Tonkunst und Geräusche
Weiterverarbeitung
Eine Ost-Berliner Band um 1981/1982 – und es waren meine Freunde aus Karow und Pankow. Sie spielten ohne Spielerlaubnis.
Der Gegenwart. — 16. August 2022
Weiterverarbeitung, kurz WV, war eine Band aus Ost-Berlin, die in den Jahren 1981 und 1982 – inspiriert von New Wave, Neuer Deutscher Welle (NDW) und den alltäglichen Absurditäten der DDR-Diktatur – einen Sound erschuf, den sie selbst als (selbsterfundene) Stilrichtung Neue Deutsche Ästhetik bezeichnete.
Im Abweichung zu Wikipedia geben andere Quellen an, dass die Band „einen Sound kreierte, den sie als Neue Deutsche Tanzmusik bezeichnete.“
Die Texte waren überwiegend deutschsprachig. Sich selbst ordneten die Band-Mitglieder den Genialen Dilletanten (siehe Randspalte) zu. Eine in der DDR für Musiker notwendige sogenannte Spielerlaubnis besaß die Band nicht (und strebte diese auch nicht an) und trat nur bei „inoffiziellen“ Konzerten auf. Beim letzten Konzert von Weiterverarbeitung im April 1982 in einem Privathaus in Berlin-Karow vor etwa 200 Zuhörern kam es zu Zwischenfällen: die Villa wurde teilweise demoliert, in Karow Fensterscheiben eingeschlagen und DDR-Fahnen verbrannt. Etliche Besucher des Konzerts und ein Bandmitglied wurden daraufhin vorübergehend verhaftet.
Weiterverarbeitung agierte bei Konzerten multimedial mit den damals in der DDR verfügbaren Mitteln: so setzte WV bei Live-Auftritten Super-8- und Dia-Projektoren ein, Sound-Effektgeräte wurden selbst gebaut. Im Jahr 1982 sollte Weiterverarbeitung auf einem DDR-Sampler der West-Berliner Band Leningrad Sandwich vertreten sein, doch vor den Aufnahmen hatte sich die Band aufgelöst.
Einige Mitglieder dieser Band spielten später unter anderem bei Der Demokratische Konsum und Die Firma.
Erwähnt wird Weiterverarbeitung auch in einem Katalog anlässlich einer Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien: Michael Boehlke, Henryk Gericke: Ostpunk!: Too much Future: Punk in der DDR 1979–89. Berlin 2005.
Textgrundlage: https://de.wikipedia.org/wiki/Weiterverarbeitung_(Band)
Die Band im Interview 2022
„Leider ging das damals schöne, neue, taffe und virile Projekt in die Binsen, aber in dem Staat, der es erst gebar, konnte es nur sterben“, sagt Frank Nietsch im Rückblick. An die kleine Garagen-Band erinnert man sich. Wie sehen es die Veteranen im Jahr 2022? Wir fragten und bekamen Antworten:
Eine Frage an Frank Nietsch
Du bist Anfang der 80er in den Westen gegangen, der Pteroman wollte einmal auf Nina Hagen – damals die schärfste Braut des Universums – fliegen und landen ... Was ist daraus geworden?
„Leider nie mit Nina Hagen Sex gehabt“
Ich bin Anfang Sep. 1983 von Ost-Berlin (Friedrichstr.) über West-Berlin („Nicht aussteigen!“ – Hat mein Bruder Siggi aber doch gemacht und für ein paar D-Mark schnell den SPIEGEL – ja, das inzwischen linksradikale Blatt konnte man damals noch lesen – und ein paar Getränke am Kiosk geholt.) und Bayreuth nach München Hauptbhf. ausgereist. Inkl. Abgabe der „DDR-Staatsbürgerschaft“. Naja, Deutscher bin ich ja geblieben ...
Nina Hagen habe ich wirklich eine Zeit lang verehrt, war mal mit Schulle als Teenie auf einer Silvesterparty, auf der sie auch sein sollte – hab sie aber nicht getroffen. In West-Berlin hab ich sie dann 1984 in einer Punk-Kneipe am Flipper gesehen, sie wollte aber nicht gestört werden. Eine Freundin aus HH hat mal bei Cosma Shiva die Tagesmutter gegeben, aber auch aus diesem Kontakt wurde nix weiter. Ich habe leider nie mit Nina Hagen Sex gehabt. Seit ihren esoterischen Verirrungen etwa Mitte der 90er ist der Wunsch aber auch in sich zusammengefallen. Cindy Lauper wäre mir irgendwann lieber gewesen. Tatsächlich hatte ich mit keiner wirklichen Prominenten jemals Sex, es gab nur ein paar kaum bekannte Schauspielerinnen oder Autorinnen. Tja.
Exklusiv für Der Gegenwart. Herzlichen Dank! © Alle Rechte für die Antworten bei den Autoren.
Letzte Besetzung
Ralf „Rustical“ Haubert – Gitarre, Gesang
Jörg „Jovial“ Romahn – Keyboard, Effektgeräte, Bass, Saxophon, Gesang
Frank „Fatal“ Nietsch – Bass, Gesang
Lothar „Larmoyant“ Greiss – Schlagzeug
Peter „The Window“ Hertzfeldt (ab 1982) – Gitarre
WV – Deutscher Städter
Weiterverarbeitung: Deutscher Städter
WV – Brest
Weiterverarbeitung: Brest (1982)
Neue Deutsche Welle
Die Neue Deutsche Welle (NDW) ist ein Musikgenre, das ab 1976 als die deutschsprachige Variante des Punk und New Wave aufkam und Anfang der 1980er Jahre seinen kommerziellen Höhepunkt erfuhr. Die NDW stellte keinen einheitlichen Musikstil dar, kennzeichnend waren jedoch die deutsche Sprache, die relative Kurzlebigkeit. Rohheit, Kühle und Minimalismus der Darbietungen war oft Stilmittel. Viele der Künstler waren nur damals musikalisch aktiv oder erfolgreich, einige hatten um 2000 ein Comeback. (Wikipedia)
Geniale Dilletanten
Die Veranstaltung „Die große Untergangs-Show – Festival Genialer Dilletanten“ fand am 4. September 1981 im Berliner Tempodrom-Zelt vor 1.400 Zuschauern statt. ( Die gegenüber dem Duden falsche Schreibweise des Wortes „Dilettanten“ war ursprünglich ein Schreibfehler auf dem Flyer, der auch in einem Buchtitel übernommen wurde. Der Autor sieht das als Beleg, dass ein „genialer Dilletant“ im Unterschied zum „Profi“ zu seinen „Fehlern“ nicht nur stehe, sondern sie als tatsächliche existierende Realität akzeptiert und sie ganz bewusst in sein Werk einbezieht.) Auf diesem Festival waren erstmals die aus dem Punk und Post-Punk entstandenen Noise-Bands, experimentelle Rockbands und Künstlergruppen aus West-Berlin zu sehen und zu hören, die sich einerseits von der klassischen Rockmusik-Szene und andererseits von der Sterilität der klassischen Neuen Musik absetzen wollten. Unter den Musikern befanden sich auch viele bildende Künstler, die der damaligen Dominanz des Realismus – sowohl in Berlin Ost als sozialistischer Realismus, als in Berlin West als Kritischer Realismus, später wilde neoexpressive Malerei – etwas anderes entgegensetzen wollten. Durch dieses Festival wurden Bands wie Die Tödliche Doris und Einstürzende Neubauten einem größeren Publikum bekannt. Auch einige der späteren Köpfe des deutschen Techno standen auf der Bühne: Westbam und Dr. Motte. (Wikipedia)
Essay-Film – Trailer
Music, art and chaos in the wild West-Berlin of the 1980’s: Im Essay-Film B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979–1989 um Mark Reeder von 2015 wurden erhaltene Dokfilmszenen von Künstlern aus der Zeit und auch vom Festival mit verbindendem nachgedrehten Material zu einer Dokumentation der Kultur und der Zeit verarbeitet. Das Goethe-Institut griff 2015 das Thema auf und gestaltete zusammen mit damals Beteiligten eine Ausstellung Geniale Dilletanten mit Fotos, Filmausschnitten und Musikvideos, die auf einer Tournee weltweit die Underground-Kultur West-Berlins am Anfang der 1980er Jahre vermitteln will. Mit Annette Humpe, Blixa Bargeld, Nena, Nick Cave, David Bowie, Gudrun Gut, Westbam, Joy Division, Zazie de Paris, Die Toten Hosen, The „real“ Heino, Einstürzende Neubauten, Die Ärzte, Die Unbekannten, Malaria!, Notorische Reflexe and much else. (Wikipedia und b-movie-der-film.de)