Schutz für die Stadtbewohner. Eine weitere Begünstigung für den Standort war die Engstelle zwischen dem Burgberg und dem Ziegenberg, die der gesamte Verkehr passieren musste, da der Wald sehr unwegsam war.
Die Stadt selbst wurde 1209 unter dem Namen „Ulricus, villicius de Waltherißhusin“ erstmals urkundlich erwähnt. Die Stadt gehörte zur Grafschaft Mühlburg (in einer Urkunde von 1293 erwähnt) und stand unter der Lehnshoheit des Erzbistums Mainz. Damals war sie bereits im Besitz der Stadtrechte. 1392 wurden Waltershausen und die Burg Tenneberg zum Leibgedinge für die zukünftige Schwiegertochter des Thüringer Landgrafen bestimmt. In der Folgezeit gehörte Waltershausen zum wettinisch-ernestinischen Amt Tenneberg, welches ab 1640 zum Herzogtum Sachsen-Gotha gehörte.
Tradition als Puppenstadt
Waltershausen hat eine im Jahr 1815 begründete Tradition als Puppenstadt. Im 19. Jahrhundert entstand eine Vielzahl von Spielzeug- und Puppenfabriken. Die erste Puppen- und Spielwarenfabrik gründete 1816 Johann Daniel Kestner. Die Thüringerwaldbahn wurde 1929 nach Waltershausen verlängert und verbindet die Stadt seitdem mit Bad Tabarz im Südwesten und Gotha im Nordosten.
Anfang der 1930er Jahre lebten in Waltershausen neun jüdische Familien, die alle durch Emigration und Deportation ihrer Heimat beraubt wurden. Eine einzige Frau überlebte das KZ Theresienstadt und lebte ab 1945 in Eisenach. Während des Zweiten Weltkrieges mussten etwa 600 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus zahlreichen von Deutschland besetzten Ländern in technischen Betrieben, im Ade-Werk, in der Thüringer Schlauchweberei und anderen Unternehmen Zwangsarbeit leisten. Auf dem Friedhof von Waltershausen erinnern zahlreiche Gräber an Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter.
Am 6. Februar 1945 erlebte Waltershausen – wie am selben Tag mehrere Städte in der Region – einen US-amerikanischen Bombenangriff. Zwölf B-17G „Flying Fortress“ warfen um die Mittagszeit aus 8.000 m Höhe 30 Tonnen (120 Stück) Bomben. 21 Gebäude wurden zerstört und 20 Tote gezählt.
Die industrielle Fertigung von Puppen endete 1990. Die Waltershäuser Puppenmanufaktur stellte bis zum Jahr 2005 noch gelegentlich Puppen her. Es handelte sich dabei um Sammlerpuppen, die hohen ästhetischen Ansprüchen Rechnung tragen. Die Puppenstadt existiert lediglich noch als Erinnerung im Museum der Stadt weiter. Im Gebäudekomplex der unter Denkmalschutz stehenden Puppenfabrik hat sich 2003 die Kommune Waltershausen angesiedelt.
Religionen
Es gibt in Waltershausen und allen Ortsteilen insgesamt sieben christliche Kirchen und Kapellen. Die mit Abstand größte ist die evangelische Stadtkirche. Außerdem existieren in den Ortsteilen Schnepfenthal, Langenhain und Wahlwinkel evangelische Kirchen und im Stadtteil Ibenhain eine Kapelle. Weiterhin gibt es noch eine Schlosskapelle auf Schloss Tenneberg, die früher katholisch war, heute aber eine evangelische Kirche ist. Eine katholische Kirche wurde im 20. Jahrhundert neu eingerichtet. Seit 1993 ist Waltershausen Sitz des Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreises (Superintendentur) Waltershausen-Ohrdruf und damit ein kirchliches Verwaltungszentrum.
Ansässige Unternehmen
▬ Ein bis heute wichtiger Betrieb in der Stadt ist die Multicar Spezialfahrzeuge GmbH, ein Unternehmen mit 80-jähriger Tradition, das sich auf die Herstellung kompakter Spezialtransporter und Geräteträger spezialisiert hat. Fahrzeuge von Multicar werden heute in zahlreichen Kommunen als Allzweck-Kleintransportfahrzeuge eingesetzt. Der Hersteller von Anhängekupplungen Rockinger, hat ein Werk und seinen Sitz in Waltershausen.
▬ Aus bescheidenen Anfängen entwickelte sich im 19. Jahrhundert die in Waltershausen bedeutsame Puppenindustrie. Die zunächst aus Papiermaché gefertigten Puppen wurden oft in Heimarbeit mit Puppenwäsche und Accessoires komplettiert als Kinderspielzeug und später auch als Trachtenpuppen zu Sammelobjekten. Aus den einstigen Puppenfabriken entstand in der DDR der VEB Puppenfabrik Biggi Waltershausen. Er stellte die beliebten Biggi-Puppen her, einst ein Exportschlager der DDR-Spielzeugindustrie.
▬ Die Herstellung von Gummiartikeln war und ist ebenfalls ein Hauptindustriezweig. Aus mehreren Firmen ging nach 1945 der VEB Gummiwerke Waltershausen (Marke „Kowalit“) hervor, der in den 1980er Jahren zum Kombinat Plast- und Elastverarbeitung gehörte. Im Stadtgebiet gab es zwei Betriebsteile, in denen verschiedene technische Gummiwaren und Kleinbereifung hergestellt wurden. Nach 1990 wurde die Firma von der Phoenix AG übernommen. Einige kleinere Betriebe dieser Branche wurden neu gegründet und etablierten sich, z. B. Gummidichtungstechnik Automotive GTA.
▬ Die 1992 gegründete Orgelbau Waltershausen GmbH widmet sich als Unternehmen mit einer spezifischen Ausrichtung dem Neubau, der Restaurierung und der Pflege von Orgeln aller Größen.
Sehenswürdigkeiten
▬ 1176 wurde Schloss Tenneberg erstmals als Burg der Thüringer Landgrafen erwähnt. Mehrfach umgebaut, erhielt es im frühen 18. Jahrhundert seine im Wesentlichen endgültige Gestalt. Durch verschiedene Nutzungen in der Zeit danach sind die meisten Barockräume verloren gegangen, jedoch nicht der Festsaal (1719), das barocke Treppenhaus (1718) und die Schlosskapelle (1721). Hierin: Heimatmuseum (1929), Schwerpunkt: Geschichte der Puppenindustrie. (Beginn der Deutschen Spielzeugstraße)
▬ Klaustor (erste urkundliche Erwähnung 1390), Haupttor der alten Stadtmauer, durch die auf der Straße von Erfurt in Richtung Bad Salzungen der meiste Verkehr ging.
▬ Töpfersturm, im frühen 15. Jahrhundert außerhalb der Stadtmauer am Ende der alten Eisenacher Straße errichtet. Im Bereich des Turmes hatten sich im Mittelalter die Töpfer des Ortes angesiedelt.
▬ Historisches Rathaus von 1441, zweitältestes Fachwerk-Rathaus im mitteldeutschen Raum, nach 1990 grundlegend restauriert. Gewölbekeller mit beeindruckenden Kreuzgrat- und Tonnengewölben. Das erste Obergeschoss diente als Festsaal und Markthalle. Im zweiten Obergeschoss sind die Büroräume des Bürgermeisteramtes.
▬ Marktplatz mit Brunnen und der „Muschelminna“
▬ Salzmannschule Schnepfenthal (1791–1793), heute ein staatliches Spezialgymnasium für Sprachen. 1784 kam Christian Gotthilf Salzmann nach Schnepfenthal. Er erwarb mit Unterstützung von Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha und Altenburg das Rittergut mit den dazugehörigen Ländereien und der Hardt und gründete eine Erziehungsanstalt nach den Grundsätzen des Philanthropismus im ehemaligen Gutshaus. Salzmann schrieb dazu: „Wenn ich die Freyheit gehabt hätte, ganz Deutschland zu durchreisen und mir den Platz zu wählen, der mir am besten gefiele, so zweifle ich, ob ich einen schicklicheren, als Schnepfenthal hätte finden können. … Die Gegend ist so schön, dass sie gewiss mit vielen Schweizerischen wetteifern kann, Berg und Thal, Wald und Wiesen und Teiche sind da in der mannichfaltigsten Abwechslung. Ich kann in derselben nie wandeln ohne zur Fröhlichkeit und Thätigkeit gestimmt zurück zu kommen und schwerlich wird ein fremder sie besuchen, ohne durch sie bezaubert zu seyn.“
▬ Erster deutscher Turnplatz (1785) von Johann Christoph Friedrich GutsMuths (1759–1839). Der Pädagoge und Begründer des Turnens wohnte seit 1797 in Waltershausen. Er strebte nach einer wachsenden Vollkommenheit und Steigerung der Leistungen seiner Zöglinge. In seiner Methode berücksichtigte er die individuellen Voraussetzungen der Schüler. Diese unterschieden sich in ihrer „Konstitution“ und auch im Stand ihrer persönlichen Ausbildung. GutsMuths erkannte, dass eine sorgsame Abstufung des Übungsprozesses erforderlich war. Er schuf damit einen jugendgemäßen, methodisch gestuften Unterricht nach dem Grundsatz der kontrollierten Leistungssteigerung. Auf die Entwicklung der Leibesübungen übte er weltweit einen starken Einfluss aus, indem er die erste systematische, pädagogisch begründete Leibeserziehung entwickelte. GutsMuths kann als der erste ideale Sportpädagoge angesehen werden, da er selbst unterrichtete und gleichzeitig schreibend darüber reflektierte. Dabei hat er seine Unterrichtspraxis in den Zusammenhang einer komplexen allgemeinen Erziehungstheorie gestellt und durch seine publizistische Tätigkeit einem breiten Publikum zugänglich gemacht.
▬ Stadtkirche Zur Gotteshilfe (1719–1723) mit der größten Barockorgel Thüringens von Tobias Heinrich Gottfried Trost von 1730
▬ Im Stadtteil Ibenhain befindet sich die kleine Kapelle Unser Liebe Frauen. Bis zur Reformation war die im 14. Jahrhundert erbaute Kapelle ein beliebter Wallfahrtsort. Ihre heutige Gestalt erhielt die Kirche bei einer Renovierung im 18. Jahrhundert. Die 10 × 6 Meter messende Kapelle wurde 1802 mit einem verschieferten Dachreiter für die kleine Glocke bestückt. Im Februar 1945 wurden über Ibenhain Sprengbomben abgeworfen, die auch die Kapelle beschädigten, 20 Tote waren im Ort zu beklagen.
▬ In Langenhain gibt es eine (Ur)Kirche St. Maria-Magdalena mit Fresken aus dem 13. Jahrhundert. Sie ist die älteste Kirche der Stadt. Die Barockkirche wurde 1763–1768 erbaut und wurde am 8. Oktober 2006 nach umfangreicher Restaurierung wieder eingeweiht.
▬ In Schnepfenthal steht die St.-Peter-und-Paul-Kirche, ein auf einem Werksteinsockel errichteter, schieferverkleideter Fachwerkbau mit Dachreiter, der 1824 geweiht wurde.
▬ In Wahlwinkel steht die Dorfkirche St. Gotthard. Die erste Erwähnung der Kirche in Wahlwinkel stammt aus dem Jahr 1401. Die heutige Kirche wurde 1496 geweiht, der Turm wurde 1505 vollendet. Im Inneren der Kirche befindet sich als Besonderheit eine frühgotische Krypta. Die Kirche wurde (Stand 2011) baulich saniert.
Textgrundlage: https://de.wikipedia.org/wiki/Waltershausen
Fakten & Daten
Waltershausen ist eine Kleinstadt im Landkreis Gotha in Thüringen. Sie liegt im Südwesten des Landkreises, wo sie nach Gotha die zweitgrößte Stadt ist. Südlich im Übergang zum Thüringer Wald liegen die Waltershäuser Vorberge. Waltershausen liegt am Übergang vom Thüringer Becken zum Thüringer Wald, deshalb wird Waltershausen gelegentlich als „Tor zum Thüringer Wald“ bezeichnet. Der Große Inselsberg liegt nur wenige Kilometer entfernt. Es existieren sieben Ortsteile (Fischbach, Schmerbach, Schwarzhausen, Winterstein, Wahlwinkel, Schnepfenthal und Langenhain) sowie ein Stadtteil (Ibenhain). Nachbargemeinden sind (im Norden beginnend im Uhrzeigersinn) Hörsel, Georgenthal, Friedrichroda, Bad Tabarz, Brotterode-Trusetal, Bad Liebenstein, Ruhla, Seebach, Wutha-Farnroda und Hörselberg-Hainich. (Wikipedia)
Kowalit
Kowalit war der Markenname eines vom „VEB Gummikombinat Thüringen“ in Waltershausen produzierten Schlauchreifens. Der Name war eine Abkürzung für Kombinat Waltershausen in Thüringen. Da bis 1952 auf dem Gebiet der DDR keine eigene Fahrradreifenproduktion bestand, mussten die für den Radrennsport benötigten Reifen mittels Devisen aus dem Ausland beschafft werden. Ein innerhalb weniger Jahre entwickelter Schlauchreifen wurde erstmals 1956 erfolgreich bei der Friedensfahrt eingesetzt. 1958 wurde der Kowalit sowohl von der Nationalmannschaft der DDR als auch von Täve Schur beim Erringen der Weltmeisterschaft eingesetzt. Später wurde er auch ins Ausland exportiert (UdSSR, Polen, Rumänien, Volksrepublik China, Korea, Jugoslawien, Schweden, Finnland). Auch von westdeutschen Radsportlern wurde der Kowalit, aufgrund des günstigen Preises, gern als Trainingsreifen eingesetzt. Der Kowalit wurde in Ausführungen für Trainingsreifen Straße, Kriteriumsreifen Straße, Tourenreifen Straße, Querfeldein-Stollenreifen, Bahnreifen sowie Radball und Radkunstfahren angeboten. Darüber hinaus wurde er auch als normaler Fahrradreifen verwendet. (Wikipedia)
Es war schwierig auszumachen, wie der Einlauf war, der eine holte ihn, der andere bekam ihn, einer siegte, einer stürzte, einer stieg aufs Treppchen, einer in den Krankenwagen, so verschieden konnte es beim Einlauf zugehen, doch: Heinz Florian Oertel sollte Recht behalten, Täve schnitt vor den Gefilmten knapp als Bester ab, und spätestens seit diesem hauchdünnen, nur reifenbreiten Sieg begann sich in so mancher mit den Jahren patriotisch kurzatmig gewordenen Brust tatsächlich wieder so etwas wie Stolz auf diese frischgestärkte Republik herauszubilden. Heimat konnte wieder lauter ausgesprochen und sogar empfunden werden, wenigstens einmal im Jahr: denn wenn im Mai das Feld der Amateure durch die Straßen wehte, wurden diese, so jedenfalls ein damaliger Kommentar, zu Logenplätzen für den Frieden und für eine bessere Welt, was immer damit doppelsinnig und verschmitz gemeint war. (Verlagstext)
Tilo Köhler: Der Favorit fuhr Kowalit. Täve Schur und die Friedensfahrt. Kiepenheuer (1997)