Machtworte – Inspektion der Herrschaftssprache
Die Zufallsmehrheiten von
Spar-Willy und Friedrich Merz
Wilhelm Brese und der Oppositionsführer sind in derselben Partei. Der eine nutzte die Chance, für kurze Zeit den Schuldenstaat aufzuhalten. Der andere redet nur davon – und taktiert lieber mit gescheiterten Ampel-Restposten.
Der Gegenwart. — 14. November 2024 — UPDATE 29. November 2024
Ich möchte, dass wir jetzt nur noch die Dinge auf die Tagesordnung setzen, die wir vorher im Konsens zwischen Opposition und restlicher Regierung vereinbart haben. Um uns alle – die Regierung und uns – davor zu bewahren, dass wir am Ende Zufallsmehrheiten im Saal mit der AfD oder den Linken haben. Ich will das nicht!
Friedrich Merz (CDU) am 13. November 2024
Olaf Scholz (SPD) hat im Bundestag seine Regierungsbankrotterklärung abgegeben. In der anschließenden Debatte hat Friedrich Merz (CDU) zwar scharfe Worte gegen die kaputte Ampel geschmettert, aber nicht erklären können, wie er ohne SPD oder Grüne als Koalitionspartner einen Neustart bewirken will. Denn mit dem Verdikt, keine „Zufallsmehrheiten“ eingehen zu wollen, hat er sich einiger Auswege beraubt. Er hat sich in „Brandmauern“ eingemauert. So wird er eine der abgewirtschafteten, in der Summe auf etwa 25 Prozent geschrumpften Regierungsparteien für eine neue Koalition doch in Betracht ziehen müssen.
Der alte Blackrocker kennt das Aktienrecht
Wie kam aber Merz das Wort von den „Zufallsmehrheiten“ so flüssig von den Lippen? Nun, der alte Blackrocker kennt das Aktienrecht. Ein Terminus in dieser Materie ist es, mit einer höheren Präsenz von Aktionären auf der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft die Gefahr von unerwarteten oder unzweckmäßigen Abstimmungsergebnissen zu vermindern.
In unserem Alltagsleben ist der Begriff der „Zufallsmehrheiten“ eher unüblich. Es gibt dazu aber noch eine kleine, aufschlussreiche Geschichte:
Wilhelm Brese (Foto oben) gehörte von 1949 bis 1969 dem Deutschen Bundestag an. Bei den ersten drei Bundestagswahlen zog er über die Landesliste der CDU Niedersachsen ins Parlament ein. 1961 und 1965 gewann er das Direktmandat im Wahlkreis Celle. Aufgefallen ist er im Bundestag dadurch, dass er stets für eine solide Haushaltsführung eintrat und sich gegen Staatsverschuldung sowie ein Aufblähen der öffentlichen Verwaltung einsetzte, was ihm auch den Beinamen Spar-Willy eintrug.
Der Überraschungserfolg von Wilhelm Brese
Außerdem lehnte er stets alle Initiativen zur Verbesserung der Arbeitssituation der Abgeordneten – von Mitarbeiterstellen über die Schaffung einer Bibliothek bis zum Bau des Abgeordnetenhochhauses Langer Eugen – mit dem Argument ab, eine Verbesserung der Strukturen in Bonn führe dazu, dass sich die Abgeordneten dort häuslich einrichteten und vergäßen, dass eigentlich Berlin die Hauptstadt sei.
In der ganzen Bundesrepublik bekannt wurde er durch einen parlamentarischen Überraschungserfolg: In der dritten Lesung eines der jährlich vom Bundestag neu zu verabschiedenden Haushaltsgesetze beantragte er als Einzelabgeordneter, jede vierte 1955 frei werdende Beamten- oder Angestelltenstelle nicht wieder zu besetzen, um so den Weg in den Schuldenstaat zu bremsen. Dies wurde mit einer Zufallsmehrheit zum Gesetz.
In Teilen der CDU machte er sich damit höchst unbeliebt, und so überrascht es nicht, dass die gesetzliche Regelung bereits 1956 wieder abgeschafft wurde.
Die Marktwirtschaft schlägt die Pflöcke ein
Sich in der eigenen Partei oder bei den Medien, die zu 41 Prozent von Grünen-Sympathisanten besetzt sind, unbeliebt zu machen, um Deutschland voranzubringen, ist eine Vorstellung, die Merz unakzeptabel scheint. Wie es jetzt aussieht, wird er lieber mit den gescheiterten Ampel-Restposten taktieren. Er möchte sich mit Kräften verbinden, die die Marktwirtschaft nicht verstanden haben und den Schuldenstaat weiter hochkochen wollen.
Man sollte ihm deswegen den Satz von Christian Lindner (FDP) – einen der wenigen Lichtblicke aus der Debatte an diesem 13. November – ins Stammbuch schreiben: „Es ist die Marktwirtschaft, die die Pflöcke einschlägt, an denen das soziale Netz aufgehängt wird.“ Der Satz hätte auch Ludwig Erhard und Wilhelm Brese gefallen. ■
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Eine Verhöhnung der repräsentativen Demokratie
Merz könnte längst seine Programmpunkte, mit denen er auf Wählerfang geht, im Bundestag durchsetzen, wenn er sie denn wirklich umsetzen wollte. Er hätte dafür eine satte Mehrheit. Was aber sagt der Mann?
„Ich möchte, dass wir jetzt nur noch die Dinge auf die Tagesordnung setzen, die wir vorher im Konsens zwischen Opposition und restlicher Regierung vereinbart haben. Um uns alle, die Regierung und uns, davor zu bewahren, dass wir plötzlich Zufallsmehrheiten im Saal mit der AfD oder mit den Linken haben. Ich will das nicht! Ich möchte, dass wir hier zu vernünftigen gemeinsamen Lösungen kommen.“
Das ist eine Verhöhnung der repräsentativen Demokratie, weil Merz damit eine inoffizielle Einheitspartei im Bundestag aufmacht. Die CDU/CSU nimmt sich damit alle Möglichkeiten, um beispielsweise die gescheiterte deutsche Energiepolitik vom Kopf auf die Füße zu stellen. Merz hätte für den Wiedereinstieg in die Kernenergie oder die Abschaffung des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes und ähnlicher energiepolitischer Tollheiten ohne Probleme eine Mehrheit im Bundestag. Er könnte Strom wieder bezahlbar machen, die Deindustrialisierung beenden und dem Wohl der Bürger des Landes dienen, dessen Kanzler er werden will. „Ich will das nicht!“ ruft er in den Bundestag, weil ihm die Brandmauer wichtiger ist, als das Landeswohl. Er will nicht einmal „Zufallsmehrheiten“ im Bundestag riskieren.
Manfred Haferburg: »Bericht aus der Finsternis der AKW-Sabotage«, AchGut vom 28.11.2024
Über „Zufallsmehrheiten“
Lebensgefährliche „Brandmauer“! Mit der AfD will Merz nicht unsere Grenze sichern (Achtung, Reichelt! 14.11.2024; 21:18 min.)
»In diesem Video spricht Julian Reichelt über den Begriff „Zufallsmehrheiten“: Friedrich Merz ist in seinem Streben nach der Kanzlerschaft gefangen in einer Partei, die nach 16 Jahren Angela Merkel entweder weltanschaulich entkernt oder aus tiefer Überzeugung links-grün ist. Seine Ministerpräsidenten werben für jede denkbare linke Grusel-Koalition, mit den totalitären Grünen, mit den SED-Nachfolgern der Linkspartei, mit der Kommunistin Sahra Wagenknecht. Was jeder im Land erkennen kann, was in der Mitte der Gesellschaft längst offen diskutiert wird, darf für die Union keine verbotene Debatte sein. Schon gar nicht darf man Millionen Menschen dafür beschimpfen, dass sie aussprechen, was offenkundig ist – und was bis vor wenigen Wochen Friedrich Merz selbst noch gefordert hat. Die wichtigsten Debatten zu unterdrücken – das ist nur der Vorbote der nächsten linken Regierung, die Deutschland weiter ins Unglück führen würde.«
Lebensdaten
Wilhelm Brese (* 28. Dezember 1896 in Scharnhorst; † 9. März 1994 in Celle) war ein deutscher Politiker (DNVP, CNBL, CDU). Brese, der evangelischen Glaubens war, besuchte nach der Volksschule das Lehrerseminar in Uelzen. Die Ausbildung unterbrach er, um während des Ersten Weltkrieges im Hannoverschen Füsilier Regiment Nr. 73 (Gibraltarfüsiliere) zu dienen. Diesem Regiment gehörten u. a. die Schriftsteller Hermann Löns und Ernst Jünger an. Aufgrund einer Handverletzung wurde Brese jedoch nur im Stabsdienst eingesetzt. 1918 beendete er seine berufliche Ausbildung, trat in den Schuldienst ein und wurde Volksschullehrer, zunächst in seinem Heimatort Scharnhorst, später in Marwede. 1923 schied er aus dem Schuldienst aus, um den Bauernhof, den seine Frau geerbt hatte, zu bewirtschaften. Nebenberuflich war er Vorsitzender der Spar- und Darlehenskasse Eschede. Außerdem stand er dem Kirchenvorstand in Eschede vor.
Partei
Brese trat 1924 in die Deutschnationale Volkspartei ein. 1928 schied er aus Protest gegen die Dominanz der ostelbischen Großagrarier wieder aus und beteiligte sich an der Gründung der Christlich-Nationalen Bauern- und Landvolkpartei, deren Vorsitzender für den Bezirk Hannover-Ost er bis zur Auflösung 1933 war. Am 12. August 1937 beantragte Wilhelm Brese die Aufnahme in die NSDAP und wurde rückwirkend zum 1. Mai desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 5.313.732). 1945 beteiligte sich Brese an der Gründung der CDU im Landkreis Celle und war dort von 1946 bis 1966 auch Kreisvorsitzender sowie zeitweilig Bezirksvorsitzender im Bezirksverband Lüneburg.
Abgeordneter
Brese war vor 1933 Kreistagsabgeordneter im Landkreis Celle. 1948/49 war Brese Mitglied des Wirtschaftsrates. [Sein Wirken als Abgeordneter des Bundestages ist in den Artikel übernommen.]
Öffentliche Ämter
Von 1928 bis 1933 und von 1945 bis 1973 war Brese Bürgermeister von Marwede sowie zeitweilig Vorsitzender des Landgemeindetages im Landkreis Celle und Mitglied des Landesvorstandes des Landgemeindetages Hannover. Als Bürgermeister setzte er sich nach 1945 energisch für die Eingliederung der Flüchtlinge ein und sorgte dafür, dass Marwede die bauliche Gesamterscheinung eines traditionellen Heidedorfes beibehielt. (Wikipedia)